Weit, weit im Osten

Qingdao, September 2016

Was wir vorher noch für unmöglich gehalten hatten, sollte mit Dan Realität werden: Fahrradfahren in Beijing, ohne dabei das Leben zu verlieren. Dan, seine Frau Kathy, und ihre Mitbewohnerin Morgan beherbergten uns in Beijing nach unserer Rückkehr von der chinesischen Mauer. In China herrscht ein wildes Verkehrsgesetz. Ampeln gibt es nur zur Zierde und angeblich wird Chinesen beigebracht beim Fahren immer nur geradeaus zu gucken. Dan versicherte uns, wenn wir uns auch daran hielten, würde nichts passieren. Wir waren nicht ganz überzeugt aber nachdem wir von Dan mit Fahrrädern und noch viel wichtiger Fahrradhelmen, versorgt worden waren, düsten wir mit Herzrasen hinter ihm durch die Stadt, natürlich nicht nur geradeaus sondern panisch hin und her schauend, zum Essensmarkt.

Der Markt ist auch für die meisten Chinesen eher eine Touristenattraktion als dass dort für’s Abendbrot geshoppt wird, denn auf dem Markt gibt es tatsächlich die größten Perversitäten, die die chinesische Küche so zu bieten hat: Zum Grillen lebendig aufgespießte Skorpione, Heuschrecken und Käfer, die noch lange zappeln, bevor sie dann tatsächlich auf dem Grill landen. Besonders überflüssig grausam waren auch die gegrillten Kükenfetusse. Dazu wird ein Spieß durch ein Ei mit einem beinahe ausgewachsenen Küken gesteckt und das ganze danach auf den Grill gelegt. Wir hatten eigentlich vor, auf dem Markt etwas zu filmen, waren dann aber doch zu abgeschreckt von den Grausamkeiten, mit denen die Spezialitäten zubereitet wurden. Überhaupt scheinen Tiere keinen besonders guten Stand in China zu haben. Dabei ist das Problem nicht mal, dass tatsächlich alles was kreucht und fleucht gegessen wird, sondern vielmehr das Warten auf den Tod in viel zu kleinen Käfigen, Aquarien oder Schaufenstern. Tiere scheinen von vielen in China nicht als fühlende Lebewesen wahrgenommen zu werden. Babyschildkröten kann man in winzig kleinen Döschen an einer Kette auch einfach als kleines Assescoire kaufen. Vielleicht beruhigend ist dabei, dass die meisten Leute, die diese Schmuckstücke kaufen, die Tiere befreien wollen. Wohl auch nicht die beste Strategie, um gegen den Missbrauch der Tiere anzugehen, aber nach buddhistischem Brauch bringt das Befreien von Tieren wohl Glück. Auf der chinesischen Mauer beispielsweise trafen wir eine muntere Familie deren zwei Jungs im Grundschulalter kleine Eidechsen in Plastikflaschen gesperrt hatten. Die armen Tiere wurden in den Flaschen beim Rumtragen und Spielen der Jungs durchgeschüttelt. Auf unser Eingreifen hin, wurde uns erklärt, die Familie habe die Tiere ja nur gefangen, um sie dann zu Hause frei zu lassen. Zum Glück schienen sie ihre Meinung zu ändern und ließen die Eidechsen doch schon auf der Mauer wieder frei.

Auch in Qingdao, unser nächster Aufenthaltsort, war die Grausamkeit an Tieren ein konstanter Begleiter. Qingdao ist bekannt für seine Meeresfrüchte und auch die Fische, Schildkröten und andere Spezialitäten, teilweise schon halb tot im Aquarium, hätten den in China leider nicht existierenden Tierschutz sicherlich interessiert. Ein Tierschutzgesetz gibt es ausschließlich für Wildtiere und beschränkt sich mehr oder weniger darauf, dass vom Aussterben bedrohte Arten geschützt werden sollen. Aber genug von diesen Grausamkeiten und außerdem der Hinweis, dass der pro Kopf Tierkonsum in China immer noch unter dem in Deutschland liegt und daher zumindest pro Person etwas weniger Grausamkeiten geschehen. Übrigens exportiert Deutschland auch fleißig Fleisch nach China. Das Fleisch hatte dann aber bestimmt, vielleicht zumindest in Deutschland noch ein viel, ein bisschen besseres Leben als in China. Wir exportieren aber vor allem Schweinefüße und so Ekelkram, den keiner essen will – da sieht man ja wohlmöglich noch, dass das mal ein Tier war. Der Bedarf an leckeren Schnitzeln, liebevoll in Form gepresst, wird dann einfach importiert. Ganz nebenbei erwähnt, geht außerdem der Fleischkonsum in Deutschland eher runter, während die Fleischproduktion weiter hochgeht. Wenn man sich dabei das Bewusstsein für Tierrechte z.B. in China vor Augen führt, ist das sicherlich auch nicht unbedingt im Sinne des Konsumentendruck, um die Produktionsbedingungen zu verbessern. Und man könnte noch endlos darüber schreiben, wie der deutsche Fleischmarkt für weltweiten Hunger sorgt, aber wie gesagt, vorerst genug von solchen Grausamkeiten.

Wir machten uns also auf den Weg nach Qingdao und mussten dazu erst einmal raus aus Beijing. Das Vorhaben schien schwieriger als zunächst gedacht, zumal es auch noch in Strömen regnete. Nach verschiedenen Bussen und einer Tour durch ein wildes Gebüsch, kamen wir aber schließlich an, an der Straße, die Richtung Osten führte. Sogleich hielt auch ein kleiner roter Landrover mit einer netten Chinesin drin, die aber leider fast kein Wort Englisch sprach. Wir versuchten ihr deutlich zu machen, sie könne uns einfach an ihrer Ausfahrt rauslassen, sie hatte sich aber in den Kopf gesetzt uns weiter zu helfen. „Help you! Help you!“ rief sie immer wieder. Das wurde zu einer etwas riskanten Angelegenheit, da sie auf dem Seitenstreifen geparkt hatte und mit wild fuchtelnden Armen versuchte, ein Auto für uns zu stoppen. Wir überzeugten sie davon, dass wir es auch alleine schaffen würden und machten uns, als sie davon fuhr auf in sicherere Gefilde, wo wir auch kurz darauf schon eine weitere Mitfahrgelegenheit ergatterten.

