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Passu und die Politik

November 2016

Das Hunzatal ist so schön! Überall gibt es Aprikosen-, Apfel-, und Kirschbäume. Wir stolperten genau in die Apfelsaison und wurden außerdem mit sonnengetrockneten Aprikosen, Mandeln und Wallnüssen von den freundlichen Bewohnern des Hunzatals versorgt. Angeblich erreichen die Bewohner des Tals ein stattliches Durchschnittsalter von hundert Jahren. Obwohl dies wohl nicht ganz der Wahrheit entspricht, waren wir beeindruckt von der Rüstigkeit der alten Damen, die uns auf einer Wanderung in Passu begegneten.

Aber nicht nur körperlich haben die Hunzakutz so einiges drauf. Im Hunzatal gibt es zudem mit über 95% die höchste Rate derer die Lesen und Schreiben können. Viele sprechen auch super Englisch. Eine große Mehrheit der Bewohner des Hunzatals sind die Ismailiten. Das ist eine äußert fortschrittliche Shiareligion, die ihrem Führer, dem Aga Khan, folgen. Schon seit den 50er Jahren hat der Aga Khan durch verschiedene Pamphlete die Entwicklung der Ismailiten bedeutend vorangetrieben. Mit einem Fokus auf Bildung, besonders von Frauen, und gemeindebasierte Entwicklungsprojekte, hat sich der Lebensstandard für die meisten Bewohner des Hunzatals drastisch erhöht.

In der Region gibt es viele Gemeindeentwicklungsprojekte, über die uns der freundliche Hotelverwalter bei unserem Besuch in Karimabad aufklärte. Teils werden diese Projekte von ausländischen Gebern, mittlerweile zu einem großen Teil aber auch von lokalen Gebern und vor allem auch durch freiwilliges Engagement der Menschen vor Ort unterstützt. Es gibt beispielsweise ein Projekt bei dem Frauen andere Frauen aus dem Karimabad gegenüberliegenden Nagar zu Lehrerinnen ausbilden. In Nagar lebt eine andere Shiagruppe, die lange Zeit an eher konservativen Werten festgehalten hat, sich nun aber zunehmend Bildung und Entwicklung zu öffnen scheint, wohl auch weil die positiven Veränderungen im Nachbardorf wahrgenommen wurden.

Auf einer Wanderung in Passu fesselte uns aber zunächst die Schönheit des Tales. Der Hunzafluss wird dort von Bergen, teilweise über 6000 m hoch, eingerahmt und wir konnten uns an goldgelben Aprikosen- und voll behangenen Apfelbäumen erquicken, während mystische Staubwolken über den Fluss geblasen wurden. Vorbei an kleinen Häuschen, aus den lokalen großen Steinen gebaut und durch Sanddornwälder fühlten wir uns egal wo wir hinschauten wie in einem National Geographic Dokumentarfilm mit hoher Auflösung. Vielleicht lag das auch mit an den grusligen Hängebrücken, die uns auf dem Weg begegneten. Der Abstand zwischen den Brettern hätte garantiert keiner deutschen Sicherheitsprüfung standgehalten und das andere Ufer war fern. Während wir verkrampft beide Drahtseile festhaltend, mit zitternden Knien den etwa 20 m unter uns reißenden Fluss beobachtend, dazu noch bei einem Wind, der Jeroen die Sonnenbrille von der Nase wehte, und uns so langsam über die Brücke vortasteten, stapften die Hunzafrauen munter und flott, freundlich grüßend, an uns vorbei auf dem Weg zum Kühe melken.

Auf der anderen Seite in Hussaini angekommen begegneten wir auch ein paar jungen Talbewohnern. Während sie Jeroens Auskunft, er sei aus Holland mit einem Schulterzucken abtaten, leuchteten die Augen auf als Linda ihre Herkunft preisgab: „Deutschland! Oh wie großartig! Deutsche sind so stark und mutig!“ Wir dachten zurück an unsere Leistung auf der Hängebrücke kurz zuvor und waren nicht sonderlich überzeugt. Nach genauerem Nachfragen mussten wir feststellen, dass sich die Vorliebe für den Herrn Hitler nicht nur auf die Uighuren in China beschränkt. Auch in Pakistan begegnete uns breiter Zuspruch für den Völkermörder. Nur zur Info auch in Kasachstan und der Mongolei wurden wir mit einem grusligen Enthusiasmus für Hitler konfrontiert. Die jungen Hussaini waren begeistert von Hitlers Fähigkeit Massen zu mobilisieren und überzeugt davon, in Pakistan bräuchte es eine gewalttätige Revolution. Die Frustration mit der jetzigen Situation konnten wir gut nachvollziehen. Die Grenzregionen zu Afghanistan wird ständig von Terror bedroht, ähnlich ist es in Belutschistan, der Grenzregion mit dem Iran, auch in vielen Städten kommt es immer wieder zu Terrorattacken und der Krieg mit Indien dauert schon seit über 75 Jahren an. Das einzige Grenzland, mit dem Pakistan freundliche Beziehungen hegt, ist China. China investiert heftig in Pakistans Infrastruktur, um einen direkten Zugang für Waren aus Chinas Westen zum pakistanischen Hafen zu bekommen. Es gibt Hoffnung, das Pakistan davon profitieren wird. Mit Blick auf die Politik jedoch, die von Korruption durchwachsen ist, scheint schon vorprogrammiert, wer von diesen Investitionen letztendlich profitieren wird.

Auch der Tourismus ist im Hunzatal seit 9/11 um 90% zurückgegangen. Seit 2001 galt Pakistan als Terrorismusland. Tourismus aus dem Westen stoppte beinahe komplett. Jetzt hat sich nach und nach ein lokaler Tourismus aus Pakistan eingebürgert und außerdem kommen mehr und mehr Japaner, Koreaner und natürlich Chinesen, um die Schönheit der Region zu bewundern. Die Japaner kommen vor allem für die Kirschblüten und die gute Aprikosenkernseife. Nach und nach kommen auch aus dem Westen immer mal wieder Touristen in die Region. Es gibt viele Bemühungen, den Tourismus im Land wieder aufleben zu lassen. So stolperten wir auf unserer Wanderung auch in eine Aljazeera Reportage über Tourismus und Klimawandel (der Passu Gletscher scheint trotz Klimaerwärmung zu wachsen und nicht zu schmelzen) und der Reporter lief gleich auf uns zu, um uns zu interviewen.

Linda, die Schwierigkeiten hatte, sich medienwirksam auszudrücken- man will ja nicht gleich nach einem Tag generalisieren- musste dann noch drei mal wiederholen, dass soweit sie das jetzt beurteilen könne, Passu der schönste Ort der Reise sei, und dann durften wir weitergehen.

Etwas zügiger als gedacht ging es nach Karimabad. Jeroen ging es nicht gut und er bekam im, im Vergleich zu Russland, auffallend gutem kleinen Krankenhaus, eine Pleuritis diagnostiziert. Zum Glück war gerade Mambu, ein Hotelverwalter dort, der uns dann einen super Preis in einem Hotel mit Aussicht anbot und uns auch gleich in seinem kleinen weißen Minivan dort hinfuhr, um ein paar Tage auszuruhen.

Wir begannen uns schon fast ein bisschen zu Hause zu fühlen. Das hatten wir zu einem großen Teil der lieben Lal Shezadi zu verdanken. Sie hatte das kleinste Restaurant Karimabads eröffnet und bekochte dort die Gäste mit den leckersten traditionellen Gerichten des Hunzatals. Neben den ausgesprochenen Köstlichkeiten war Lal Shezadis besondere Persönlichkeit, was uns immer wieder in die kleine gemütliche Holzbude zog. „Ich mag diese Leute nicht“ und besonders häufig „Ich mag keine Pakistani“ vertraute Lal uns mit leicht vorgebeugter Körperhaltung und kaum gesenkter Stimme an, wenn ein paar ihrer Kunden gerade den Laden verließen. Zum Glück nahmen ihre Kunden diese Bissigkeit mit Humor und wir hatten ein paar sehr nette Unterhaltungen in der kleinen Bude. Europäer schien Lal gern zu mögen und so wurden wir auch zur Geburtstagsfeier zwei ihrer Kinder eingeladen und durften Torte essen.

In Lals Restaurant wurde immer in Schichten gegessen. Am besten gab man schon ein oder zwei Stunden vorher Bescheid, was man gerne Essen wollte, und wenn neue Kunden kamen, wurden die Plätze geräumt. Wir durften aber meist trotzdem auf Lals Winken in der Ecke sitzen bleiben und trafen so jede Menge netter Leute in Lals kleinem Restaurant.

So endeten wir an einem Abend auch mit einer Flasche Wein, die ein dänisches Pärchen noch aus Kirgistan mitgenommen hatte und einer großen Gruppe Pakistani und einer Handvoll westlicher Touristen auf einem der Dächer in Karimabad und fragten uns erneut, warum wir nicht einfach alle miteinander auskommen….

Hike from Pasu to Hussaini
Autumn colors in between Pasu and Hussaini
More autumn between Pasu and Hussaini
Batura glacier near Pasu
Pasu street
Autumn colors in Pasu
Hunza river near Pasu
Suspension bridge near Pasu
Hotel Karimabad
Goat in Karimabad
Way to Altit
Mountain view in Karimabad
Cat in Altit
Linda and cat in Altit
Lal and Linda

Lal and her children

„Dieser Mann ist sehr alt, er kennt den Weg“

China, Oktober 2016

„Allah-u-Akbar“ tönt es von den Minaretten. Fünf Uhr morgens und eigentlich wollen wir noch schlafen, aber naja, „inshallah“ hört es gleich wieder auf. Seltsam, diese Vorbereitung auf das Paradies, wenn man sich eigentlich schon in diesem befindet. Das Hunzatal in das wir über den Kunjherab Pass aus China eingereist sind, ist wahrscheinlich der schönste Ort, der uns auf unserer Reise bisher begegnet ist. Alles leuchtet in Herbstfarben, dahinter türmen sich Berge mit weißen Spitzen auf.

Schon der Weg von Kashgar über den Karakorum Highway in Richtung Pakistan war ein wahrer Augenschmaus. Von Kashgar brachen wir trampend nach Süden auf. Zunächst also mit dem Bus etwas aus der Stadt. Vorbei an einer Polizeistation. Die Uiguren müssen sich abmelden, wenn sie von Stadt zu Stadt reisen. Wegen der Sicherheit. Also kurz gewartet und weiter aus der Stadt heraus. Von der schönen Umgebung konnten wir dort aber leider eher wenig sehen. Es tobte nämlich ein Sandsturm. Zwei Mitfahrgelegenheiten weiter waren wir auch tatsächlich mitten drin. Maskiert mit Mundschutz und Sonnenbrillen stellten wir uns also an den Weg und hofften, dass ein vorbeifahrendes Auto uns überhaupt sehen würde, denn die Luft war voller Sand. Die Rettung ließ nicht lang auf sich warten, als ein Jeep angefahren kam, in dem die ersten Tramper, die wir in China trafen, zwei Chinesen, saßen und auf der Rückbank für uns zusammen rückten. Schon nach wenigen Minuten beendete der Jeep aber seine Fahrt und so versuchten wir unser Glück zu viert mit Angela und Aron am Straßenrand. Ein Melonenwagen hielt, Angela stürmte mit vollem Enthusiasmus darauf zu und nachdem wir unsere Rucksäcke auf den Melonen verstaut hatten, fanden wir zum Glück alle einen Platz. Unser nächster freundlicher Fahrer fuhr uns zum Glück alle vier bis zum Karakol See, wo Angela und Aron spontan entschieden, uns Gesellschaft zu leisten.

Unser Fahrer hatte Kontakte am See und bat einen Freund uns vier für die Nacht aufzunehmen.
Wir alle beschlossen für unseren Gastgeber, Kaule und uns selbst zu kochen und machten uns auf zum Supermarkt. Auf Angela’s bewundernde Äußerung hin „ihr wisst wie man Knoblauch zubereitet!?!“, beschlossen wir den Teil des Kochens zu übernehmen.

