Xihazi, September 2016
Von der einen chinesischen Mauer haben wir ja schon berichtet und sind fest davon überzeugt, dass die Baukunst dieses modernen Datenschutzwalls, die Baukunst der alten chinesischen Mauer, des Jahrtausende alten Bollwerks, dazu bestimmt die Dynastien Chinas zu beschützen, noch übersteigt. Wir wollten uns aber persönlich davon überzeugen und brachen so nach einer netten Zeit bei Mike auf, in den Norden Beijings um die wilde chinesische Mauer zu erkunden. Geplant waren zwei Nächte im Zelt und wandern auf der chinesischen Mauer. Zum Glück konnten wir alles Überflüssige bei Mike lassen und zogen so einige Kilo leichter los.
Dan und Katie, zwei weitere Amerikaner, die wir in Beijing kennen gelernt hatten, hatte uns mit Informationen zur Mauer, dem Beijing Wanderführer und einer Wegbeschreibung nach Xihazi und auch für eine schöne Route auf der Mauer ausgestattet. So erreichten wir nach ein paar Stunden Busfahrt das Dorf Xihazi und suchten ein Restaurant auf, scheinbar das einzige im Dorf, welches auch nicht dort nächtigende Kunden bediente und konnten so schon in der Ferne die Ruinen der Mauer, schillernd im Rot der untergehenden Sonne beobachten. Gestört wurde die Stille nur von einem kleinen etwa zweijährigen Querulanten, der laut herum krakelte und wir machten uns schnell aus dem Staub.
Im Halbdunkel strichen wir durchs Dorf um einen Platz für unser Zelt zu finden und staunten nicht schlecht, als wir beim Zeltaufbau am Rande des Dorfes unter ein paar Wallnussbäumen, Glühwürmchen entdeckten, die wie kleine Sterne um unser Zelt und die Bäume summten.
Frisch und erholt, nach einem Frühstück mit dem besten Brot, dass wir in Beijing finden konnten (eine weiße künstliche Masse, mit weniger Konsistenz als Toastbrot) begannen wir also den Aufstieg zur großen Mauer. Erst einmal natürlich den falschen Weg, bis wir das erste rote Band, mit dem Emblem des Beijing Wanderführers entdeckten. Wir schlugen uns also durch das Gebüsch und die Wälder und als wir schon glaubten wieder falsch abgebogen zu sein, deuteten ein paar Geröllhaufen darauf hin, die Mauer konnte nicht mehr weit sein. Durch Walnuss- und Pfirsichbäume begingen wir also den letzten steilen Anstieg und erreichten das steinige Bauwerk mit einer atemberaubenden Sicht über die Berge und die Mauer, die sich zu beiden Seiten kilometerweit erstreckte.
Für uns war klar, die Mauer würde uns auch länger als zwei Tage faszinieren und mit dem Entschluss, eine Woche auf der Mauer zu wandern, zogen wir Richtung Beijing Knot, einem hohen Punkt, an dem die Mauer in drei Richtungen abzweigt. Das Laufen auf der Mauer, obwohl von Bäumen und Gestrüpp überwuchert war zunächst sehr angenehm, in der Nähe des Beijing Knots wurde der Anstieg jedoch zunehmend steiler. Während Lindas Sicherheitssensoren also schon auf Gelb umschlugen, war Jeroen noch immer fröhlich am Klettern und so kamen wir höher und höher über eine zunehmend brüchige Mauer in die Nähe des Beijing Knots. Zu unserer Beruhigung gab es noch immer ein paar Bänder von den Beijing Wanderführern in den Büschen, wobei deren Farbe sich seltsamerweise von rot zu blau und gelb änderte. Doch dann oh Schreck, Lindas Alarmglocken auf Rot und Jeroen noch ernsthaft überlegend ob der Aufstieg nicht zu schaffen sei, standen wir plötzlich vor einer beinahe senkrechten Wand, die letzten 5m vorm Ziel und als dann auch noch ein starker Wind einsetzte entschieden wir weise wieder zurück zu klettern und befanden uns so ein wenig später nach einem Abstieg mit zitternden Knien auf dem Rückweg ins Dorf.
Das Wandern auf der Mauer blieb spannend mit unglaublichen Ausblicken und vielen abenteuerlichen Verirrung (Insider kennen sie und Gertrud’s Abkürzungen) bei unseren Touren in den nächsten Tagen. Auf der Mauer gab es riesige Spinnen und ebenso riesige Fliegen und wir konnten auch einen tödlichen Kampf zwischen zwei diesen Spezies angehörigen Objekten beobachten. Die Fliege verlor.