Als der Abend nahte, waren wir mit einigen weiteren Mitfahrgelegenheiten nach Jinan gelangt. Unsere Begleiter hatten sich auch besondere Mühe gegeben uns weiter zu helfen und hatten an jeder Raststätte gestoppt, um ein Auto für uns zu finden, mit dem wir weiter Richtung Qingdao fahren könnten. Leider blieben die Bemühungen erfolglos. An einer Autobahnmautstation, an der die beiden in die Stadt fuhren, versicherten wir ihnen, wir würden es einfach von dort am nächsten Morgen weiter versuchen, denn es war schon spät abends. Nach langem hin und her und unserem Versprechen wir würden uns an die Polizeistation wenden, zogen unsere beiden freundlichen Fahrer davon und wir uns in die Büsche. Wir haben uns dann einfach trotzdem nicht an die Polizeistation gewandt sondern fanden nach einer kleinen Kraxelpartie die Autobahn runter einen gemütlichen Zeltplatz an einem kleinen Weg. Wie sich am nächsten Morgen, an dem langsam ungewohnt viele ältere Menschen vorbei zuckelten, herausstellte, war unser Zeltplatz nicht nur an einem gemütlichen Weg sondern auch direkt vor einem Friedhof. Einige der älteren Damen und Herren fuhren gemütlich mit ihren Rollern vorbei, andere schlurften hinter ihren Rollatoren. Besonders putzig war eine ältere Dame, die alle Neuankömmlinge mit weit ausholenden Gesten auf uns hinwies und zunächst wohl nicht so erfreut über die nächtlichen Besucher war. Vielleicht dachte sie, wir hätten ein teuflisches Ritual durchgeführt oder ähnliches- bei den Ausländern kann man ja nie wissen. Am Ende lächelte aber auch sie uns freundlich an und reichte uns sogar die Hand, vielleicht auch glücklich darüber nun eine neue Geschichte erzählen zu können. Inwieweit diese der Wahrheit entsprechen würde, konnten wir nur ahnen.

Wir krabbelten also wieder hoch zur Autobahnmautstelle und erreichten am Abend Qingdao. Wir hatten den östlichsten Punkt unserer Reise erreicht. Kurioserweise war Qingdao eine ehemalige deutsche Kolonie und neben einer Brauerei „Tsingtao“, die die Deutschen seinerzeit aufgebaut hatten, gab es auch jede Menge deutsche Gebäude. Wir fühlten uns schlecht, weil es sich etwas gut anfühlte wieder so viel Vertrautes zu sehen, obwohl der Grund für die Anwesenheit dieser vertrauten Gebäude nicht gerade einen glorreichen Teil der europäischen Geschichte wiederspiegelt. Die Chinesen schienen sich aber eher einen Spaß daraus zu machen. So bauten sie eine der Kirchen auch einfach nochmal neu und diese wurde zum beliebten Hintergrund für Hochzeitsfotos. Wir zählten 13 Bräute, die zur gleichen Zeit, mit Ehegatten natürlich, auf dem Kirchplatz posierten. Dies wurde begleitet von stündlich erklingenden elektronischem Glockengeläut vom Kirchturm und Highlight waren auch Fotos vor einem Baum, der ununterbrochen von einem alten Herren geschüttelt wurde. Das gab wahrscheinlich irgendeine Art Special Effect auf den Fotos. Überhaupt schien sich in Qingdao alles um Hochzeitsfotos zu drehen. So entdeckten wir auch eine Art Hochzeitsfotomall. Während die Stadt sich an sich nicht besonders um den Erhalt alter Gebäude zu scheren scheint, waren in dieser Hochzeitsfotomall alle möglichen alten deutschen Gebäude unter einem künstlichen Himmel, der sich von rosarotem Sonnenuntergang bis Sternenhimmel entwickelte, wie in einer Filmkulisse nachgestellt. Auch am Strand in Laoshan war das Hauptmotto schöne Hochzeitsfotos. Es gab auch dort eine Art Fotokulissenpark, mit holländischer Windmühle, Cadillac und allen möglichen anderen Spielereien. Am Strand tanzten Pärchen Hand in Hand durch die Wellen, mit fliegenden Kleidern und lachten der Kamera ins Gesicht. Auch Jeroen und ich tanzten also hüpfend durch die Wellen, um nicht zu sehr als Fremde aufzufallen.

Nicht nur die Kolonialvergangenheit Qingdaos weckte Heimatgefühle in uns. Unsere wunderbare chinesische Couchsurfing Gastgeberin Mia, nahm uns auch mit zu einer Party „Berlin Calling“, versteckt in einer Tiefgarage! Mehr Berlin geht ja kaum, der DJ kam allerdings ursprünglich aus Hamburg. So tanzten wir mit ein paar Tsingtao Bieren die Nacht hindurch und begannen gleich zu Hause ein bisschen weniger zu vermissen. Auch bei Dai, einer weiteren Gastgeberin in Qingdao, bei der wir seit längerer Zeit mal wieder Jeroens niederländische Lieblingsspeise Stampot, eigentlich nur eine Art Kartoffelbrei, aber für einen Niederländer herzerwärmend, kochen konnten, kamen heimatliche Gefühle auf und die begeisterte Erkenntnis: Stampot lässt sich auch mit Stäbchen essen!

Jeroen hatte dann auch die glorreiche Idee in Qingdao eine Beachparty als couchsurfing Event zu starten. Auf Mias Anraten hin, luden wir also so ziemlich alle couchsurfer in Qingdao zur spektakulären Beachparty am Silver Beach ein. Für die meisten eine Anreise von etwa 2 Stunden aus Qingdaos Zentrum. Aber sieh da, sieh da, es kamen sage und schreibe 6 motivierte Partygäste, Mia und wir zwei mit inbegriffen. Dass heißt, zumindest nachdem wir uns alle gefunden hatten. Der Silver Beach war nämlich so abgelegen, dass er ab 7 Uhr abends stockfinster war und wir hatten natürlich weder Kerzen, geschweige denn irgendeine Art von Partybeleuchtung. Wir versuchten dann genaue Beschreibungen von nahegelegenen Lichtpunkten aus zu liefern und schließlich kamen wir alle auf einer Decke zur Beachparty zusammen. Der Abend war nett, es wurde aber nicht getanzt.