Ein paar Freunde von Kaule kamen vorbei von denen einer bewundernd Jeroen bestaunte „zwei Meter groß!“, dafür gab es ein respektvolles Lächeln und ein Daumen hoch in Lindas Richtung, die sich sogleich fühlte, als habe sie einen prachtvollen Hirsch geschossen.
Die Nacht war leider weniger glorreich, da Kaule beschlossen hatte, mit seinen Kumpels die Nacht durchzuzechen. So versuchten wir also, Kopf neben dem Kohleofen, aus dem immer wieder große Rauchwolken kamen, der Abzug funktionierte wohl nicht richtig, mit Kaules lärmenden Gästen und einem voll aufgedrehten Fernseher über unseren Köpfen doch noch etwas Schlaf zu finden.
Die frische Bergluft am See am nächsten Morgen half uns den Schock der Nacht zu verarbeiten. Außerdem hatte Angela bei einer netten Familie im Dorf ein Frühstück für uns organisiert. Bei leckerem Milchtee und Brot konnten wir also wieder zu Kräften kommen und kurz darauf zogen wir weiter Richtung Taschkurgan.

In Taschkurgan leben viele Leute mit kirgisischem Hintergrund. Die Frauen tragen ganz lustige Kopfbedeckungen mit einem runden Hut über einem Tuch und die Männer begrüßen sich mit einer Art Faustkuss. Wir verbrachten die Nacht in einem Hotel, zum Zelten war es noch immer viel zu kalt, und wollten am nächsten Morgen den Bus nach Pakistan nehmen. Über die Grenze darf man leider nicht trampen und so versuchten wir morgens den Weg zum Bus zu finden.

Glücklicherweise stolperten wir sogleich in Mohammad und seinen älteren Begleiter. Die beiden Pakistani waren auch auf dem Weg zum Bus und boten uns ihre Hilfe an.

Leicht gestresst, da der Bus schon in einer halben Stunde abfahren sollte und wir gehört hatten, er sei oft schnell ausgebucht und vor dem Hintergrund nur noch einen Tag auf unserem Chinavisum zu haben, begaben wir uns dennoch vertrauensvoll in die Hände unser beiden Begleiter. Auf unsere ständigen Nachfragen, ob wir nicht langsam zum Bus gehen müssten, während unsere Begleiter uns noch seelenruhig zu einem reichhaltigen Frühstück einluden, versicherte Mohammed nur mit Blick auf unseren zweiten Begleiter: „Dieser Mann ist sehr, sehr alt. Er kennt den Weg.“

Und tatsächlich, mit absoluter Gelassenheit schafften die beiden es doch immer uns an den Anfang jeder Schlange und auf die besten Plätze im Bus zu befördern.

Damit folgte der atemberaubendste Grenzübergang unser Reise. Vorbei an den vielen Checkposts durch weiße Berge, vorbei an Highback Herden ging es hinauf zum über 4000 m hohen Khunjerab Pass. Mit lautem Gejubel aus dem Bus überquerten wir dann die Grenze. Wir waren in Pakistan!

Oben angekommen, dann gleich der erste Schreckmoment. Ein kleiner Reisebus war ins Schlingern gekommen und schien wie in Zeitlupe den Berg runterzurollen. Zum Glück nur etwa 2m tief. Alle Insassen kamen mit einem Schock davon und wir auch. Es waren dennoch alle Insassen unseres Busses, bis auf Linda ausschließlich Männer, zur Unglücksstelle geeilt, um den Insassen des anderen Busses, in diesem Fall fast ausschließlich junge Damen, zu helfen oder aber zumindest ein paar Selfies zu schießen.

Wir kamen zum Glück heil in Pakistan an und wurden in Passu mit leuchtenden Herbstfarben, vollen Apfelbäumen vor einer Kulisse aus weiß bestäubten Bergen belohnt. Bei einem Spaziergang im Abendlicht, glaubten wir vielleicht eine Antwort auf die sooft gestellte Frage nach dem schönsten Ort unser Reise zu haben: „das Hunzatal im Norden Pakistans.“

Hitchhiking in a sandstorm on the KKH
Bulungkol lake
Andrea (right) and Aaron (left) in Subaxcun
Baby Yak at Karakul Lake
Hitching from Subaxcun to Tashkurgan
In the bus from Tashkurgan to Sost
KKH towards the Kunjerab Pass
Autumn in Pasu in Pakistan

Kalte Berge

China, Oktober 2016

Wir kamen durch Zufall zum Nan Shan mit Yuko und Winshan, die uns irgendwo auf der Straße südlich von Urumqi aufpickten, nachdem ein freundlicher Minibusfahrer uns aus der Stadt gebracht hatte. Yuko und Winshan würden bald heiraten und waren auf einer Art Vorhochzeitsfotoreise, um an verschiedenen besonderes Spots Hochzeitsfotos zu schießen – das scheint so ein Ding in China zu sein. An diesem Abend waren sie ohne Fotoequipment unterwegs zum Nan Shan, dem Südberg. Das ist ein Gletscher, den man bei gutem Wetter im Süden Urumqis aufragen sieht. Sie schlugen spontan vor, uns dorthin mitzunehmen und danach wieder an der Hauptstraße abzusetzen.

Während wir immer höher fuhren und es draußen immer dunkler und kälter wurde, hatten wir zwar mit Unbehagen über die uns wahrscheinlich bevorstehende schrecklich kalte Nacht im Zelt zu kämpfen, aber die Aussicht die sich uns im Sonnenuntergang auf den Nan Shan bot, machte das Unbehagen wieder wett. Dennoch schien unser Vorhaben im Zelt zu schlafen im Angesicht der sich langsam auf den Pfützen formenden Eisschicht nicht unbedingt die beste Idee. Zum Glück gab es beim Nan Shan ein paar Jurten und nach Yukos Verhandlungsgeschick mit dem Jurtenbesitzer (wir verstehen kein Chinesisch, aber sie schien mit weinerlichem Ton irgendwie sowas zu sagen wie, dass wir im Zelt erfrieren würden und er doch Erbarmen haben solle) bekamen wir auch einen Schlafplatz und Kohle für den Ofen. Gemütlich warm war es noch immer nicht, aber um den Ofen gekauert teilten wir noch ein vorzügliches von der Jurtenbesitzerin gekochtes Abendessen mit Yuko und Winshan bis die beiden sich in der Nacht zurück auf den Weg nach Urumqi machten und wir uns in Winterjacken gehüllt unter 5 Decken in der Jurte ausbreiteten.

Wir beschlossen die Gegend um den Nan Shan am nächsten Morgen noch etwas zu erkunden und machten uns auf zu einer kleinen Schneewanderung in der Umgebung. Nach etwa 100 m laufen, kamen wir dann auf die grandiose Idee einen Schneemann zu bauen (wahrscheinlich trieb uns die Gewissheit in diesem Jahr keinen richtigen Winter mehr zu erleben) und so blieb die Schneewanderung eine kurze Wanderung, mit viel Spaß aber leider nassen Füssen. Es wurde auch Zeit weiterzukommen in niedrigere Gefilde, um die nächste Nacht dann vielleicht doch im Zelt zu überstehen. Wir trampten also los, fuhren zunächst in die falsche und dann wieder in die richtige Richtung und kamen gegen frühen Abend nach Ulanbherk Bekint, einem winzigen Dorf, wo es auch viel zu kalt war.

Wir beschlossen noch weiter zu trampen zur nächsten Stadt, die wieder niedriger wäre, aber zu unserem Glück hielt vor uns Gabli, der uns in sein Auto winkte und uns sogleich einen Schlafplatz anbot. So trafen wir Gablis kleine Familie, seine Frau Galiba, den kleinen Noahjason und den zehnjährigen Xiashan, die in ihrem kleinen Haus gemütlich zusammen wohnten. Gabli hatte kasachisch- kirgisische Wurzeln und das kleine Häuslein war mit vielen Teppichen auf einer Plattform und mit einem Kohleofen davor in diesem Stil eingerichtet. Es war unglaublich warm und gesellig mit den Vieren. Während Noahjason fröhlich mit seinen offenen Hosen (ganz im chinesischen Stil) auf der Plattform rumturnte und seine Eltern darüber wachten, dass er nicht aus Versehen runter auf den Ofen stürzte, wurden wir mit Essen und Milchtee versorgt und fühlten uns so wohl und so zu Hause wie schon seit langem nicht mehr. Während Gabli, Galiba und Xiashan sich beste Mühe gaben mit dem Englisch, das die drei zusammenkratzen konnten, eine Unterhaltung mit uns zu führen, sprang Noahjason immer wieder voll Vergnügen, den nackten Popo in die Luft gestreckt in einen Haufen Decken und Kissen.

Mit ein bisschen Wehmut doch voll Dankbarkeit für die schöne Begegnung stellten wir uns am nächsten Tag wieder an die Straße, die in der Morgenluft den Blick auf die atemberaubende Berglandschaft freigab. Nach einer Weile, die wir die Straße entlang marschierten, hielt dann auch ein Auto für uns. Einer der beiden Insassen hatte eine Verletzung am Bein und machte trotz unserer Proteste Platz für uns, was ihn in eine deutlich unkomfortablere Sitzposition brachte. Zum Glück hatten die beiden es nicht besonders weit und wir hüpften schon kurz darauf in einen Jeep. Die beiden Männer fuhren mit Mordsgeschwindigkeit die Berge hinauf und wir zitterten auf der Rückbank im Angesicht der Abgründe, die sich abwechselnd links und rechts von uns auftaten. Wir realisierten auch, dass Gabli uns in der Nacht zuvor wohl gerettet hatte. Wir konnten uns nicht vorstellen, jemand wäre auf die verrückte Idee gekommen, diesen unglaublich hohen Bergpass noch am Abend zu überwinden. Je höher wir kamen umso eisiger wurden die Straßen. Wir hörten irgendwann auf, die heruntergestürzten LKW zu zählen und waren erstaunt als wir tatsächlich einen Koloss entdeckten, der es gewagt hatte, sich die Berge trotz Eis und Schnee Richtung Urumqi hochzuwälzen.

So erreichten wir Heijing, wo wir zunächst Pläne machten, wie wir weitereisen würden. Die nassen Füße hatten bei Linda zu einer heftigen Erkältung geführt und wir beschlossen uns ein Hotel für die Nacht zu suchen und auszuruhen. Die chinesischen Hotels wollten uns aber nicht sondern nur Chinesen und so trampten wir noch ein Stück weiter Richtung Korla, nicht ohne davor noch einmal gründlich von der Polizei kontrolliert zu werden. Es hatte gerade jemand für uns gehalten, als das Polizeiauto vor unsere Füße rollte und drei Polizisten ausstiegen, die unsere Pässe und Taschen aufs Genaueste untersuchten. Wir hatten ein schlechtes Gewissen, weil der nette Kerl, der für uns gehalten hatte, geduldig wartete und die Kontrolle etwas überflüssig gründlich schien. Gekrönt wurde das ganze davon, dass die Herren Polizisten anscheinend vor allem eines wollten: ein Foto mit Jeroen. Als dieser einwilligte wurde mit strahlenden Augen vor dem Auto posiert und wir durften weiterfahren.

In Korla erholten wir uns. Ein paar ruhige Tage, zwischendurch amüsiert von ein paar chinesischen Tanzperformances im Park und buchten dann einen Zug Richtung Kashgar. Während es Linda gerade wieder etwas besser ging, fühlte jetzt Jeroen die Erkältung herannahen und zu allem Unglück hatte der Zug 15 Stunden Verspätung wegen Regen und Sturm. Zum Glück ließ uns das freundliche Bahnhofspersonal in den erste Klasse Wartesaal, wo wir dann wohl etwas zum Erstaunen der Anwesenden unsere Isomatten und Schlafsäcke ausrollten.

Irgendwann am nächsten Tag kam dann der Zug und in der Nacht kamen wir in Kashgar an, wo wir in weiser Voraussicht ein Hostel gebucht hatten. Wir hatten noch eine Email geschrieben, um das Hostelpersonal zu informieren, dass wir später ankamen, doch Emails wurden dort anscheinend nicht gelesen. Es war kein Zimmer mehr frei. So wurde uns angeboten Linda könne in einem Schlafsaal und Jeroen draußen auf dem Dach schlafen. Wir waren wütend und erschöpft nach einer Nacht am Bahnhof und einem Tag im chinesischen Dudelzug (man wird immer mit Musik oder Durchsagen beschallt). Irgendwie arrangierten wir uns dann damit unser Zelt auf dem Hosteldach aufzuschlagen und verbrachten noch ein paar schöne Tage in Kashgar, dessen Flair eher an arabische Gassen als an chinesische Pagoden erinnert. Die meisten der Strukturen sind allerdings eher auf alt gemacht und nicht mehr wirklich historisch. Das Flair ist aber trotzdem recht nett und wir wurden von einigen witzigen Ladenschildern amüsiert: „put in false tooth center“oder auch „chicken with fish flavour“.
Wir zogen also durch die Straßen, oft auf der verzweifelten Suche nach vegetarischem Essen, da es vor allem gegrilltes Lamm zu geben schien oder die schönen Häuserfassaden und bunten Stoffe auf dem Bazar bewundernd. Auf dem Bazar kam uns die grandiose Idee ein paar schöne Schals an die Familie zu schicken, doch wieder einmal hatten wir unsere Rechnung ohne die chinesische Post gemacht. Schon das Postkarten verschicken in Qingdao war ein wahres Desaster gewesen doch nichts im Vergleich zu dem was in Kashgar passierte. Wir mussten dreimal zur Post geben um unfreundlich angeblafft zu werden und dann letztendlich unsere drei kleinen Pakete mit Briefmarken zu tapezieren und dann abzuschicken.