Es folgten auch weitere spannende Klettertouren von denen eine uns unverhofft in Restaurationsarbeiten auf der Mauer führte. Wir kamen nachdem wir etwas waghalsig die nicht passierbare Mauer über einen Umweg umklettert hatten (immer brav den roten Bändern folgend, in die wir aber leider mittlerweile etwas das Vertrauen verloren hatten) an der höchsten Stelle dieses Teils der Mauer wieder hoch zur Mauer und hatten neben einen gewaltigen Ausblick auch den Blick frei auf die Arbeiter. Wie wohl schon vor Hunderten von Jahren hackten diese zähen Männer mit Spaten und Hacken die Wurzeln der Bäume und Sträucher von der Mauer. Etwas weiter hinten wurde auch schon neu gemauert und wir konnten nur wenig später beim Abstieg beobachten wie ein Maultiertreiber, mit Steinen voll beladene erschöpfte Maultiere, den Hügel hochtrieb. Trotz Chinas Modernität wurde hier auf alte Methoden gesetzt. Leider waren die Baumaterialien aber neu und industriell gefertigt und wir waren froh die meiste Zeit auf unseren Touren, den alten Charme der Mauer noch erlebt zu haben.
So verbrachten wir auch eine Nacht in einem alten Wachturm auf der Mauer. Nachdem wir zunächst unser Lager unter freiem Himmel auf dem Wachturm errichtet hatten, mussten wir leider doch ins Innere des Turms umziehen, da ein Gewitter herannahte. So konnten wir gut geschützt das Wetterleuchten und die Blitze am Himmel über der Mauer und den Bergen und später den wieder sternenklaren Himmel beobachten.
Wir trafen nur sehr wenige Leute unterwegs und es war eine willkommene Abwechslung am letzten Abend in Xihazi Jamie zu treffen, einen Amerikaner der mit seiner chinesischen Freundin, die gerade eine Nierentransplantation hinter sich hatte, ausspannte. Jamie war eine Art Showmaster, der ohne Pause Geschichten aus seinem Leben erzählte. Wandernd auf der Mauer und an vielen anderen Orten der Welt, wäre er bestimmt mindestens zehn mal fast gestorben. Für uns war das ein bisschen wie Fernsehen, also sich einfach angenehm berieseln lassen und Jamie spendierte uns auch noch ein paar Bier.
Weniger erfreulich war die Begegnung mit einem etwa zweijährigen Gangster, dem Querulanten aus em Restaurant, der im Xihazi Dorf sein Unwesen trieb und besonders Linda terrorisierte. Schon am ersten Abend war uns der kleine Querulant negativ aufgefallen, doch wir ahnten noch nicht welches Ausmaß, die Ausfälle des Bengels annehmen konnten. Als wir auf das für chinesische Verhältnisse leider mäßig gute Essen warteten, kam plötzlich aus der Küche auf seinem Bobbycar mit einem Affenzahn das Terrorkind angefahren. Mit quietschenden Reifen um die Kurven, zwei Knarren auf der Rückablage. Noch im Vorbeifahren zog er eine der Waffen und feuerte auf uns ab. Jeroen ging sofort zu Boden, doch das war wohl ein Fehler, den das Kind witterte Spiel. Er kam auf Linda zu und forderte sie mit der Waffe auf mitzukommen. Spielen. Linda weigerte sich woraufhin das kleine Monster einen Tobsuchtsanfall bekam, um sich schlug und biss und nicht zuletzt Linda mit beiden Waffen erschoss. Wir forderten die Rechnung und verließen das Restaurant so schnell wie möglich.
Am nächsten Tag machten wir uns also auf zum letzten Abschnitt auf der Mauer, Richtung Mutianyu, die Route, die wir eigentlich vorhatten zu gehen. Ohne besondere Zwischenfälle doch ein letztes mal die bröcklige Mauer unter unseren Füßen spürend, kamen wir schließlich in Mutianyu an. Mutianyu war ein Mauerpark, für den man, wenn man von unten kam, Eintritt bezahlen musste. Wir aber kamen von oben nach 5 Tagen auf der Mauer obwohl nur ausgerüstet für zwei. Schmutzig mit großen Rucksäcken und Wanderstöcken in der Hand. Ernährt zu etwa 30 Prozent von labbrigem Erdnussbuttertoast. Während die Mauer hier für uns eher eine Enttäuschung war im Vergleich zum wilderen Teil, waren die Begegnungen mit den vielen Touristen dort doch sehr amüsant. Mit großen Augen betrachteten uns viele „Kommt ihr von der anderen Seite?“. Wir fühlten uns wie Helden oder Aliens. Eins von beidem je nachdem ob man sich auf die Bewunderung oder den nicht mehr ganz zivilisationsfähigen Zustand unseres Äußeren konzentrierte.
Wir wollten eigentlich runter gehen zu einer Badestelle, die wir in Dans Wanderbuch gesehen hatte. Erst unten stellten wir aber fest, wir waren an der falschen Seite abgestiegen. Da wir nicht ohne Eintritt zu Zahlen wieder hoch durften (trotz unseres Einwands: wir wollen ja gar nicht zur Mauer, wir wollen nur drüber!) nahmen wir letztendlich ein Taxi um doch noch zu dem kleinen Park mit der Badestelle zu gelangen. Da der Park schon zu hatte schlugen wir unauffällig unser Zelt auf dem Parkplatz davor auf. Obwohl viele Leute mit Taschenlampen unterwegs waren schien uns keiner zu bemerken und so konnten wir uns am nächsten Tag in der eher einer hübschen aber kleinen Pfütze gleichenden Badestelle waschen und nach einer letzten etwas versteckten Nacht im Park ging es zurück nach Beijing!