In Qingdao warteten wir auf das pakistanische Visum, welches uns die Wiederkehr in den Westen ermöglichen würde. Pakistan ist das einzige Land, über das man Indien auf dem Landweg erreichen kann, doch leider erhält man das Visum nur im Heimatland. Es waren schon zehn Tage vergangen und wir hofften unsere Pässe nach etwa 3 Wochen mit Expressversand wieder in den Händen zu halten. Doch wir hatten unsere Rechnung ohne die unfreundliche Bearbeiterin der pakistanischen Botschaft Berlin gemacht. Die Bearbeiterin zweifelte stark an unserer Intelligenz: „Wie kommt man überhaupt auf die verrückte Idee aus China ein Pakistanvisum zu beantragen!“. Unsere Emails wurden nicht beantwortet und nachdem Linda letztendlich endlich die Bearbeiterin per Telefon erreichen konnte (das war wahnsinnig schwierig mangels stabiler Internetverbindung) und nach den Emails fragte, wurde sie nur angeblafft: „Ich habe ja gar keinen Computer!!!“. Wir verschickten die Emails also erneut, diesmal nicht an die online verzeichnete Adresse der Visa Bearbeiterin sondern an die Adresse der Rezeption, die anscheinend über einen Computer verfügte. Antworten bekamen wir dennoch nicht, aber bei unserem nächsten Anruf zumindest die Information, die Visa Bearbeiterin habe die Email gelesen, es gäbe aber pakistanische Feiertage und daher werde die Bearbeitung sich verzögern.

Wir vertrieben uns die Zeit also damit ein Lied zu dichten und ein kleines Video über unsere chinesischen Foto- und WeChat Erfahrungen zu machen. WeChat, die Chinesen sagen immer weecheeee mit einem begeisterten Lächeln, ist eine Art chinesisches facebook. Da facebook genauso wie google, youtube und vieles mehr in China geblockt ist, haben die Chinesen ihre eigenen Alternativen entwickelt. Mit jedem Foto, um das wir gebeten wurden, häuften sich auch unsere WeChat Bekanntschaften und schon bald hatten wir ein ganzes Bündel WeChat Freunde mit denen wir außer einem netten Selfie leider wenig gemeinsam hatten. Wir waren dennoch erfreut, über die Chinesen, die sich uns auf diese Weise näherten, denn zwar selten aber doch manchmal entwickelte sich auch ein nettes Gespräch daraus.

Nach ein paar Nächten bei Mia, schlugen wir noch für eine letzte Nacht in Qingdao unser Zelt am Golden Beach auf. Vor uns also die wilde See und hinter uns Sand und Luxusappartments. Kurze Zeit darauf realisierten wir, dass die wilde See in der Nacht eventuell unser Zelt überfluten würde und bauten das Zelt also noch etwas weiter hinten auf. Nässe gab es dann nur von oben und nach einem letzten Frühstuck unter einem Strandpavillon machten wir uns hoffnungsvoll auf, unsere Pässe bei Lee Fangs Schwester abzuholen. Der Kurierdienst war leider verspätet, aber Sissy Lee in ihrem Verhandlungsgeschick so professionell, dass wir die Pässe direkt in ein Restaurant geliefert bekamen, in dem wir zusammen mit ihr und einer Freundin, Huiwen Zheng, zu Mittag aßen. Nach etwas mehr als einem Monat hatten wir die Pässe wieder sicher in den Händen. Die Freude war groß!

Sissy Lee war anscheinend von ihrem großen Bruder (der uns nach Beijing gefahren hatte) dazu verdonnert worden, sich so gut wie irgendwie möglich um uns zu kümmern. Gegen unsere großen Proteste organisierten die beiden dann sogar den Einkauf im Supermarkt für uns. Während die eine den Einkaufswagen schob, wuselte die andere durchs Geschäft um die besten Produkte zu finden. Wir hatten viel Spaß mit den beiden und als Höhepunkt halfen sie uns auch noch die letzten Shots für unser WeChat Song Video aufzunehmen. Wir fühlten uns schon schlecht, da die beiden sich so überaus rührend und engagiert um uns kümmerten und so ein paar Stunden in der Uni verpassten. Zu allem Überfluss eskortierten sie uns aber auch noch zu einem super Trampspot an der Autobahnauffahrt. Wir verabschiedeten uns mit großer Dankbarkeit für alle Hilfe und machten uns in Vorfreude auf die Heimat und Wehmut über den Abschied von der Weite des Pazifik und von all den netten Begegnungen so weit im Osten wieder auf in Richtung Westen.

Playing time crisis 5 with Dan
Playing time crisis 5 with Dan
Sunset over Beijing from Dan's balcony
Sunset over Beijing from Dan’s balcony
Graveyard on the way to Qingdao
On the way to Qingdao: only the next morning did we realise we had pitched our tent near a graveyard
Arrived in Qingdao with Chenchan
Arrived in Qingdao with Chenchan
Picture of someone taking the picture
Picture of someone taking the picture in Laoshan: Moment of inspiration for the WeChat song
From Atlantic to Pacific: our furthest point away from home
From Atlantic to Pacific: our furthest point away from home
Eating chopstick stamppot with Dai
Eating chopstick Stampot with Dai
Wedding photography Qingdao church
Wedding photography Qingdao church
Jeroen under the sky in the wedding photo mall
Jeroen under the sky in the wedding photo mall
People collecting something from the stones in Qingdao
People collecting something from the stones in Qingdao
Man floating Qingdao
Man floating Qingdao
Trying Mia's beauty masks
Trying Mia’s beauty masks
Lunch with Sisi and Huiwen
Lunch with Sisi and Huiwen

Folge dem roten Band

Xihazi, September 2016

Von der einen chinesischen Mauer haben wir ja schon berichtet und sind fest davon überzeugt, dass die Baukunst dieses modernen Datenschutzwalls, die Baukunst der alten chinesischen Mauer, des Jahrtausende alten Bollwerks, dazu bestimmt die Dynastien Chinas zu beschützen, noch übersteigt. Wir wollten uns aber persönlich davon überzeugen und brachen so nach einer netten Zeit bei Mike auf, in den Norden Beijings um die wilde chinesische Mauer zu erkunden. Geplant waren zwei Nächte im Zelt und wandern auf der chinesischen Mauer. Zum Glück konnten wir alles Überflüssige bei Mike lassen und zogen so einige Kilo leichter los.