Nachdem diese finale Hürde genommen war, ging es aber los für uns. Kashgar ist der Ausgangspunkt für den hochgerühmten Karakorum Highway (KKH), der vielleicht die schönste Bergstraße der Welt ist und China und Pakistan miteinander verbindet. Voller Erwartungsfreude stiegen wir also in den falschen Bus. Danach in den richtigen Bus und machten uns hoffnungsvoll auf Richtung Pakistan.

Yurt Nanshan
Snowmen Nanshan
Snowmen waiting for a ride
Butterflies Nanshan
Hiking Nanshan
Family in Ulanberkh
Old factory close to Nanshan
Truck wrecks on the way to Korla
Police foto shoot on the way to Korla
Kahsgar city wall
Kashgar tea house
Jeroen in teahouse
School manoeuvre Kashgar
Dentist sign Kashgar
Restaurant sign Kashgar
Linda on Kashgar bazar
Who finds the little girl?

„Hilfe, die Uiguren kommen!“

China, Oktober 2016

Urumqi: wir waren in Urumqi angekommen und damit der Heimat nach einer strapazenreichen Zugfahrt wieder sage und schreibe 2500 km näher.

Nachdem wir aus Sicherheitsgründen aus dem Bahnhof geworfen wurden, aus Sicherheitsgründen unser Wasser abgeben mussten um in einen Stadtbus zu steigen und aus Sicherheitsgründen nicht in einige Parks gelassen wurden, erreichten wir zum Glück ganz spontan Mark, der uns zum Couchsurfen einlud.

Urumqi ist eine Stadt, die sich schon seit über 7 Jahren im Ausnahmezustand befindet. Die Provinz Xinjiang wurde vor allem von den Uiguren bewohnt. Dazu noch verschiedene tadschikische, kirgisische und kasachische Volksgruppen. Die Siedlungspolitik der chinesischen Regierung, Anreize für Han Chinesen (etwa 95% der Chinesen sind ethnisch Han) zu schaffen, hat aber mittlerweile in manchen Gegenden zu einer Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse geführt. Hinzu kommt, dass die chinesische Regierung nicht nur rigoros Xinjiangs Bodenschätze ausbeutet sondern auch, dass Han Chinesen meist die besseren Jobs und den besseren sozialen Status in der Region haben. Das, zusammen mit Unabhängigkeitsbestrebungen der Uiguren und, teils als Antwort teils als Grund, einer starken Einschränkung der Persönlichkeitsrechte von Uiguren, hat in der Vergangenheit zu blutigen Auseinandersetzungen geführt. Während Mark uns in die Perspektive eines Han Chinesen einweihte, konnten wir mit Frank, Kevin, Mehrzat, ihrem Lehrer und ihren Klassenkameraden die andere Seite der Medaille kennen lernen.

Mark war als Han Chinese im Urumqi geboren. Zur Zeit der großen Auseinandersetzung im Sommer 2009 war er aber zum Glück in Beijing. Im Juli 2009 kam es im Laufe einer Demonstration zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften die in gewaltsamen Ausschreitungen gegen Han Chinesen auf der Straße eskalierten. Die darauffolgenden Antworten der Han, obwohl von der Regierung abgelehnt, standen der Ausgangsrevolte in ihrer Grausamkeit in nichts nach. Danach wurde Urumqi zur Polizeistadt. Alles wird kontrolliert. Wo es eine Tür gibt, gibt es auch eine Sicherheitskontrolle. Das Straßenbild ist durch Panzerfahrzeuge, Patrouillen und Checkpoints gezeichnet. Wir strichen zusammen mit Mark durch die Stadt und er erklärte uns die neu gezogenen Grenzen. Nach den Revolten war die Mehrheit der Han in den Norden gezogen und die meisten Uiguren in den Süden. Obwohl das auch schon vor den Ausschreitungen den Mehrheitsverhältnissen entsprach, wurden die Grenzen jetzt „sauberer“. Das vorher pulsierende Zentrum Urumqis wurde mehr oder weniger eine Geisterstadt. Geschäfte wurden geschlossen, die ehemaligen Bewohner zogen in ihren jeweiligen Stadtteil nach Norden oder Süden. Nach den Revolten gab es immer wieder Angriffe auf Han Chinesen mit Messern und angeblich auch mit tödlichen Spritzen. Mark hatte eine wunderbar angenehme Art uns über Details des Konfliktes aufzuklären ohne dabei für eine Seite zu stark Partei zu ergreifen. Er ging mit uns auch in den Süden und damit den muslimischen Teil der Stadt. Mark hatte diesen Teil seit den Revolten und auch schon lange davor nicht mehr besucht.
Obwohl die Polizeipräsenz hier deutlich weniger aufdringlich war als im Norden, schlich sich ein mulmiges Gefühl ein als wir mit Mark durch die Straßen und den Bazar zogen. Mark hatte Angst, fühlte sich angestarrt. Er erklärte, dass das Gefühl wohl völlig unbegründet sei und trotzdem übertrug sich Marks Spannung auch auf uns. Wir spazierten also weiter auf der Suche nach einem Platz um etwas zu trinken und landeten so nach und nach wieder im nördlicheren Teil der Stadt.

Das mulmige Gefühl war wie verflogen als wir ein paar Tage später mit Frank und Kevin durch die Straßen im Süden zogen. Wir hatten die beiden zufällig durch einen anderen Couchsurfer kennen gelernt. Auf unsere Frage ob er auch Couchsurfe, antwortete Frank: „tut mir leid, es gibt kein Meer in der Nähe.“ Die beiden waren Uiguren, eigentlich aus dem Süden Xinjiangs aber seit ein paar Jahren in Urumqi um dort Englisch zu lernen. So kam es, dass die beiden uns dazu einluden, einen Vortrag über Deutschland in ihrer Schule zu halten.

Zum ersten mal trafen wir die beiden im Norden der Stadt. Auf unsere Fragen worin der Konflikt zwischen Uiguren und Han bestehe, wurde dort nur mit nervösen Blicken über die Schulter geantwortet. Später, als die beiden mit uns durch die Gassen im Süden strichen und uns mit Naan und Granatäpfeln versorgten, bekamen wir zwar zögerlich, aber doch ein bisschen mehr Informationen. Wie sooft in China wird freie Meinungsäußerung auch oder vor allem in Xinjiang teils aufs härteste bestraft und wir wollten unsere neuen Freunde ungern in Bedrängnis bringen. Sie teilten aber dennoch ein paar Informationen über Restriktionen, die die Regierung den Uiguren auferlegt hatte mit uns, wobei das ganze etwas diffus blieb. Bärte dürfen nur von Männern über 50 getragen werden. Staatsangestellten wird das Fasten im Ramadan untersagt. Uiguren dürfen ihren Wohnort nur mit vorheriger Abmeldung bei der Polizei verlassen. Anscheinend gibt es auch eine berühmte Uigurin, die aus Amerika aktiv ist, um den Widerstand zu organisieren, allerdings schien das eher zu den Hochsicherheitsthemen zu gehören, denn sobald Frank das Thema erwähnte, wurde er von Kevin mit einem Blick ermahnt nicht weiterzuerzählen.

Die beiden gaben sich alle Mühe unseren Aufenthalt schön zu gestalten und so nahte der Abend des Deutschlandvortrags. Der Klassenraum war voll gefüllt und Interesse bestand vor allem am Deutschen Bildungssystem. Gefühlt wollten alle Anwesenden gerne nach Deutschland um zu studieren oder eine Ausbildung zu machen. Angetrieben ist dieser Wunsch wohl vor allem durch die Abwesenheit von Studiengebühren und dem Irrglauben, Deutsche würden Moslems lieben und Juden hassen. Die letzteren zwei Punkte konnten wir im Gespräch hoffentlich richtig stellen, waren aber dennoch sehr irritiert von der Frage, was wir von Adolf Hitler halten und noch irritierter von der Antwort als wir die Frage zunächst zurückwarfen: „Wir denken das war ein cooler Typ!“ Das „warum“ wurde damit beantwortet, Hitler sei ein glorreicher Führer gewesen, habe Massen mobilisiert und das beste für sein Land gewollt. Die ganzen Toten? Ach das waren eh nur Juden, vielleicht noch ein paar Homosexuelle. Wir versuchten also noch ein bisschen zu erziehen und hofften, dass unser Vortrag über Menschenrechte, Hitlers zerstörerische Rolle für Deutschland, die Deutschen (bei denen wir durchaus auch Juden, Moslems, Christen, Atheisten, Homosexuelle, Regimekritiker und ja sogar auch die Nazis mit einschließen) und die Menschheit, zumindest ein wenig gefruchtet hat.

Wir waren stolz auf uns, unsere Wut zumindest einigermaßen zu beherrschen und mehr oder weniger sachlich zu bleiben. Vielleicht hatten vorherige Erfahrungen in Kasachstan und in der Mongolei, wo es auch ein Daumen hoch für Hitler gab, uns schon geholfen unsere Fassungslosigkeit zu überwinden. Die Juden- und Homosexuellenargumente schienen irgendwie nicht so richtig anzukommen, aber einige nickten zumindest halb zustimmend und bedrückt. Wir hoffen unsere Argumente haben dennoch ein bisschen gefruchtet und steter Tropfen höhlt den Stein, wie anscheinend auch eine steter Tropfen, leider aus einer verseuchten Quelle, die Köpfe dieser jungen Uiguren gehöhlt hatte. Im Internet kursieren zuhauf auf uigurisch übersetzte Hitlerreden und werden anscheinend unter anderem dazu verwendet Uiguren für den Widerstand zu begeistern. Vielleicht spielt auch Hitlers Feindschaft den Chinesen gegenüber, sein Bündnis mit der Türkei (Uiguren haben türkische Wurzeln) und allgemein der starke Wunsch nach nationaler Identität bzw. Selbstbestimmung eine große Rolle.

Der Abend stellte einen schrägen Kontrast zwischen auf der einen Seite großer Gastfreundschaft, Enthusiasmus und Spaß und der dunklen Seite der politischen Instrumentalisierung und Verblendung dieser jungen Menschen, die ihre Informationen ausschließlich von kuriosen Internetplattformen zu beziehen schienen, wohl auch aus einem begründeten Misstrauen gegenüber den herkömmlichen Nachrichtenkanälen. Nichtsdestotrotz endete der Abend recht unterhaltsam als einer der Anwesenden, Mehrzat, der in Schanghai deutsch gelernt hatte ein eins A Ständchen von Helene Fischer (er war wohl ihr größter Fan) zum Besten gab und danach die uigurische Musik voll aufgedreht wurde und im Klassenzimmer getanzt. Wir tanzten also auch auf uigurisch und mit großen Dankesreden von selbsternannten Klassensprechern wurde der Abend zum Ausklang gebracht.

Wir bekamen den Eindruck, dass dieser pompöse Abend auch ein verzweifelter Ausruf war in der eigenen Kultur wahrgenommen zu werden: „Wir sind nicht so wie die! Schaut was wir alles haben und wie gut das ist!“ Für uns war die Situation sehr spannend. Obwohl auf der einen Seite der Drang war, mit dem Schwächeren, in diesem Fall also den Uiguren zu sympathisieren und den Wunsch nach Selbstbestimmung und Ende der Ausbeutung und Unterdrückung zu unterstützen, stieß uns gleichzeitig die nationalistische Note und Degradierung der Han Chinesen ab, die damit einherging. Dazu kamen die Zelebration Hitlers, Hass auf Juden und Homosexuelle, die den Nationalismus doch allzu sehr mit dem Wort Sozialismus vermischten und einen mehr als bitteren Beigeschmack hinterließen.