Dan und Katie, zwei weitere Amerikaner, die wir in Beijing kennen gelernt hatten, hatte uns mit Informationen zur Mauer, dem Beijing Wanderführer und einer Wegbeschreibung nach Xihazi und auch für eine schöne Route auf der Mauer ausgestattet. So erreichten wir nach ein paar Stunden Busfahrt das Dorf Xihazi und suchten ein Restaurant auf, scheinbar das einzige im Dorf, welches auch nicht dort nächtigende Kunden bediente und konnten so schon in der Ferne die Ruinen der Mauer, schillernd im Rot der untergehenden Sonne beobachten. Gestört wurde die Stille nur von einem kleinen etwa zweijährigen Querulanten, der laut herum krakelte und wir machten uns schnell aus dem Staub.

Im Halbdunkel strichen wir durchs Dorf um einen Platz für unser Zelt zu finden und staunten nicht schlecht, als wir beim Zeltaufbau am Rande des Dorfes unter ein paar Wallnussbäumen, Glühwürmchen entdeckten, die wie kleine Sterne um unser Zelt und die Bäume summten.

Frisch und erholt, nach einem Frühstück mit dem besten Brot, dass wir in Beijing finden konnten (eine weiße künstliche Masse, mit weniger Konsistenz als Toastbrot) begannen wir also den Aufstieg zur großen Mauer. Erst einmal natürlich den falschen Weg, bis wir das erste rote Band, mit dem Emblem des Beijing Wanderführers entdeckten. Wir schlugen uns also durch das Gebüsch und die Wälder und als wir schon glaubten wieder falsch abgebogen zu sein, deuteten ein paar Geröllhaufen darauf hin, die Mauer konnte nicht mehr weit sein. Durch Walnuss- und Pfirsichbäume begingen wir also den letzten steilen Anstieg und erreichten das steinige Bauwerk mit einer atemberaubenden Sicht über die Berge und die Mauer, die sich zu beiden Seiten kilometerweit erstreckte.

Für uns war klar, die Mauer würde uns auch länger als zwei Tage faszinieren und mit dem Entschluss, eine Woche auf der Mauer zu wandern, zogen wir Richtung Beijing Knot, einem hohen Punkt, an dem die Mauer in drei Richtungen abzweigt. Das Laufen auf der Mauer, obwohl von Bäumen und Gestrüpp überwuchert war zunächst sehr angenehm, in der Nähe des Beijing Knots wurde der Anstieg jedoch zunehmend steiler. Während Lindas Sicherheitssensoren also schon auf Gelb umschlugen, war Jeroen noch immer fröhlich am Klettern und so kamen wir höher und höher über eine zunehmend brüchige Mauer in die Nähe des Beijing Knots. Zu unserer Beruhigung gab es noch immer ein paar Bänder von den Beijing Wanderführern in den Büschen, wobei deren Farbe sich seltsamerweise von rot zu blau und gelb änderte. Doch dann oh Schreck, Lindas Alarmglocken auf Rot und Jeroen noch ernsthaft überlegend ob der Aufstieg nicht zu schaffen sei, standen wir plötzlich vor einer beinahe senkrechten Wand, die letzten 5m vorm Ziel und als dann auch noch ein starker Wind einsetzte entschieden wir weise wieder zurück zu klettern und befanden uns so ein wenig später nach einem Abstieg mit zitternden Knien auf dem Rückweg ins Dorf.

Das Wandern auf der Mauer blieb spannend mit unglaublichen Ausblicken und vielen abenteuerlichen Verirrung (Insider kennen sie und Gertrud’s Abkürzungen) bei unseren Touren in den nächsten Tagen. Auf der Mauer gab es riesige Spinnen und ebenso riesige Fliegen und wir konnten auch einen tödlichen Kampf zwischen zwei diesen Spezies angehörigen Objekten beobachten. Die Fliege verlor.

Es folgten auch weitere spannende Klettertouren von denen eine uns unverhofft in Restaurationsarbeiten auf der Mauer führte. Wir kamen nachdem wir etwas waghalsig die nicht passierbare Mauer über einen Umweg umklettert hatten (immer brav den roten Bändern folgend, in die wir aber leider mittlerweile etwas das Vertrauen verloren hatten) an der höchsten Stelle dieses Teils der Mauer wieder hoch zur Mauer und hatten neben einen gewaltigen Ausblick auch den Blick frei auf die Arbeiter. Wie wohl schon vor Hunderten von Jahren hackten diese zähen Männer mit Spaten und Hacken die Wurzeln der Bäume und Sträucher von der Mauer. Etwas weiter hinten wurde auch schon neu gemauert und wir konnten nur wenig später beim Abstieg beobachten wie ein Maultiertreiber, mit Steinen voll beladene erschöpfte Maultiere, den Hügel hochtrieb. Trotz Chinas Modernität wurde hier auf alte Methoden gesetzt. Leider waren die Baumaterialien aber neu und industriell gefertigt und wir waren froh die meiste Zeit auf unseren Touren, den alten Charme der Mauer noch erlebt zu haben.

So verbrachten wir auch eine Nacht in einem alten Wachturm auf der Mauer. Nachdem wir zunächst unser Lager unter freiem Himmel auf dem Wachturm errichtet hatten, mussten wir leider doch ins Innere des Turms umziehen, da ein Gewitter herannahte. So konnten wir gut geschützt das Wetterleuchten und die Blitze am Himmel über der Mauer und den Bergen und später den wieder sternenklaren Himmel beobachten.

Wir trafen nur sehr wenige Leute unterwegs und es war eine willkommene Abwechslung am letzten Abend in Xihazi Jamie zu treffen, einen Amerikaner der mit seiner chinesischen Freundin, die gerade eine Nierentransplantation hinter sich hatte, ausspannte. Jamie war eine Art Showmaster, der ohne Pause Geschichten aus seinem Leben erzählte. Wandernd auf der Mauer und an vielen anderen Orten der Welt, wäre er bestimmt mindestens zehn mal fast gestorben. Für uns war das ein bisschen wie Fernsehen, also sich einfach angenehm berieseln lassen und Jamie spendierte uns auch noch ein paar Bier.

Weniger erfreulich war die Begegnung mit einem etwa zweijährigen Gangster, dem Querulanten aus em Restaurant, der im Xihazi Dorf sein Unwesen trieb und besonders Linda terrorisierte. Schon am ersten Abend war uns der kleine Querulant negativ aufgefallen, doch wir ahnten noch nicht welches Ausmaß, die Ausfälle des Bengels annehmen konnten. Als wir auf das für chinesische Verhältnisse leider mäßig gute Essen warteten, kam plötzlich aus der Küche auf seinem Bobbycar mit einem Affenzahn das Terrorkind angefahren. Mit quietschenden Reifen um die Kurven, zwei Knarren auf der Rückablage. Noch im Vorbeifahren zog er eine der Waffen und feuerte auf uns ab. Jeroen ging sofort zu Boden, doch das war wohl ein Fehler, den das Kind witterte Spiel. Er kam auf Linda zu und forderte sie mit der Waffe auf mitzukommen. Spielen. Linda weigerte sich woraufhin das kleine Monster einen Tobsuchtsanfall bekam, um sich schlug und biss und nicht zuletzt Linda mit beiden Waffen erschoss. Wir forderten die Rechnung und verließen das Restaurant so schnell wie möglich.

Am nächsten Tag machten wir uns also auf zum letzten Abschnitt auf der Mauer, Richtung Mutianyu, die Route, die wir eigentlich vorhatten zu gehen. Ohne besondere Zwischenfälle doch ein letztes mal die bröcklige Mauer unter unseren Füßen spürend, kamen wir schließlich in Mutianyu an. Mutianyu war ein Mauerpark, für den man, wenn man von unten kam, Eintritt bezahlen musste. Wir aber kamen von oben nach 5 Tagen auf der Mauer obwohl nur ausgerüstet für zwei. Schmutzig mit großen Rucksäcken und Wanderstöcken in der Hand. Ernährt zu etwa 30 Prozent von labbrigem Erdnussbuttertoast. Während die Mauer hier für uns eher eine Enttäuschung war im Vergleich zum wilderen Teil, waren die Begegnungen mit den vielen Touristen dort doch sehr amüsant. Mit großen Augen betrachteten uns viele „Kommt ihr von der anderen Seite?“. Wir fühlten uns wie Helden oder Aliens. Eins von beidem je nachdem ob man sich auf die Bewunderung oder den nicht mehr ganz zivilisationsfähigen Zustand unseres Äußeren konzentrierte.

Wir wollten eigentlich runter gehen zu einer Badestelle, die wir in Dans Wanderbuch gesehen hatte. Erst unten stellten wir aber fest, wir waren an der falschen Seite abgestiegen. Da wir nicht ohne Eintritt zu Zahlen wieder hoch durften (trotz unseres Einwands: wir wollen ja gar nicht zur Mauer, wir wollen nur drüber!) nahmen wir letztendlich ein Taxi um doch noch zu dem kleinen Park mit der Badestelle zu gelangen. Da der Park schon zu hatte schlugen wir unauffällig unser Zelt auf dem Parkplatz davor auf. Obwohl viele Leute mit Taschenlampen unterwegs waren schien uns keiner zu bemerken und so konnten wir uns am nächsten Tag in der eher einer hübschen aber kleinen Pfütze gleichenden Badestelle waschen und nach einer letzten etwas versteckten Nacht im Park ging es zurück nach Beijing!

the-wall
Chinese wall
linda-climbing-wall-2
Linda climbing

 

jeroen-climbing-wall
Jeroen climbing

 

jeroen-eating-toast
Jeroen eating peanutbutter toast
toast-wall
Toast
jeroen-sunset-wall
Jeroen on the wall
linda-yoga-wall
Morning excercise
mules-building-wall
Mules carrying stones up the wall
spider-killing-fly
Spider killing fly
terror-child
Terrorkid
the-red-ribbon
Red ribbon

 

green-caterpillar
Green caterpillar

Andersartigkeiten

Beijing, September 2016
Da wir in Beijing leider zunächst keinen Couchsurfing host gefunden hatten, machten wir uns auf die Suche nach einem Hostel, denn es war schon Mitternacht. Doch oh schreck! Alle Hostel waren entweder schon voll, zu teuer oder nahmen nur Chinesen auf. Eines der Hostel erlaubte uns das Internet zu nutzen und so fanden wir dann doch ein paar Hotels, die angeblich noch Platz hatten. Doch wir hatten unsere Rechnung ohne das chinesische Internet gemacht. Blauäugig hatten wir keinen vpn Klienten vor unserer Einreise installiert, um die ums Internet gebaute chinesische Mauer zu durchbrechen. Noch unfähig die chinesische google Alternative, baidu und deren entsprechende Karte zu nutzen und mit unserer offline open source map nur falsche Orte anzeigend, suchten wir nach diesen angeblich noch freien Hotels. So streiften wir verzweifelt durch die Straßen, bis wir schließlich doch ein Hotel fanden, in dem wir vorher online ein Zimmer gebucht hatten. Nachdem die Leute dort uns dann eigentlich trotzdem nicht rein lassen wollten, aber aufgrund unser online Reservierung wohl irgendwie mussten, konnten wir endlich in die Betten sinken und schlafen.

Am nächsten Tag hatten wir dann unsere erste Begegnung mit einem English sprechenden Chinesen. An der Hotelrezeption, gerade am Einchecken während wir auscheckten, befand sich eine kleine Gestalt mit großer Brille, blauem T-Shirt, gelben dreiviertel Shorts und grünen Crocs und stellte sich uns sogleich als „Captain China“ vor. Captain China war vieles. Er verstand sich selbst als Touristenbegleiter, Standup Comedian und Bierkenner und wir konnten gleich mehr oder weniger in den Genuss aller drei Eigenschaften kommen. So lud Captain China uns, nicht bevor er ein paar schlechte Witze über die Deutschen gemacht und die Niederländer gepriesen hatte, in den kleinen Laden gegenüber des Hotels ein. Wir wollten Kaffee, gab’s aber nicht. Also versuchten wir es mit Tee und mussten schockiert feststellen, den gab’s auch nicht! Kein Tee in China! Es gab aber selbstgemachten IPA und obwohl uns um 10 Uhr Morgens eigentlich eher nicht der Sinn nach Bier stand, probierten wir gerne einen Schluck, den uns der nette Besitzer, Hersteller und Verkäufer zugleich, anbot. Der quirlige Captain China indessen nippte an seinem halben Liter, versuchte immer wieder ein paar schlechte Witze zu machen und erzählte uns über Beijing und China. Als das Gespräch zu einigen kritischen Punkten über die chinesische Politik schweifte, merkte Captain China nur zerknirscht an „Ich habe keine Wahl…“. Richtig, in China gibt es zwar eine Wahl, aber nur eine Partei die man wählen kann. Obwohl wir das Gefühl hatten, in China mehr Leute zu treffen, die zumindest ein klein bisschen kritisch gegenüber der Regierung waren, war der Vergleich zu Russland aus einem anderen Grund besonders spannend. Nach unseren Maßstäben ist die chinesische Regierung zwar vielleicht noch schlimmer als die russische, im Sinne der Einschränkung von Menschenrechten, aber ein entscheidender Unterschied hierbei ist: Den meisten Leuten in China geht es wirtschaftlich viel besser, als noch vor 20 Jahren. Das war für uns eine neue Dimension. Es fiel leichter eine Akzeptanz der Regierung hinzunehmen, wenn man die wirtschaftliche Entwicklung in China in den letzten Jahrzehnten betrachtet. Für viele Leute hat sich wirklich viel verbessert.