Mehzat lud uns ein, in der Nacht bei ihm zu schlafen. Er war der einzige der Jungs, die nicht in der Schule im Dorm sondern alleine in einer Wohnung seiner Eltern lebte. Frank und ein weiter Kumpel begleiteten uns und die drei gaben sich alle erdenkliche Mühe unseren Verbleib so schön wie möglich zu gestalten. Mehrzat überraschte uns mit ein paar weiteren deutschen Schlagern, es wurde noch von ihm auf dem Keyboard begleitet, getanzt und dann schafften die drei alle möglichen Decken herbei für ein komfortables Nachtlager. Wir verabschiedeten uns am nächsten Tag als die Jungs zum Freitagsgebet in die Moschee gingen und wir weiter Richtung Südwesten.

No spitting sign Urumqi
No spitting sign in Urumqi
Urumqi skyline
Urumqi skyline
Alim and Frank in Urumqi
Alim and Kevin in Urumqi

Von Autobahnauffahrten und Raststätten

China, Oktober 2016

Iiiieeeeehtschschschsch! Mit quietschenden Reifen hielt ein Abschleppwagen vor uns mitten auf der Autobahnauffahrt. Wir hatten uns gerade erst an die Straße gestellt und die Freude war groß. Ein bisschen groß war auch die Angst. In China scheint es einen typisches Phänomen zu sein, zum Anhalten nicht etwa auf den Seitenstreifen zu fahren sondern einfach sofort dort, wo die Entscheidung zum Anhalten getroffen wurde, kräftig auf die Bremse zu drücken. Wir hüpften also schnell in die Kabine und hofften, der Fahrer würde uns südlich raus aus Qingdao in die richtige Richtung bringen, wo wir dann auf die Autobahn Richtung Xi’an wollten. Das schien auch erst so zu sein, aber der Fahrer musste noch kurz einen Abschleppauftrag erledigen. Wir fuhren also nochmal einen Umweg, um einen liegengebliebenen LKW abzuholen. Schon als wir das große voll gepackte Fahrzeug sahen, ahnten wir warum wohl gerade dieser LKW liegen geblieben war. Er schien hoffnungslos überladen und unser kleiner Abschleppwagen davon leider hoffnungslos überfordert.

Der Fahrer versuchte es trotzdem drei Stunden lang mit aller Kraft und allen Mitteln. Als er schließlich aufgab, entschlossen wir uns auch aufzugeben, da es schon sehr spät war und fuhren nur noch wieder mit zurück zur Straße, an der wir am nächsten Morgen weitertrampen wollten. Es regnete und wir hatten Schwierigkeiten, einen Zeltplatz zu finden, der nicht komplett schlammig war. Wir fanden einen Feldweg, der glücklicherweise bis zum nächsten Morgen nicht befahren wurde und stellten uns wieder an die Straße. Ein Pärchen hielt und nahm uns wohlwollend mit, zu unserem Schrecken und leider gegen unseren Willen wieder nach Qingdao. Obwohl wir mit Kräften und sogar ein paar Englisch sprechenden Bekannten der Beiden vehement versuchten sie davon abzuhalten uns weiter in die Stadt zu fahren, wurden wir kurz darauf an einer Bushaltestelle abgesetzt. Die Beiden hatten es gut gemeint, doch wir standen jetzt vor der schwierigen Aufgabe irgendwie wieder zurück zur richtigen Straße zu finden.

Zum Glück wurden wir schon kurz darauf von einem sich scheinbar pathologisch anfauchenden Pärchen, die sich aber trotzdem sehr lieb zu haben schienen, mitgenommen. Zuerst kurioserweise zu ihrem Frisörssalon. Jeroen überlegte schon, ob das Schicksal ihn vielleicht dorthin gebracht hatte. Wir entschieden uns aber gegen diese Erklärung und die Mäne wächst fröhlich weiter. Nach viel google translate und einer witzigen Pantomimesession, in der wir versuchten, unsere Reiseabsichten zu verdeutlichen: Autofahren, Auto stoppen, Einsteigen, Nett quatschen, aussteigen, Autofahren, nächstes Auto stoppen… und der Mann, der uns mitgenommen hatte, sich als wahres Pantomimetalent herausstellte, er brachte es fertig, den kompletten Zyklus mit erstaunlichem Ausdruck nachzuspielen, brachte er uns zur Autobahnauffahrt. Der Rest der Strecke ging dann wie geschmiert.

Der Weg wurde sozusagen zum Raststättenhopping mit vielen wahnsinnig freundlichen Chinesen und zur Mittagszeit wurden wir dann auch gleich von einem Restaurantmanager an einer Raststätte zum Mittagessen eingeladen. Wir blieben eine große Attraktion an den Raststätten: Der Restaurantbesitzter wurde dadurch belohnt, dass wir viele Chinesen anzuziehen schienen, die sich nicht scheuten sich extra so hinzusetzen, dass sie uns bestaunen konnten. An einer anderen Raststätte an der wir uns bloß kurz an den Parkplatz gesetzt hatten, um unsere nächsten Schritte zu planen, kam spontan ein Chinese vorbei und drückte uns beiden ein Eis in die Hand! An einer anderen Raststätte musste ein kleiner Junge, der wohl in der Schule etwas Englisch gelernt hatte, herhalten, um die Neugierde der gesamten Anwesenden an der Raststätte zu befriedigend. Mit leichtem Druck seiner Mutter, die ihn vorschubste, versuchte er dann herauszufinden, woher wir kommen, wo wir hinwollten, wie alt wir sind und wie wir heißen. Auf unsere Fragen seinerseits zu antworten, schien den armen Kerl, der ohnehin schon krebsrot angelaufen war, aber dann doch hoffnungslos zu überfordern. Wir freuten uns trotzdem über die nette kleine Unterhaltung.

Autobahnauffahrten und Raststätten, das war was wir am meisten sahen auf der Strecke nach Xian. Bis auf eine nette Ausnahme als Leiluo und Shandong uns, nach einer Nacht neben der Raststättentoilette (das hatten wir erst am nächsten Morgen gemerkt) in Heze, spontan zum Mittagessen einluden und uns eine Tour durch Zhengzhou gaben, wo sie uns dann auch wieder zur Autobahnraststätte brachten.

Auf die Nacht neben der Raststättentoilette folgte eine deutlich nettere Nacht. Von einem älteren Pärchen wurden wir an der Autobahnauffahrt in Sanmenxian abgesetzt. Es war schon spät abends und so machten wir uns auf die Suche nach einem Zeltplatz. Direkt entlang der Autobahn fanden wir ein kleines Dorf. Auf dem Dorfplatz waren gerade alle Leute zum allabendlichen Gemeinschaftstanz versammelt doch wir zogen weiter, tiefer ins Dorf. Das Dorf war etwas skuril. Unglaublich viele halbfertige Häuser, die aussahen, als hätte dort schon seit Jahren keiner mehr einen Finger gerührt. Die Felsen, die das Dorf umgaben, waren mit Eingängen zu Minenschächten gespickt, von den allerdings viele nicht mehr in Gebrauch schienen. Ein kleines chinesisches Mädchen folgte uns ein Stück mit ihrem großen Bruder. Während der sich aber scheu mit seinem Fahrrad von dannen machte, fing die kleine mutig an, in ihrem Schulenglisch mit uns zu quatschen. Mit ein paar chinesischen Wörtern konnten wir ihr dann auch deutlich machen, dass wir einen Zeltplatz suchten. Die Kleine verstand und holte sogleich ihre Mutter zur Hilfe. Nach Absprache mit ein paar Nachbarn, wies diese dann auf eine unfertige Garage und schlug vor, wir könnten dort unser Zelt aufschlagen. Schon kurze Zeit später kam sie dann mit einem Besen, um die Garage auszufegen. Sie betrachtete uns mit ihrer Tochter beim Zeltaufbau und es kamen auch immer wieder ein paar neugierige Dorfbewohner schauen. Wir fühlten uns willkommen. Die nette Dame brachte uns dann auch noch eine Kerze und ein paar Äpfel. Am nächsten Morgen leistete uns ihr Nachbar immer wieder Gesellschaft. Zuerst brachte er uns heißes Wasser. Chinesen lieben heißes Wasser! Heißes Wasser wird mit Vorliebe getrunken und ist ein Allheilmittel für alle, wirklich alle möglichen Krankheiten. Wir gossen uns davon dann ganz ketzerisch einen Kaffee auf und schon kurze Zeit später tauchte der nette Nachbar wieder auf und brachte uns ein paar zuckersüße Kakis. Wir bekamen dann so nach und nach auch noch Äpfel, Mondküchlein und anderes Gebäck und verabschiedeten uns schließlich in großer Dankbarkeit.

An diesem Tag erreichten wir Xian und hatten ein paar Tage, bevor wir unseren Zug nach Urumqi nehmen würden, um diese mit chinesischer Historie übersäte Stadt zu bewundern. Am meisten trieben wir uns wohl im muslimischen Viertel rum, um das Chaos in den kleinen Gassen zu bestaunen. Dort schieben sich Rikschas, Menschen und Motorräder zwischen allerlei interessantem Essen aneinander vorbei. Wir stolperten auch in das chinesische Herbstfest in Xians Stadtpark, in dem wir ein paar schräge traditionelle chinesische Performances mit noch schrägerem traditionellen chinesischen Gesang bewundern konnten. Noch jetzt klingen uns die Ohren vom Geheule der verrückten Gestalten mit übergroßen Köpfen, die allem Anschein nach chinesische Ahnengeister waren.

In Xian begegneten wir auch dem ersten Mal dem chinesischen Smog und machten uns lächerlich in dem wir sogleich mit ein paar Mundschutzmasken herumliefen. So begrüßten wir dann auch Kai, einem Couchsurfer, der sich die Zeit nahm, uns die Stadt zu zeigen. Kai wusste als chinesischer Polizeibeamter und Parteimitglied spannende Geschichten zu erzählen. Er berichtete von den abgeschlossenen Waffen in der Polizeistation. Die Polizei sei wenn dann nur mit Gummiknüppeln unterwegs. Schusswaffen würden nicht gebraucht und die halbe Polizeistation habe eh schon vergessen wo der Schlüssel für den Waffenschrank liege. Kai lieferte uns ein freundliches Bild der chinesischen Polizei und gleichzeitig ein paar paradoxe Einsichten in den Kopf eines chinesischen Parteimitglieds. Er schwärmte von Marx, aber auf unser Drängen hin, doch bitte zumindest einen politischen Grundsatz zu nennen, welche die chinesische Partei im Marxistischen Sinne umsetzte, konnte Kai keinen nennen, was ihn aber nicht davon abhielt weiterhin standfest zu behaupten, China sei kommunistisch ausgerichtet und an Marx orientiert. Wir fühlten uns an den putinschen Reflex erinnert und vermissten das liebe Russland ein bisschen. Doch für uns ging es weiter nach Urumqi. Diesmal mit dem Zug, was die Sehnsucht nach Russland noch verstärkte. Während die russischen Züge ein Beispiel an Gemütlichkeit und Geselligkeit sind, spannten die chinesischen Züge unsere Nerven zum Zerreißen. Wenn die Lautsprecher, über die chinesische Katzenjammermusik dröhnte (nicht unähnlich zu der im Park gehörten), gerade einmal nicht ertönten, bemerkte oft schnell der ein oder andere Passagier die Stille und füllte diese mit Gejaule aus dem eigenen Telefon. Zum Glück hatten wir aber auch einige nette Mitreisenden, die uns mit chinesischen Datteln und netten Gesprächen versorgten Die Nacht war ruhig und so erreichten wir am nächsten Morgen in der Früh doch einigermaßen ausgeruht Urumqi.

Linda with Leiluo and Shandong in Zhengzhou
Jeroen with Leiluo and Shandong in Zhengzhou
Jeroen sitting in the typical Chinese squatting position in the „village under the bridge“ near Sanmenxia
Park in Xi’an
Our first taste of the infamous Chinese smog in Xi’an
Xi’an streetfood
Xi’an by night

Weit, weit im Osten

Qingdao, September 2016

Was wir vorher noch für unmöglich gehalten hatten, sollte mit Dan Realität werden: Fahrradfahren in Beijing, ohne dabei das Leben zu verlieren. Dan, seine Frau Kathy, und ihre Mitbewohnerin Morgan beherbergten uns in Beijing nach unserer Rückkehr von der chinesischen Mauer. In China herrscht ein wildes Verkehrsgesetz. Ampeln gibt es nur zur Zierde und angeblich wird Chinesen beigebracht beim Fahren immer nur geradeaus zu gucken. Dan versicherte uns, wenn wir uns auch daran hielten, würde nichts passieren. Wir waren nicht ganz überzeugt aber nachdem wir von Dan mit Fahrrädern und noch viel wichtiger Fahrradhelmen, versorgt worden waren, düsten wir mit Herzrasen hinter ihm durch die Stadt, natürlich nicht nur geradeaus sondern panisch hin und her schauend, zum Essensmarkt.