In Beijing trafen wir auch Owen, der als chinesischer Reporter für die in China verbotene New York Times arbeitet und bekamen so noch einen tieferen Einblick in die Restriktionen, die die chinesische Regierung der Meinungsäußerung auferlegt. Für Owen war klar, über kritische Themen könne er nicht schreiben. Als ausländischer Journalist in China sei das vielleicht noch möglich, das schlimmste, was dann passieren könne, sei des Landes verwiesen zu werden. Einen chinesischen Reporter könne das Gefängnis oder Schlimmeres erwarten. Für Owen, etwa Mitte zwanzig, war auch klar: Mit dreißig wolle er den Journalismus an den Nagel hängen, zu gefährlich, kaum Geld oder alternativ nur regierungskonform berichten.

Kurioserweise war das Leben für Mike, der uns dann doch noch über couchsurfing einlud, verhältnismäßig luxuriös. Mike arbeitete als Herausgeber für eine englischsprachige zensierte chinesische Tageszeitung China Daily und hatte so als amerikanischer Journalist in China mehr Glück als sein chinesisches Gegenüber. So konnten wir sehr komfortabel ein paar Nächte bei Mike bleiben und Vorbereitungen für die pakistanischen Visa treffen. Diese sind nämlich nicht nur deshalb nicht leicht zu kriegen, da man sie nur im Wohnsitzland, sprich Deutschland, beantragen kann, sondern auch da die zuständige Bearbeiterin in der Berliner Botschaft eine Kunst daraus entwickelt hat, so unfreundlich und wenig hilfsbereit wie möglich zu jedem zu sein, der auf die absurde Idee kommt, aus China ein Pakistanvisum beantragen zu wollen. Doch nach einer Weile war alles organisiert, die Pässe per Express nach Deutschland geschickt, in der Hoffnung diese dann in drei Wochen bei Sisy Lee, der Schwester des Porschefahrers an der chinesischen Ostküste in Qingdao wieder abholen zu können.

Beijing war wie schon China an sich, anders als erwartet. Wir hatten eine verrauchte Smogwolke über der Stadt erwartet aber wurden von einem strahlend blauem Himmel begrüßt. Der blaue Himmel schien für uns aber willkommener als für so manche Chinesin. Viele Chinesinnen scheinen besessen zu sein mit heller Haut, die hier noch als eine Art Statussymbol für Wohlstand und gute Herkunft steht. Trotz der Wärme waren viele mit Handschuhen, Tüchern grossen Hüten und Schirmen ausgestattet, um sich vor der Sonne zu schützen. Wir hörten so auch das erste Mal vom Facekini einer Art Badekappe, die man sich über das Gesicht ziehen kann. Damit sieht man dann zwar aus wie ein schwimmender Bankräuber, ist aber vor der bösen Sonne komplett sicher.

Anders als erwartet war auch, dass wir davon ausgingen in eine pulsierende Millionenstadt mit verrückten Hochhäusern zu kommen. Beijing hingegen war vor allem durch kleine Gassen um traditionelle Wohnblöcke, Hutongs, gekennzeichnet. Hier hing die Wäsche an den Stromleitungen und schnell konnten wir auch eine weitere chinesische Eigenart beobachten. Nackte Kinderpopos! Viele chinesische Familien statten ihre Kleinsten nicht mit Windeln aus, wer will auch schon gern Plastik um den Hintern sondern schneiden ganz einfach große Löcher in die Hosen der Kleinen, natürlich hübsch vernäht. So werden die kleinen Popos dann immer frisch vom Wind umweht und wenn einer muss, wird er oder sie einfach schnell, zumeist von den Großeltern, die in der Regel die Kinderbetreuung übernehmen, über ein Beet, hinter ein Auto oder über eine Mülltonne gehalten.

In China geht es schon früh in die Rente. Die Mitfünfziger und älter kann man daher entweder mit den Enkelkindern im Park, aber auch alleine Tai Qi und Dehnübungen machend beobachten. Die Flexibilität vieler älterer Leute ist dabei extrem beeindruckend. 70-80 jährige schwingen mit Leichtigkeit mal ein Bein über ein Brückengeländer. Ein weiterer gern geübter Sport scheint auch das „Abrollen“ zu sein. Dabei bediene man sich bestimmter Fitnessgeräte und rolle alle Körperteile mal kräftig darüber. Besonders witzig war dabei, eine ältere Dame zu beobachten, die Sage und Schreibe 15 Minuten ihren Allerwertesten auf einem Fitnessgerät abrubbelte. Die Rentner kann man auch in großen Gruppen fesch tanzend im Park, vor Einkaufszentren oder auf öffentlichen Plätzen beobachten. Das Tanzen in Gruppen scheint in China groß angesagt zu sein. So rufen auch die Schulen nach dem Morgenmanöver zum Tanz auf, wie wir jeden morgen aus Mikes Wohnung bezeugen konnten. Aus lauten Boxen schallt die Musik während die Kinder fröhlich in ihren blauen nach Jogginganzügen aussehenden Schuluniformen dazu auf und ab hüpfen.

Mike nahm sich trotz seiner Arbeit viel Zeit für uns. Er zeigte uns verschiedene Ecken der Stadt, nahm uns mit zu den Seen und weihte uns in die Welt des Scopens ein. Das ist ein Art live Video Übertragung, von dem was man gerade so macht. Mike nahm uns mit zu einem Spaziergang zu den Seen in Beijing und wir waren online. Das Scopen bestand darin einen Teil des Spaziergangs zu filmen, vor allem aber aktive Konversationen mit den Followern zu führen. So begrüßte Mike jeden der sich dazu schaltete persönlich und fragte viele nach ihrem Befinden. Mike hat eine große Followergemeinde und kann sich darüber sogar ein kleines zusätzliches Einkommen sichern. An diesem Tag hatten die Fans besonderes Glück, denn wir stolperten plötzlich in eine kleine Live Performance. Neben dem Tanzen in großen Gruppen, scheint in China wohl auch angesagt, kleine Sing-, Verkleide- und Tanz- Performances zu starten. Das Ganze nicht etwa für Geld sondern einfach nur so zum Spaß. Der chinesische Gesang ist ziemlich interessant aber für die armen westeuropäischen Ohren als stark gewöhnungsbedürftig zu bezeichnen. Milde ausgedrückt glich das ganze einem Katzenjammer.

Mike nahm uns auch mit auf die Abschiedsparty eines brasilianischen Freundes, dass ein brasilianisches Diplomaten/Journalisten Pärchen für diesen organisiert hatte. Wir fanden uns umgeben von brasilianischen Diplomaten in einer schnieken Wohnung wieder und wurden mit leckeren kleinen Häppchen gefüttert. In dem Gebäude waren neben Diplomatenwohnungen auch viele kleine Botschaften untergebracht und wir hatten schon Hoffnung das ganze Pakistanvisumsgetu vielleicht doch noch über persönliche diplomatische Kontakte umgehen zu können. Leider zerschlug sich diese Hoffnung schnell und die Party war auch bald vorbei, da die Diplomaten sich um den G20 in Schanghai am nächsten Morgen kümmern mussten.

Für uns stand am nächsten Morgen bloß der Besuch der verbotenen Stadt an, die so überfüllt war, dass wir eher das Leben einer Sardine in der Büchse als das der chinesischen Kaiser nachempfinden konnten. Zumindest führte das allgemeine Chaos dazu, dass wir etwas weniger auffielen und so von vielen Fotos verschont blieben. Ansonsten waren wir gern geschossene Fotoobjekte. Vor allem natürlich Jeroen mit seinen fast zwei Metern. So versammelten sich kichernde Mädchen unter ihm in der U-Bahn und versuchten heimlich im Selfiemode ein Foto mit ihm zu ergattern. Ein beliebter Trick für die Schüchternen war auch der Handy-hinter-Zeitung-Fotomachmodus (HhZF) oder haarscharf-vorbeilaufen-Freundin-tut-so-als-ob-sie-gar-nicht-die-Fremden-sondern-nur-mich-fotografiert-Fotomachmodus (hvFtsaosgndFsnmfF). Freundlicher waren die Mutigeren, die sich uns mit etwas Small Talk annäherten und dann fröhlich mit einem, zwei oder drei Fotos auf der Kamera davon zuckelten. Insgesamt war die Neugier mancher Chinesen, eine sehr nette Neugier und wir waren froh, auch wenn es vornehmlich um das Foto ging, über dieses Medium mit vielen netten Leuten kurz ins Gespräch zu kommen.

Während wir also so durch die Gassen Beijings strichen und zwischendurch in die Kameras lächelten, merkten wir, dass es eine weitere chinesische Eigenart gab, vor der es sich zu hüten galt. Hier heißt es Ohren auf, wenn man einen Chinesen überholt! So hört man das Warnsignal, wenn aus dem tiefsten inneren Speichel und Schleim heraufgeholt und ohne Rücksicht auf Verluste mit Schmackes zur Seite gespuckt wird. Wir konnten diesen Minigeschossen geschickt entweichen, allerdings berichtete Mike, er habe auf dem Roller beim Überholen mal die volle Ladung ins Gesicht gekriegt. Der nichtsahnende Chinese von dem der Angriff ausgegangen war, verstand natürlich nicht warum dieser große schwarze Mann ihn mit wild fuchtelnden Gesten anfauchte und fuhr bloß etwas verwirrt aber unbekümmert von dannen.

Trotz all der Andersartigkeiten, waren aber auch hier die Ähnlichkeiten viel offensichtlicher. Wir begegneten unglaublich vielen freundlichen Leuten und einer großen Hilfsbereitschaft. Obwohl es sich in Beijing für uns mit erstaunlich klarem Himmel und einem göttlichen Essensangebot durchaus aushielten ließ, fühlten wir uns verpflichtet auch die wohl berühmteste Sehenswürdigkeit Chinas, die chinesische Mauer zu besuchen und machten uns so nach ein paar netten Tagen mit Mike auf, die chinesische Mauer zu erkunden.

beijing-ice
Jeroen eating ice cream
beijing-metro
Multimediametro
hutong
Inside the Hutong
lakes-beijing
The lakes
laundry-and-chaos
Laundry and chaos
lotus-in-beihai-park
Lotus in Beihai park
mao-forbidden-city
Mao in front of forbidden city
overcrowded-forbidden-citz
Overcrowded forbidden city
shopping-rain-beijing
Shopping street in the rain
street-and-blue-sky
Traffic
temple-of-heaven-with-child
Child in front of temple of heaven
Zebracrossing
Zebracrossing

„Chinese saying goes eat will not homesick“

Beijing, August 2016

China hat uns überrascht! Wie sagte noch der kleine Bär zum kleinen Tiger? “In Panama ist alles viel schöner und grösser!” So kamen wir in der Grenzstadt Eerenhot an und staunten nicht schlecht. Roller, Rikschas und Autos rollten über Hochglanzstraßen. So eine Infrastruktur hätten wir vielleicht direkt um Beijing herum erwartet, aber doch nicht in der inneren Mongolei (eine Provinz von China)! Vielleicht nur so ein Angeberding, wie Putins Straße an der mongolisch-kasachischen Grenze in den Altaibergen dachten wir uns und staunten nicht schlecht, dass sogar hier im Westen von China, in dem wir mittlerweile angekommen sind, die Straßen denen im Osten in nichts nachstehen. Während wir über die Straßen staunten, staunten die Chinesen über uns. Gleich in Eerenhot direkt hinter der mongolischen Grenze fing es an und hörte nicht mehr auf. So liefen Kinder an uns vorbei, rissen mit einem lauten „Boah“ die Augen weit auf und holten ihre Freunde, um sich die eigenartigen Gestalten mal anzuschauen. Rikschafahrer verdrehten die Köpfe und konnten nur knapp ein paar Auffahrunfällen entgehen. Viele Leute wollten Fotos mit oder zumindest von uns. Wir fühlten uns zum ersten Mal im Leben wie richtige Stars.