Der Markt ist auch für die meisten Chinesen eher eine Touristenattraktion als dass dort für’s Abendbrot geshoppt wird, denn auf dem Markt gibt es tatsächlich die größten Perversitäten, die die chinesische Küche so zu bieten hat: Zum Grillen lebendig aufgespießte Skorpione, Heuschrecken und Käfer, die noch lange zappeln, bevor sie dann tatsächlich auf dem Grill landen. Besonders überflüssig grausam waren auch die gegrillten Kükenfetusse. Dazu wird ein Spieß durch ein Ei mit einem beinahe ausgewachsenen Küken gesteckt und das ganze danach auf den Grill gelegt. Wir hatten eigentlich vor, auf dem Markt etwas zu filmen, waren dann aber doch zu abgeschreckt von den Grausamkeiten, mit denen die Spezialitäten zubereitet wurden. Überhaupt scheinen Tiere keinen besonders guten Stand in China zu haben. Dabei ist das Problem nicht mal, dass tatsächlich alles was kreucht und fleucht gegessen wird, sondern vielmehr das Warten auf den Tod in viel zu kleinen Käfigen, Aquarien oder Schaufenstern. Tiere scheinen von vielen in China nicht als fühlende Lebewesen wahrgenommen zu werden. Babyschildkröten kann man in winzig kleinen Döschen an einer Kette auch einfach als kleines Assescoire kaufen. Vielleicht beruhigend ist dabei, dass die meisten Leute, die diese Schmuckstücke kaufen, die Tiere befreien wollen. Wohl auch nicht die beste Strategie, um gegen den Missbrauch der Tiere anzugehen, aber nach buddhistischem Brauch bringt das Befreien von Tieren wohl Glück. Auf der chinesischen Mauer beispielsweise trafen wir eine muntere Familie deren zwei Jungs im Grundschulalter kleine Eidechsen in Plastikflaschen gesperrt hatten. Die armen Tiere wurden in den Flaschen beim Rumtragen und Spielen der Jungs durchgeschüttelt. Auf unser Eingreifen hin, wurde uns erklärt, die Familie habe die Tiere ja nur gefangen, um sie dann zu Hause frei zu lassen. Zum Glück schienen sie ihre Meinung zu ändern und ließen die Eidechsen doch schon auf der Mauer wieder frei.

Auch in Qingdao, unser nächster Aufenthaltsort, war die Grausamkeit an Tieren ein konstanter Begleiter. Qingdao ist bekannt für seine Meeresfrüchte und auch die Fische, Schildkröten und andere Spezialitäten, teilweise schon halb tot im Aquarium, hätten den in China leider nicht existierenden Tierschutz sicherlich interessiert. Ein Tierschutzgesetz gibt es ausschließlich für Wildtiere und beschränkt sich mehr oder weniger darauf, dass vom Aussterben bedrohte Arten geschützt werden sollen. Aber genug von diesen Grausamkeiten und außerdem der Hinweis, dass der pro Kopf Tierkonsum in China immer noch unter dem in Deutschland liegt und daher zumindest pro Person etwas weniger Grausamkeiten geschehen. Übrigens exportiert Deutschland auch fleißig Fleisch nach China. Das Fleisch hatte dann aber bestimmt, vielleicht zumindest in Deutschland noch ein viel, ein bisschen besseres Leben als in China. Wir exportieren aber vor allem Schweinefüße und so Ekelkram, den keiner essen will – da sieht man ja wohlmöglich noch, dass das mal ein Tier war. Der Bedarf an leckeren Schnitzeln, liebevoll in Form gepresst, wird dann einfach importiert. Ganz nebenbei erwähnt, geht außerdem der Fleischkonsum in Deutschland eher runter, während die Fleischproduktion weiter hochgeht. Wenn man sich dabei das Bewusstsein für Tierrechte z.B. in China vor Augen führt, ist das sicherlich auch nicht unbedingt im Sinne des Konsumentendruck, um die Produktionsbedingungen zu verbessern. Und man könnte noch endlos darüber schreiben, wie der deutsche Fleischmarkt für weltweiten Hunger sorgt, aber wie gesagt, vorerst genug von solchen Grausamkeiten.

Wir machten uns also auf den Weg nach Qingdao und mussten dazu erst einmal raus aus Beijing. Das Vorhaben schien schwieriger als zunächst gedacht, zumal es auch noch in Strömen regnete. Nach verschiedenen Bussen und einer Tour durch ein wildes Gebüsch, kamen wir aber schließlich an, an der Straße, die Richtung Osten führte. Sogleich hielt auch ein kleiner roter Landrover mit einer netten Chinesin drin, die aber leider fast kein Wort Englisch sprach. Wir versuchten ihr deutlich zu machen, sie könne uns einfach an ihrer Ausfahrt rauslassen, sie hatte sich aber in den Kopf gesetzt uns weiter zu helfen. „Help you! Help you!“ rief sie immer wieder. Das wurde zu einer etwas riskanten Angelegenheit, da sie auf dem Seitenstreifen geparkt hatte und mit wild fuchtelnden Armen versuchte, ein Auto für uns zu stoppen. Wir überzeugten sie davon, dass wir es auch alleine schaffen würden und machten uns, als sie davon fuhr auf in sicherere Gefilde, wo wir auch kurz darauf schon eine weitere Mitfahrgelegenheit ergatterten.

Als der Abend nahte, waren wir mit einigen weiteren Mitfahrgelegenheiten nach Jinan gelangt. Unsere Begleiter hatten sich auch besondere Mühe gegeben uns weiter zu helfen und hatten an jeder Raststätte gestoppt, um ein Auto für uns zu finden, mit dem wir weiter Richtung Qingdao fahren könnten. Leider blieben die Bemühungen erfolglos. An einer Autobahnmautstation, an der die beiden in die Stadt fuhren, versicherten wir ihnen, wir würden es einfach von dort am nächsten Morgen weiter versuchen, denn es war schon spät abends. Nach langem hin und her und unserem Versprechen wir würden uns an die Polizeistation wenden, zogen unsere beiden freundlichen Fahrer davon und wir uns in die Büsche. Wir haben uns dann einfach trotzdem nicht an die Polizeistation gewandt sondern fanden nach einer kleinen Kraxelpartie die Autobahn runter einen gemütlichen Zeltplatz an einem kleinen Weg. Wie sich am nächsten Morgen, an dem langsam ungewohnt viele ältere Menschen vorbei zuckelten, herausstellte, war unser Zeltplatz nicht nur an einem gemütlichen Weg sondern auch direkt vor einem Friedhof. Einige der älteren Damen und Herren fuhren gemütlich mit ihren Rollern vorbei, andere schlurften hinter ihren Rollatoren. Besonders putzig war eine ältere Dame, die alle Neuankömmlinge mit weit ausholenden Gesten auf uns hinwies und zunächst wohl nicht so erfreut über die nächtlichen Besucher war. Vielleicht dachte sie, wir hätten ein teuflisches Ritual durchgeführt oder ähnliches- bei den Ausländern kann man ja nie wissen. Am Ende lächelte aber auch sie uns freundlich an und reichte uns sogar die Hand, vielleicht auch glücklich darüber nun eine neue Geschichte erzählen zu können. Inwieweit diese der Wahrheit entsprechen würde, konnten wir nur ahnen.

Wir krabbelten also wieder hoch zur Autobahnmautstelle und erreichten am Abend Qingdao. Wir hatten den östlichsten Punkt unserer Reise erreicht. Kurioserweise war Qingdao eine ehemalige deutsche Kolonie und neben einer Brauerei „Tsingtao“, die die Deutschen seinerzeit aufgebaut hatten, gab es auch jede Menge deutsche Gebäude. Wir fühlten uns schlecht, weil es sich etwas gut anfühlte wieder so viel Vertrautes zu sehen, obwohl der Grund für die Anwesenheit dieser vertrauten Gebäude nicht gerade einen glorreichen Teil der europäischen Geschichte wiederspiegelt. Die Chinesen schienen sich aber eher einen Spaß daraus zu machen. So bauten sie eine der Kirchen auch einfach nochmal neu und diese wurde zum beliebten Hintergrund für Hochzeitsfotos. Wir zählten 13 Bräute, die zur gleichen Zeit, mit Ehegatten natürlich, auf dem Kirchplatz posierten. Dies wurde begleitet von stündlich erklingenden elektronischem Glockengeläut vom Kirchturm und Highlight waren auch Fotos vor einem Baum, der ununterbrochen von einem alten Herren geschüttelt wurde. Das gab wahrscheinlich irgendeine Art Special Effect auf den Fotos. Überhaupt schien sich in Qingdao alles um Hochzeitsfotos zu drehen. So entdeckten wir auch eine Art Hochzeitsfotomall. Während die Stadt sich an sich nicht besonders um den Erhalt alter Gebäude zu scheren scheint, waren in dieser Hochzeitsfotomall alle möglichen alten deutschen Gebäude unter einem künstlichen Himmel, der sich von rosarotem Sonnenuntergang bis Sternenhimmel entwickelte, wie in einer Filmkulisse nachgestellt. Auch am Strand in Laoshan war das Hauptmotto schöne Hochzeitsfotos. Es gab auch dort eine Art Fotokulissenpark, mit holländischer Windmühle, Cadillac und allen möglichen anderen Spielereien. Am Strand tanzten Pärchen Hand in Hand durch die Wellen, mit fliegenden Kleidern und lachten der Kamera ins Gesicht. Auch Jeroen und ich tanzten also hüpfend durch die Wellen, um nicht zu sehr als Fremde aufzufallen.

Nicht nur die Kolonialvergangenheit Qingdaos weckte Heimatgefühle in uns. Unsere wunderbare chinesische Couchsurfing Gastgeberin Mia, nahm uns auch mit zu einer Party „Berlin Calling“, versteckt in einer Tiefgarage! Mehr Berlin geht ja kaum, der DJ kam allerdings ursprünglich aus Hamburg. So tanzten wir mit ein paar Tsingtao Bieren die Nacht hindurch und begannen gleich zu Hause ein bisschen weniger zu vermissen. Auch bei Dai, einer weiteren Gastgeberin in Qingdao, bei der wir seit längerer Zeit mal wieder Jeroens niederländische Lieblingsspeise Stampot, eigentlich nur eine Art Kartoffelbrei, aber für einen Niederländer herzerwärmend, kochen konnten, kamen heimatliche Gefühle auf und die begeisterte Erkenntnis: Stampot lässt sich auch mit Stäbchen essen!

Jeroen hatte dann auch die glorreiche Idee in Qingdao eine Beachparty als couchsurfing Event zu starten. Auf Mias Anraten hin, luden wir also so ziemlich alle couchsurfer in Qingdao zur spektakulären Beachparty am Silver Beach ein. Für die meisten eine Anreise von etwa 2 Stunden aus Qingdaos Zentrum. Aber sieh da, sieh da, es kamen sage und schreibe 6 motivierte Partygäste, Mia und wir zwei mit inbegriffen. Dass heißt, zumindest nachdem wir uns alle gefunden hatten. Der Silver Beach war nämlich so abgelegen, dass er ab 7 Uhr abends stockfinster war und wir hatten natürlich weder Kerzen, geschweige denn irgendeine Art von Partybeleuchtung. Wir versuchten dann genaue Beschreibungen von nahegelegenen Lichtpunkten aus zu liefern und schließlich kamen wir alle auf einer Decke zur Beachparty zusammen. Der Abend war nett, es wurde aber nicht getanzt.

In Qingdao warteten wir auf das pakistanische Visum, welches uns die Wiederkehr in den Westen ermöglichen würde. Pakistan ist das einzige Land, über das man Indien auf dem Landweg erreichen kann, doch leider erhält man das Visum nur im Heimatland. Es waren schon zehn Tage vergangen und wir hofften unsere Pässe nach etwa 3 Wochen mit Expressversand wieder in den Händen zu halten. Doch wir hatten unsere Rechnung ohne die unfreundliche Bearbeiterin der pakistanischen Botschaft Berlin gemacht. Die Bearbeiterin zweifelte stark an unserer Intelligenz: „Wie kommt man überhaupt auf die verrückte Idee aus China ein Pakistanvisum zu beantragen!“. Unsere Emails wurden nicht beantwortet und nachdem Linda letztendlich endlich die Bearbeiterin per Telefon erreichen konnte (das war wahnsinnig schwierig mangels stabiler Internetverbindung) und nach den Emails fragte, wurde sie nur angeblafft: „Ich habe ja gar keinen Computer!!!“. Wir verschickten die Emails also erneut, diesmal nicht an die online verzeichnete Adresse der Visa Bearbeiterin sondern an die Adresse der Rezeption, die anscheinend über einen Computer verfügte. Antworten bekamen wir dennoch nicht, aber bei unserem nächsten Anruf zumindest die Information, die Visa Bearbeiterin habe die Email gelesen, es gäbe aber pakistanische Feiertage und daher werde die Bearbeitung sich verzögern.

Wir vertrieben uns die Zeit also damit ein Lied zu dichten und ein kleines Video über unsere chinesischen Foto- und WeChat Erfahrungen zu machen. WeChat, die Chinesen sagen immer weecheeee mit einem begeisterten Lächeln, ist eine Art chinesisches facebook. Da facebook genauso wie google, youtube und vieles mehr in China geblockt ist, haben die Chinesen ihre eigenen Alternativen entwickelt. Mit jedem Foto, um das wir gebeten wurden, häuften sich auch unsere WeChat Bekanntschaften und schon bald hatten wir ein ganzes Bündel WeChat Freunde mit denen wir außer einem netten Selfie leider wenig gemeinsam hatten. Wir waren dennoch erfreut, über die Chinesen, die sich uns auf diese Weise näherten, denn zwar selten aber doch manchmal entwickelte sich auch ein nettes Gespräch daraus.

Nach ein paar Nächten bei Mia, schlugen wir noch für eine letzte Nacht in Qingdao unser Zelt am Golden Beach auf. Vor uns also die wilde See und hinter uns Sand und Luxusappartments. Kurze Zeit darauf realisierten wir, dass die wilde See in der Nacht eventuell unser Zelt überfluten würde und bauten das Zelt also noch etwas weiter hinten auf. Nässe gab es dann nur von oben und nach einem letzten Frühstuck unter einem Strandpavillon machten wir uns hoffnungsvoll auf, unsere Pässe bei Lee Fangs Schwester abzuholen. Der Kurierdienst war leider verspätet, aber Sissy Lee in ihrem Verhandlungsgeschick so professionell, dass wir die Pässe direkt in ein Restaurant geliefert bekamen, in dem wir zusammen mit ihr und einer Freundin, Huiwen Zheng, zu Mittag aßen. Nach etwas mehr als einem Monat hatten wir die Pässe wieder sicher in den Händen. Die Freude war groß!

Sissy Lee war anscheinend von ihrem großen Bruder (der uns nach Beijing gefahren hatte) dazu verdonnert worden, sich so gut wie irgendwie möglich um uns zu kümmern. Gegen unsere großen Proteste organisierten die beiden dann sogar den Einkauf im Supermarkt für uns. Während die eine den Einkaufswagen schob, wuselte die andere durchs Geschäft um die besten Produkte zu finden. Wir hatten viel Spaß mit den beiden und als Höhepunkt halfen sie uns auch noch die letzten Shots für unser WeChat Song Video aufzunehmen. Wir fühlten uns schon schlecht, da die beiden sich so überaus rührend und engagiert um uns kümmerten und so ein paar Stunden in der Uni verpassten. Zu allem Überfluss eskortierten sie uns aber auch noch zu einem super Trampspot an der Autobahnauffahrt. Wir verabschiedeten uns mit großer Dankbarkeit für alle Hilfe und machten uns in Vorfreude auf die Heimat und Wehmut über den Abschied von der Weite des Pazifik und von all den netten Begegnungen so weit im Osten wieder auf in Richtung Westen.

Playing time crisis 5 with Dan
Playing time crisis 5 with Dan
Sunset over Beijing from Dan's balcony
Sunset over Beijing from Dan’s balcony
Graveyard on the way to Qingdao
On the way to Qingdao: only the next morning did we realise we had pitched our tent near a graveyard
Arrived in Qingdao with Chenchan
Arrived in Qingdao with Chenchan
Picture of someone taking the picture
Picture of someone taking the picture in Laoshan: Moment of inspiration for the WeChat song
From Atlantic to Pacific: our furthest point away from home
From Atlantic to Pacific: our furthest point away from home
Eating chopstick stamppot with Dai
Eating chopstick Stampot with Dai
Wedding photography Qingdao church
Wedding photography Qingdao church
Jeroen under the sky in the wedding photo mall
Jeroen under the sky in the wedding photo mall
People collecting something from the stones in Qingdao
People collecting something from the stones in Qingdao
Man floating Qingdao
Man floating Qingdao
Trying Mia's beauty masks
Trying Mia’s beauty masks
Lunch with Sisi and Huiwen
Lunch with Sisi and Huiwen

Folge dem roten Band

Xihazi, September 2016

Von der einen chinesischen Mauer haben wir ja schon berichtet und sind fest davon überzeugt, dass die Baukunst dieses modernen Datenschutzwalls, die Baukunst der alten chinesischen Mauer, des Jahrtausende alten Bollwerks, dazu bestimmt die Dynastien Chinas zu beschützen, noch übersteigt. Wir wollten uns aber persönlich davon überzeugen und brachen so nach einer netten Zeit bei Mike auf, in den Norden Beijings um die wilde chinesische Mauer zu erkunden. Geplant waren zwei Nächte im Zelt und wandern auf der chinesischen Mauer. Zum Glück konnten wir alles Überflüssige bei Mike lassen und zogen so einige Kilo leichter los.

Dan und Katie, zwei weitere Amerikaner, die wir in Beijing kennen gelernt hatten, hatte uns mit Informationen zur Mauer, dem Beijing Wanderführer und einer Wegbeschreibung nach Xihazi und auch für eine schöne Route auf der Mauer ausgestattet. So erreichten wir nach ein paar Stunden Busfahrt das Dorf Xihazi und suchten ein Restaurant auf, scheinbar das einzige im Dorf, welches auch nicht dort nächtigende Kunden bediente und konnten so schon in der Ferne die Ruinen der Mauer, schillernd im Rot der untergehenden Sonne beobachten. Gestört wurde die Stille nur von einem kleinen etwa zweijährigen Querulanten, der laut herum krakelte und wir machten uns schnell aus dem Staub.

Im Halbdunkel strichen wir durchs Dorf um einen Platz für unser Zelt zu finden und staunten nicht schlecht, als wir beim Zeltaufbau am Rande des Dorfes unter ein paar Wallnussbäumen, Glühwürmchen entdeckten, die wie kleine Sterne um unser Zelt und die Bäume summten.

Frisch und erholt, nach einem Frühstück mit dem besten Brot, dass wir in Beijing finden konnten (eine weiße künstliche Masse, mit weniger Konsistenz als Toastbrot) begannen wir also den Aufstieg zur großen Mauer. Erst einmal natürlich den falschen Weg, bis wir das erste rote Band, mit dem Emblem des Beijing Wanderführers entdeckten. Wir schlugen uns also durch das Gebüsch und die Wälder und als wir schon glaubten wieder falsch abgebogen zu sein, deuteten ein paar Geröllhaufen darauf hin, die Mauer konnte nicht mehr weit sein. Durch Walnuss- und Pfirsichbäume begingen wir also den letzten steilen Anstieg und erreichten das steinige Bauwerk mit einer atemberaubenden Sicht über die Berge und die Mauer, die sich zu beiden Seiten kilometerweit erstreckte.

Für uns war klar, die Mauer würde uns auch länger als zwei Tage faszinieren und mit dem Entschluss, eine Woche auf der Mauer zu wandern, zogen wir Richtung Beijing Knot, einem hohen Punkt, an dem die Mauer in drei Richtungen abzweigt. Das Laufen auf der Mauer, obwohl von Bäumen und Gestrüpp überwuchert war zunächst sehr angenehm, in der Nähe des Beijing Knots wurde der Anstieg jedoch zunehmend steiler. Während Lindas Sicherheitssensoren also schon auf Gelb umschlugen, war Jeroen noch immer fröhlich am Klettern und so kamen wir höher und höher über eine zunehmend brüchige Mauer in die Nähe des Beijing Knots. Zu unserer Beruhigung gab es noch immer ein paar Bänder von den Beijing Wanderführern in den Büschen, wobei deren Farbe sich seltsamerweise von rot zu blau und gelb änderte. Doch dann oh Schreck, Lindas Alarmglocken auf Rot und Jeroen noch ernsthaft überlegend ob der Aufstieg nicht zu schaffen sei, standen wir plötzlich vor einer beinahe senkrechten Wand, die letzten 5m vorm Ziel und als dann auch noch ein starker Wind einsetzte entschieden wir weise wieder zurück zu klettern und befanden uns so ein wenig später nach einem Abstieg mit zitternden Knien auf dem Rückweg ins Dorf.

Das Wandern auf der Mauer blieb spannend mit unglaublichen Ausblicken und vielen abenteuerlichen Verirrung (Insider kennen sie und Gertrud’s Abkürzungen) bei unseren Touren in den nächsten Tagen. Auf der Mauer gab es riesige Spinnen und ebenso riesige Fliegen und wir konnten auch einen tödlichen Kampf zwischen zwei diesen Spezies angehörigen Objekten beobachten. Die Fliege verlor.

Es folgten auch weitere spannende Klettertouren von denen eine uns unverhofft in Restaurationsarbeiten auf der Mauer führte. Wir kamen nachdem wir etwas waghalsig die nicht passierbare Mauer über einen Umweg umklettert hatten (immer brav den roten Bändern folgend, in die wir aber leider mittlerweile etwas das Vertrauen verloren hatten) an der höchsten Stelle dieses Teils der Mauer wieder hoch zur Mauer und hatten neben einen gewaltigen Ausblick auch den Blick frei auf die Arbeiter. Wie wohl schon vor Hunderten von Jahren hackten diese zähen Männer mit Spaten und Hacken die Wurzeln der Bäume und Sträucher von der Mauer. Etwas weiter hinten wurde auch schon neu gemauert und wir konnten nur wenig später beim Abstieg beobachten wie ein Maultiertreiber, mit Steinen voll beladene erschöpfte Maultiere, den Hügel hochtrieb. Trotz Chinas Modernität wurde hier auf alte Methoden gesetzt. Leider waren die Baumaterialien aber neu und industriell gefertigt und wir waren froh die meiste Zeit auf unseren Touren, den alten Charme der Mauer noch erlebt zu haben.

So verbrachten wir auch eine Nacht in einem alten Wachturm auf der Mauer. Nachdem wir zunächst unser Lager unter freiem Himmel auf dem Wachturm errichtet hatten, mussten wir leider doch ins Innere des Turms umziehen, da ein Gewitter herannahte. So konnten wir gut geschützt das Wetterleuchten und die Blitze am Himmel über der Mauer und den Bergen und später den wieder sternenklaren Himmel beobachten.

Wir trafen nur sehr wenige Leute unterwegs und es war eine willkommene Abwechslung am letzten Abend in Xihazi Jamie zu treffen, einen Amerikaner der mit seiner chinesischen Freundin, die gerade eine Nierentransplantation hinter sich hatte, ausspannte. Jamie war eine Art Showmaster, der ohne Pause Geschichten aus seinem Leben erzählte. Wandernd auf der Mauer und an vielen anderen Orten der Welt, wäre er bestimmt mindestens zehn mal fast gestorben. Für uns war das ein bisschen wie Fernsehen, also sich einfach angenehm berieseln lassen und Jamie spendierte uns auch noch ein paar Bier.