So zogen wir durch Eerenhot und während wir durch den Schwarzmarkt (da gibt es fast alles), den Supermarkt (da gibt es echt alles, …außer Brot) und ein paar Straßen schlenderten, versuchten wir das Abenteuer, Trampen in China, noch etwas hinauszuschieben. Wir hatten schon gehört, dass Trampen in China nicht weit verbreitet ist, aber die Leute durchaus neugierig sind und trotzdem halten. Die Neugier hatten wir auf unserer Seite und außerdem einen Zettel von einem netten Chinesen, den wir in der Mongolei getroffen hatten, auf dem unsere Art des Reisens und die Bitte uns ein Stück mitzunehmen, auf Chinesisch erklärt standen. So wurden wir schon kurz darauf von einem chinesischen Pärchen, 30 km aus der Stadt gefahren und beschlossen dort unser Zelt aufzuschlagen. Dort in der inneren Mongolei konnten wir noch einmal in mongolische Melancholie verfallen und eine Pferdeherde im Sonnenuntergang beobachten.

Wir stellten uns am nächsten Tag wieder frisch und ausgeruht an die Straße. Sehr schnell hielt auch ein Auto, allerdings sehr weit von uns entfernt. Bestimmt nicht wegen uns, doch dann: Das Auto bewegte sich, schwer auszumachen ob rückwärts oder vorwärts. Tatsächlich rückwärts, leicht nach links. Stop. Ein bisschen vorwärts. Also wohl doch nicht. Häh, wieder rückwärts, diesmal leicht nach rechts. Stop. Hmmm. Wieder rückwärts, leicht nach links. Und wir begriffen: Da versuchte doch tatsächlich jemand verzweifelt seinen luxuriösen Mercedes rückwärts entlang des Seitenstreifens zu fahren um uns mitzunehmen. Wir waren gerührt, packten also unsere Taschen und rannten zum Auto, um den armen Fahrer, wie sich zu Lindas großer Enttäuschung herausstellte, eine Frau, von dieser unerfüllbaren Aufgabe zu befreien. Glücklicherweise stellte sich später heraus, dass auch chinesische Männer nichts vom Rückwärtsfahren halten. So hielten die Chinesen, die uns mitnahmen in der Regel einfach mitten auf der Straße, wenn doch jemand zurücksetzen wollte, dann indem einfach das Auto gewendet und auf dem Seitenstreifen als Geisterfahrer zurückgefahren kam.

Die nette Dame und ihre Tochter, die es mit dem Rückwärtsfahren zumindest versuchten, nahmen uns also mit zur nächst größeren Stadt, wo wir kurz darauf in Lee Fans Porsche hüpften, der uns die ganzen 650 km nach Beijing mitnahm. Die Angst vorm Trampen in China war wie weggeblasen und wie der Mensch so ist, mit einer Stichprobe von zwei Autos, bildeten wir uns natürlich auch gleich ein, in China trampe man nur in Luxusautos.

Im Auto mit Lee Fan stellten seine Schwester Sisy am Telefon und eine Übersetzungsapp sich als große Helfer heraus, da Fan leider kaum Englisch sprach. Der arme Fan schaute immer etwas verwirrt, wenn wir zwischendurch lauthals zu lachen ausbrachen, da die App teilweise sehr lustige Übersetzungen zustande brachte ( „Dumplings are Chinese people will eat and dumplings are not this season then in the evening I take you to eat it leek dumplings you eat it.“) Das hielt ihn aber nicht davon ab, uns gleich zweimal zum Essen einzuladen und wir lernten das chinesische Essen sofort lieben. Auch hier ganz im Gegensatz zu unseren durch die westeuropäisch meist fastfoodähnliche chinesische Küche Erwartungen wurden wir in China sogleich kulinarisch überrascht und freuten uns umso mehr auf die zwei Monate, die die chinesische Botschaft uns in dem riesigen Land gestattet hatte. Wir waren aber auch etwas verunsichert. Darf man sich in China beim Essen die Nase putzen? Müssen wir schmatzen und schlürfen, um unsere Dankbarkeit zu zeigen?

Als wir also in Fans Schlepptau zum Abendessen im Restaurant in Beijing schlurften, konnten wir gleich ein paar chinesische Eigenarten beobachten. Chinesische Männer lieben es, ihr T-Shirt über dem Bauch einzuklemmen und so den Bauch gut durchzulüften. Das T-Shirt wird dabei also nicht ausgezogen. Wem der passende Bauch dazu noch fehlt, der klemme das T-Shirt einfach unter die Achseln. Wir probierten das später auch. Ist tatsächlich sehr zu empfehlen.

Das Schmatzen scheint eine weitere chinesische Eigenart. Uns Westeuropäern schon auf Kindesbeinen mit harter Arbeit abtrainiert. Aber warum eigentlich? Wie jeder Weinkenner oder russischer Teekenner wohl bestätigen kann muss Geschmack atmen. Das lässt sich dadurch erreichen, möglichst viel Sauerstoff an die Nahrung zu lassen. Das heißt also schlürf die Suppe, schmatz das Essen und alle Feinheiten der chinesischen Küche Werden sich zu einem wahren Geschmackserlebnis entfalten. Während also das chinesische Essen uns durchaus half, unsere Sehnsucht nach Hause zu schmälern, wissen wir schon jetzt, dass das chinesische Essen uns fehlen wird. Wie Lee Fans App es ausdrückte: „Chinese saying goes eat will not homesick“.

Chinese saying
Chinese saying
First impression China - Ehrengot
First impression China – Ehrengot
Hitchhiking in CHina's Inner Mongolia
Hitchhiking in China’s Inner Mongolia
Camping in the steppes of China
Camping in the steppes of China
Sunset Inner Mongolia
Sunset Inner Mongolia
Fan and his Porsche
Fan and his Porsche

Dan’s Podcast

Beijing, September 10 2016

Als wir in Beijing bei Dan und Katie waren, hat Dan mit uns einen Podcast über unsere Reise aufgenommen. Das Gespräch ist auf Englisch und ist hier zu finden: http://1000daysbetween.com/2016/09/atw-podcast-episode-17-jeroen-and-linda/

Dan arbeitet als Englisch Lehrer in Beijing und schreibt über seine Reiserlebnisse auf seinem Blog, er hat sogar sein eigenes Buch über die Zeit, die er in Süd-Amerika verbracht hat, veröffentlicht: „1000 Days Between“!