Weniger erfreulich war die Begegnung mit einem etwa zweijährigen Gangster, dem Querulanten aus em Restaurant, der im Xihazi Dorf sein Unwesen trieb und besonders Linda terrorisierte. Schon am ersten Abend war uns der kleine Querulant negativ aufgefallen, doch wir ahnten noch nicht welches Ausmaß, die Ausfälle des Bengels annehmen konnten. Als wir auf das für chinesische Verhältnisse leider mäßig gute Essen warteten, kam plötzlich aus der Küche auf seinem Bobbycar mit einem Affenzahn das Terrorkind angefahren. Mit quietschenden Reifen um die Kurven, zwei Knarren auf der Rückablage. Noch im Vorbeifahren zog er eine der Waffen und feuerte auf uns ab. Jeroen ging sofort zu Boden, doch das war wohl ein Fehler, den das Kind witterte Spiel. Er kam auf Linda zu und forderte sie mit der Waffe auf mitzukommen. Spielen. Linda weigerte sich woraufhin das kleine Monster einen Tobsuchtsanfall bekam, um sich schlug und biss und nicht zuletzt Linda mit beiden Waffen erschoss. Wir forderten die Rechnung und verließen das Restaurant so schnell wie möglich.

Am nächsten Tag machten wir uns also auf zum letzten Abschnitt auf der Mauer, Richtung Mutianyu, die Route, die wir eigentlich vorhatten zu gehen. Ohne besondere Zwischenfälle doch ein letztes mal die bröcklige Mauer unter unseren Füßen spürend, kamen wir schließlich in Mutianyu an. Mutianyu war ein Mauerpark, für den man, wenn man von unten kam, Eintritt bezahlen musste. Wir aber kamen von oben nach 5 Tagen auf der Mauer obwohl nur ausgerüstet für zwei. Schmutzig mit großen Rucksäcken und Wanderstöcken in der Hand. Ernährt zu etwa 30 Prozent von labbrigem Erdnussbuttertoast. Während die Mauer hier für uns eher eine Enttäuschung war im Vergleich zum wilderen Teil, waren die Begegnungen mit den vielen Touristen dort doch sehr amüsant. Mit großen Augen betrachteten uns viele „Kommt ihr von der anderen Seite?“. Wir fühlten uns wie Helden oder Aliens. Eins von beidem je nachdem ob man sich auf die Bewunderung oder den nicht mehr ganz zivilisationsfähigen Zustand unseres Äußeren konzentrierte.

Wir wollten eigentlich runter gehen zu einer Badestelle, die wir in Dans Wanderbuch gesehen hatte. Erst unten stellten wir aber fest, wir waren an der falschen Seite abgestiegen. Da wir nicht ohne Eintritt zu Zahlen wieder hoch durften (trotz unseres Einwands: wir wollen ja gar nicht zur Mauer, wir wollen nur drüber!) nahmen wir letztendlich ein Taxi um doch noch zu dem kleinen Park mit der Badestelle zu gelangen. Da der Park schon zu hatte schlugen wir unauffällig unser Zelt auf dem Parkplatz davor auf. Obwohl viele Leute mit Taschenlampen unterwegs waren schien uns keiner zu bemerken und so konnten wir uns am nächsten Tag in der eher einer hübschen aber kleinen Pfütze gleichenden Badestelle waschen und nach einer letzten etwas versteckten Nacht im Park ging es zurück nach Beijing!

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Chinese wall
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Linda climbing

 

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Jeroen climbing

 

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Jeroen eating peanutbutter toast
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Toast
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Jeroen on the wall
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Morning excercise
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Mules carrying stones up the wall
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Spider killing fly
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Terrorkid
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Red ribbon

 

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Green caterpillar

Andersartigkeiten

Beijing, September 2016
Da wir in Beijing leider zunächst keinen Couchsurfing host gefunden hatten, machten wir uns auf die Suche nach einem Hostel, denn es war schon Mitternacht. Doch oh schreck! Alle Hostel waren entweder schon voll, zu teuer oder nahmen nur Chinesen auf. Eines der Hostel erlaubte uns das Internet zu nutzen und so fanden wir dann doch ein paar Hotels, die angeblich noch Platz hatten. Doch wir hatten unsere Rechnung ohne das chinesische Internet gemacht. Blauäugig hatten wir keinen vpn Klienten vor unserer Einreise installiert, um die ums Internet gebaute chinesische Mauer zu durchbrechen. Noch unfähig die chinesische google Alternative, baidu und deren entsprechende Karte zu nutzen und mit unserer offline open source map nur falsche Orte anzeigend, suchten wir nach diesen angeblich noch freien Hotels. So streiften wir verzweifelt durch die Straßen, bis wir schließlich doch ein Hotel fanden, in dem wir vorher online ein Zimmer gebucht hatten. Nachdem die Leute dort uns dann eigentlich trotzdem nicht rein lassen wollten, aber aufgrund unser online Reservierung wohl irgendwie mussten, konnten wir endlich in die Betten sinken und schlafen.

Am nächsten Tag hatten wir dann unsere erste Begegnung mit einem English sprechenden Chinesen. An der Hotelrezeption, gerade am Einchecken während wir auscheckten, befand sich eine kleine Gestalt mit großer Brille, blauem T-Shirt, gelben dreiviertel Shorts und grünen Crocs und stellte sich uns sogleich als „Captain China“ vor. Captain China war vieles. Er verstand sich selbst als Touristenbegleiter, Standup Comedian und Bierkenner und wir konnten gleich mehr oder weniger in den Genuss aller drei Eigenschaften kommen. So lud Captain China uns, nicht bevor er ein paar schlechte Witze über die Deutschen gemacht und die Niederländer gepriesen hatte, in den kleinen Laden gegenüber des Hotels ein. Wir wollten Kaffee, gab’s aber nicht. Also versuchten wir es mit Tee und mussten schockiert feststellen, den gab’s auch nicht! Kein Tee in China! Es gab aber selbstgemachten IPA und obwohl uns um 10 Uhr Morgens eigentlich eher nicht der Sinn nach Bier stand, probierten wir gerne einen Schluck, den uns der nette Besitzer, Hersteller und Verkäufer zugleich, anbot. Der quirlige Captain China indessen nippte an seinem halben Liter, versuchte immer wieder ein paar schlechte Witze zu machen und erzählte uns über Beijing und China. Als das Gespräch zu einigen kritischen Punkten über die chinesische Politik schweifte, merkte Captain China nur zerknirscht an „Ich habe keine Wahl…“. Richtig, in China gibt es zwar eine Wahl, aber nur eine Partei die man wählen kann. Obwohl wir das Gefühl hatten, in China mehr Leute zu treffen, die zumindest ein klein bisschen kritisch gegenüber der Regierung waren, war der Vergleich zu Russland aus einem anderen Grund besonders spannend. Nach unseren Maßstäben ist die chinesische Regierung zwar vielleicht noch schlimmer als die russische, im Sinne der Einschränkung von Menschenrechten, aber ein entscheidender Unterschied hierbei ist: Den meisten Leuten in China geht es wirtschaftlich viel besser, als noch vor 20 Jahren. Das war für uns eine neue Dimension. Es fiel leichter eine Akzeptanz der Regierung hinzunehmen, wenn man die wirtschaftliche Entwicklung in China in den letzten Jahrzehnten betrachtet. Für viele Leute hat sich wirklich viel verbessert.

In Beijing trafen wir auch Owen, der als chinesischer Reporter für die in China verbotene New York Times arbeitet und bekamen so noch einen tieferen Einblick in die Restriktionen, die die chinesische Regierung der Meinungsäußerung auferlegt. Für Owen war klar, über kritische Themen könne er nicht schreiben. Als ausländischer Journalist in China sei das vielleicht noch möglich, das schlimmste, was dann passieren könne, sei des Landes verwiesen zu werden. Einen chinesischen Reporter könne das Gefängnis oder Schlimmeres erwarten. Für Owen, etwa Mitte zwanzig, war auch klar: Mit dreißig wolle er den Journalismus an den Nagel hängen, zu gefährlich, kaum Geld oder alternativ nur regierungskonform berichten.

Kurioserweise war das Leben für Mike, der uns dann doch noch über couchsurfing einlud, verhältnismäßig luxuriös. Mike arbeitete als Herausgeber für eine englischsprachige zensierte chinesische Tageszeitung China Daily und hatte so als amerikanischer Journalist in China mehr Glück als sein chinesisches Gegenüber. So konnten wir sehr komfortabel ein paar Nächte bei Mike bleiben und Vorbereitungen für die pakistanischen Visa treffen. Diese sind nämlich nicht nur deshalb nicht leicht zu kriegen, da man sie nur im Wohnsitzland, sprich Deutschland, beantragen kann, sondern auch da die zuständige Bearbeiterin in der Berliner Botschaft eine Kunst daraus entwickelt hat, so unfreundlich und wenig hilfsbereit wie möglich zu jedem zu sein, der auf die absurde Idee kommt, aus China ein Pakistanvisum beantragen zu wollen. Doch nach einer Weile war alles organisiert, die Pässe per Express nach Deutschland geschickt, in der Hoffnung diese dann in drei Wochen bei Sisy Lee, der Schwester des Porschefahrers an der chinesischen Ostküste in Qingdao wieder abholen zu können.

Beijing war wie schon China an sich, anders als erwartet. Wir hatten eine verrauchte Smogwolke über der Stadt erwartet aber wurden von einem strahlend blauem Himmel begrüßt. Der blaue Himmel schien für uns aber willkommener als für so manche Chinesin. Viele Chinesinnen scheinen besessen zu sein mit heller Haut, die hier noch als eine Art Statussymbol für Wohlstand und gute Herkunft steht. Trotz der Wärme waren viele mit Handschuhen, Tüchern grossen Hüten und Schirmen ausgestattet, um sich vor der Sonne zu schützen. Wir hörten so auch das erste Mal vom Facekini einer Art Badekappe, die man sich über das Gesicht ziehen kann. Damit sieht man dann zwar aus wie ein schwimmender Bankräuber, ist aber vor der bösen Sonne komplett sicher.

Anders als erwartet war auch, dass wir davon ausgingen in eine pulsierende Millionenstadt mit verrückten Hochhäusern zu kommen. Beijing hingegen war vor allem durch kleine Gassen um traditionelle Wohnblöcke, Hutongs, gekennzeichnet. Hier hing die Wäsche an den Stromleitungen und schnell konnten wir auch eine weitere chinesische Eigenart beobachten. Nackte Kinderpopos! Viele chinesische Familien statten ihre Kleinsten nicht mit Windeln aus, wer will auch schon gern Plastik um den Hintern sondern schneiden ganz einfach große Löcher in die Hosen der Kleinen, natürlich hübsch vernäht. So werden die kleinen Popos dann immer frisch vom Wind umweht und wenn einer muss, wird er oder sie einfach schnell, zumeist von den Großeltern, die in der Regel die Kinderbetreuung übernehmen, über ein Beet, hinter ein Auto oder über eine Mülltonne gehalten.

In China geht es schon früh in die Rente. Die Mitfünfziger und älter kann man daher entweder mit den Enkelkindern im Park, aber auch alleine Tai Qi und Dehnübungen machend beobachten. Die Flexibilität vieler älterer Leute ist dabei extrem beeindruckend. 70-80 jährige schwingen mit Leichtigkeit mal ein Bein über ein Brückengeländer. Ein weiterer gern geübter Sport scheint auch das „Abrollen“ zu sein. Dabei bediene man sich bestimmter Fitnessgeräte und rolle alle Körperteile mal kräftig darüber. Besonders witzig war dabei, eine ältere Dame zu beobachten, die Sage und Schreibe 15 Minuten ihren Allerwertesten auf einem Fitnessgerät abrubbelte. Die Rentner kann man auch in großen Gruppen fesch tanzend im Park, vor Einkaufszentren oder auf öffentlichen Plätzen beobachten. Das Tanzen in Gruppen scheint in China groß angesagt zu sein. So rufen auch die Schulen nach dem Morgenmanöver zum Tanz auf, wie wir jeden morgen aus Mikes Wohnung bezeugen konnten. Aus lauten Boxen schallt die Musik während die Kinder fröhlich in ihren blauen nach Jogginganzügen aussehenden Schuluniformen dazu auf und ab hüpfen.

Mike nahm sich trotz seiner Arbeit viel Zeit für uns. Er zeigte uns verschiedene Ecken der Stadt, nahm uns mit zu den Seen und weihte uns in die Welt des Scopens ein. Das ist ein Art live Video Übertragung, von dem was man gerade so macht. Mike nahm uns mit zu einem Spaziergang zu den Seen in Beijing und wir waren online. Das Scopen bestand darin einen Teil des Spaziergangs zu filmen, vor allem aber aktive Konversationen mit den Followern zu führen. So begrüßte Mike jeden der sich dazu schaltete persönlich und fragte viele nach ihrem Befinden. Mike hat eine große Followergemeinde und kann sich darüber sogar ein kleines zusätzliches Einkommen sichern. An diesem Tag hatten die Fans besonderes Glück, denn wir stolperten plötzlich in eine kleine Live Performance. Neben dem Tanzen in großen Gruppen, scheint in China wohl auch angesagt, kleine Sing-, Verkleide- und Tanz- Performances zu starten. Das Ganze nicht etwa für Geld sondern einfach nur so zum Spaß. Der chinesische Gesang ist ziemlich interessant aber für die armen westeuropäischen Ohren als stark gewöhnungsbedürftig zu bezeichnen. Milde ausgedrückt glich das ganze einem Katzenjammer.

Mike nahm uns auch mit auf die Abschiedsparty eines brasilianischen Freundes, dass ein brasilianisches Diplomaten/Journalisten Pärchen für diesen organisiert hatte. Wir fanden uns umgeben von brasilianischen Diplomaten in einer schnieken Wohnung wieder und wurden mit leckeren kleinen Häppchen gefüttert. In dem Gebäude waren neben Diplomatenwohnungen auch viele kleine Botschaften untergebracht und wir hatten schon Hoffnung das ganze Pakistanvisumsgetu vielleicht doch noch über persönliche diplomatische Kontakte umgehen zu können. Leider zerschlug sich diese Hoffnung schnell und die Party war auch bald vorbei, da die Diplomaten sich um den G20 in Schanghai am nächsten Morgen kümmern mussten.

Für uns stand am nächsten Morgen bloß der Besuch der verbotenen Stadt an, die so überfüllt war, dass wir eher das Leben einer Sardine in der Büchse als das der chinesischen Kaiser nachempfinden konnten. Zumindest führte das allgemeine Chaos dazu, dass wir etwas weniger auffielen und so von vielen Fotos verschont blieben. Ansonsten waren wir gern geschossene Fotoobjekte. Vor allem natürlich Jeroen mit seinen fast zwei Metern. So versammelten sich kichernde Mädchen unter ihm in der U-Bahn und versuchten heimlich im Selfiemode ein Foto mit ihm zu ergattern. Ein beliebter Trick für die Schüchternen war auch der Handy-hinter-Zeitung-Fotomachmodus (HhZF) oder haarscharf-vorbeilaufen-Freundin-tut-so-als-ob-sie-gar-nicht-die-Fremden-sondern-nur-mich-fotografiert-Fotomachmodus (hvFtsaosgndFsnmfF). Freundlicher waren die Mutigeren, die sich uns mit etwas Small Talk annäherten und dann fröhlich mit einem, zwei oder drei Fotos auf der Kamera davon zuckelten. Insgesamt war die Neugier mancher Chinesen, eine sehr nette Neugier und wir waren froh, auch wenn es vornehmlich um das Foto ging, über dieses Medium mit vielen netten Leuten kurz ins Gespräch zu kommen.

Während wir also so durch die Gassen Beijings strichen und zwischendurch in die Kameras lächelten, merkten wir, dass es eine weitere chinesische Eigenart gab, vor der es sich zu hüten galt. Hier heißt es Ohren auf, wenn man einen Chinesen überholt! So hört man das Warnsignal, wenn aus dem tiefsten inneren Speichel und Schleim heraufgeholt und ohne Rücksicht auf Verluste mit Schmackes zur Seite gespuckt wird. Wir konnten diesen Minigeschossen geschickt entweichen, allerdings berichtete Mike, er habe auf dem Roller beim Überholen mal die volle Ladung ins Gesicht gekriegt. Der nichtsahnende Chinese von dem der Angriff ausgegangen war, verstand natürlich nicht warum dieser große schwarze Mann ihn mit wild fuchtelnden Gesten anfauchte und fuhr bloß etwas verwirrt aber unbekümmert von dannen.

Trotz all der Andersartigkeiten, waren aber auch hier die Ähnlichkeiten viel offensichtlicher. Wir begegneten unglaublich vielen freundlichen Leuten und einer großen Hilfsbereitschaft. Obwohl es sich in Beijing für uns mit erstaunlich klarem Himmel und einem göttlichen Essensangebot durchaus aushielten ließ, fühlten wir uns verpflichtet auch die wohl berühmteste Sehenswürdigkeit Chinas, die chinesische Mauer zu besuchen und machten uns so nach ein paar netten Tagen mit Mike auf, die chinesische Mauer zu erkunden.

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Jeroen eating ice cream
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Multimediametro
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Inside the Hutong
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The lakes
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Laundry and chaos
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Lotus in Beihai park
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Mao in front of forbidden city
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Overcrowded forbidden city
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Shopping street in the rain
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Traffic
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Child in front of temple of heaven
Zebracrossing
Zebracrossing

„Chinese saying goes eat will not homesick“

Beijing, August 2016

China hat uns überrascht! Wie sagte noch der kleine Bär zum kleinen Tiger? “In Panama ist alles viel schöner und grösser!” So kamen wir in der Grenzstadt Eerenhot an und staunten nicht schlecht. Roller, Rikschas und Autos rollten über Hochglanzstraßen. So eine Infrastruktur hätten wir vielleicht direkt um Beijing herum erwartet, aber doch nicht in der inneren Mongolei (eine Provinz von China)! Vielleicht nur so ein Angeberding, wie Putins Straße an der mongolisch-kasachischen Grenze in den Altaibergen dachten wir uns und staunten nicht schlecht, dass sogar hier im Westen von China, in dem wir mittlerweile angekommen sind, die Straßen denen im Osten in nichts nachstehen. Während wir über die Straßen staunten, staunten die Chinesen über uns. Gleich in Eerenhot direkt hinter der mongolischen Grenze fing es an und hörte nicht mehr auf. So liefen Kinder an uns vorbei, rissen mit einem lauten „Boah“ die Augen weit auf und holten ihre Freunde, um sich die eigenartigen Gestalten mal anzuschauen. Rikschafahrer verdrehten die Köpfe und konnten nur knapp ein paar Auffahrunfällen entgehen. Viele Leute wollten Fotos mit oder zumindest von uns. Wir fühlten uns zum ersten Mal im Leben wie richtige Stars.

So zogen wir durch Eerenhot und während wir durch den Schwarzmarkt (da gibt es fast alles), den Supermarkt (da gibt es echt alles, …außer Brot) und ein paar Straßen schlenderten, versuchten wir das Abenteuer, Trampen in China, noch etwas hinauszuschieben. Wir hatten schon gehört, dass Trampen in China nicht weit verbreitet ist, aber die Leute durchaus neugierig sind und trotzdem halten. Die Neugier hatten wir auf unserer Seite und außerdem einen Zettel von einem netten Chinesen, den wir in der Mongolei getroffen hatten, auf dem unsere Art des Reisens und die Bitte uns ein Stück mitzunehmen, auf Chinesisch erklärt standen. So wurden wir schon kurz darauf von einem chinesischen Pärchen, 30 km aus der Stadt gefahren und beschlossen dort unser Zelt aufzuschlagen. Dort in der inneren Mongolei konnten wir noch einmal in mongolische Melancholie verfallen und eine Pferdeherde im Sonnenuntergang beobachten.

Wir stellten uns am nächsten Tag wieder frisch und ausgeruht an die Straße. Sehr schnell hielt auch ein Auto, allerdings sehr weit von uns entfernt. Bestimmt nicht wegen uns, doch dann: Das Auto bewegte sich, schwer auszumachen ob rückwärts oder vorwärts. Tatsächlich rückwärts, leicht nach links. Stop. Ein bisschen vorwärts. Also wohl doch nicht. Häh, wieder rückwärts, diesmal leicht nach rechts. Stop. Hmmm. Wieder rückwärts, leicht nach links. Und wir begriffen: Da versuchte doch tatsächlich jemand verzweifelt seinen luxuriösen Mercedes rückwärts entlang des Seitenstreifens zu fahren um uns mitzunehmen. Wir waren gerührt, packten also unsere Taschen und rannten zum Auto, um den armen Fahrer, wie sich zu Lindas großer Enttäuschung herausstellte, eine Frau, von dieser unerfüllbaren Aufgabe zu befreien. Glücklicherweise stellte sich später heraus, dass auch chinesische Männer nichts vom Rückwärtsfahren halten. So hielten die Chinesen, die uns mitnahmen in der Regel einfach mitten auf der Straße, wenn doch jemand zurücksetzen wollte, dann indem einfach das Auto gewendet und auf dem Seitenstreifen als Geisterfahrer zurückgefahren kam.

Die nette Dame und ihre Tochter, die es mit dem Rückwärtsfahren zumindest versuchten, nahmen uns also mit zur nächst größeren Stadt, wo wir kurz darauf in Lee Fans Porsche hüpften, der uns die ganzen 650 km nach Beijing mitnahm. Die Angst vorm Trampen in China war wie weggeblasen und wie der Mensch so ist, mit einer Stichprobe von zwei Autos, bildeten wir uns natürlich auch gleich ein, in China trampe man nur in Luxusautos.

Im Auto mit Lee Fan stellten seine Schwester Sisy am Telefon und eine Übersetzungsapp sich als große Helfer heraus, da Fan leider kaum Englisch sprach. Der arme Fan schaute immer etwas verwirrt, wenn wir zwischendurch lauthals zu lachen ausbrachen, da die App teilweise sehr lustige Übersetzungen zustande brachte ( „Dumplings are Chinese people will eat and dumplings are not this season then in the evening I take you to eat it leek dumplings you eat it.“) Das hielt ihn aber nicht davon ab, uns gleich zweimal zum Essen einzuladen und wir lernten das chinesische Essen sofort lieben. Auch hier ganz im Gegensatz zu unseren durch die westeuropäisch meist fastfoodähnliche chinesische Küche Erwartungen wurden wir in China sogleich kulinarisch überrascht und freuten uns umso mehr auf die zwei Monate, die die chinesische Botschaft uns in dem riesigen Land gestattet hatte. Wir waren aber auch etwas verunsichert. Darf man sich in China beim Essen die Nase putzen? Müssen wir schmatzen und schlürfen, um unsere Dankbarkeit zu zeigen?

Als wir also in Fans Schlepptau zum Abendessen im Restaurant in Beijing schlurften, konnten wir gleich ein paar chinesische Eigenarten beobachten. Chinesische Männer lieben es, ihr T-Shirt über dem Bauch einzuklemmen und so den Bauch gut durchzulüften. Das T-Shirt wird dabei also nicht ausgezogen. Wem der passende Bauch dazu noch fehlt, der klemme das T-Shirt einfach unter die Achseln. Wir probierten das später auch. Ist tatsächlich sehr zu empfehlen.

Das Schmatzen scheint eine weitere chinesische Eigenart. Uns Westeuropäern schon auf Kindesbeinen mit harter Arbeit abtrainiert. Aber warum eigentlich? Wie jeder Weinkenner oder russischer Teekenner wohl bestätigen kann muss Geschmack atmen. Das lässt sich dadurch erreichen, möglichst viel Sauerstoff an die Nahrung zu lassen. Das heißt also schlürf die Suppe, schmatz das Essen und alle Feinheiten der chinesischen Küche Werden sich zu einem wahren Geschmackserlebnis entfalten. Während also das chinesische Essen uns durchaus half, unsere Sehnsucht nach Hause zu schmälern, wissen wir schon jetzt, dass das chinesische Essen uns fehlen wird. Wie Lee Fans App es ausdrückte: „Chinese saying goes eat will not homesick“.

Chinese saying
Chinese saying
First impression China - Ehrengot
First impression China – Ehrengot
Hitchhiking in CHina's Inner Mongolia
Hitchhiking in China’s Inner Mongolia
Camping in the steppes of China
Camping in the steppes of China
Sunset Inner Mongolia
Sunset Inner Mongolia
Fan and his Porsche
Fan and his Porsche

Dan’s Podcast

Beijing, September 10 2016

Als wir in Beijing bei Dan und Katie waren, hat Dan mit uns einen Podcast über unsere Reise aufgenommen. Das Gespräch ist auf Englisch und ist hier zu finden: http://1000daysbetween.com/2016/09/atw-podcast-episode-17-jeroen-and-linda/

Dan arbeitet als Englisch Lehrer in Beijing und schreibt über seine Reiserlebnisse auf seinem Blog, er hat sogar sein eigenes Buch über die Zeit, die er in Süd-Amerika verbracht hat, veröffentlicht: „1000 Days Between“!