November 2016
Das Hunzatal ist so schön! Überall gibt es Aprikosen-, Apfel-, und Kirschbäume. Wir stolperten genau in die Apfelsaison und wurden außerdem mit sonnengetrockneten Aprikosen, Mandeln und Wallnüssen von den freundlichen Bewohnern des Hunzatals versorgt. Angeblich erreichen die Bewohner des Tals ein stattliches Durchschnittsalter von hundert Jahren. Obwohl dies wohl nicht ganz der Wahrheit entspricht, waren wir beeindruckt von der Rüstigkeit der alten Damen, die uns auf einer Wanderung in Passu begegneten.
Aber nicht nur körperlich haben die Hunzakutz so einiges drauf. Im Hunzatal gibt es zudem mit über 95% die höchste Rate derer die Lesen und Schreiben können. Viele sprechen auch super Englisch. Eine große Mehrheit der Bewohner des Hunzatals sind die Ismailiten. Das ist eine äußert fortschrittliche Shiareligion, die ihrem Führer, dem Aga Khan, folgen. Schon seit den 50er Jahren hat der Aga Khan durch verschiedene Pamphlete die Entwicklung der Ismailiten bedeutend vorangetrieben. Mit einem Fokus auf Bildung, besonders von Frauen, und gemeindebasierte Entwicklungsprojekte, hat sich der Lebensstandard für die meisten Bewohner des Hunzatals drastisch erhöht.
In der Region gibt es viele Gemeindeentwicklungsprojekte, über die uns der freundliche Hotelverwalter bei unserem Besuch in Karimabad aufklärte. Teils werden diese Projekte von ausländischen Gebern, mittlerweile zu einem großen Teil aber auch von lokalen Gebern und vor allem auch durch freiwilliges Engagement der Menschen vor Ort unterstützt. Es gibt beispielsweise ein Projekt bei dem Frauen andere Frauen aus dem Karimabad gegenüberliegenden Nagar zu Lehrerinnen ausbilden. In Nagar lebt eine andere Shiagruppe, die lange Zeit an eher konservativen Werten festgehalten hat, sich nun aber zunehmend Bildung und Entwicklung zu öffnen scheint, wohl auch weil die positiven Veränderungen im Nachbardorf wahrgenommen wurden.
Auf einer Wanderung in Passu fesselte uns aber zunächst die Schönheit des Tales. Der Hunzafluss wird dort von Bergen, teilweise über 6000 m hoch, eingerahmt und wir konnten uns an goldgelben Aprikosen- und voll behangenen Apfelbäumen erquicken, während mystische Staubwolken über den Fluss geblasen wurden. Vorbei an kleinen Häuschen, aus den lokalen großen Steinen gebaut und durch Sanddornwälder fühlten wir uns egal wo wir hinschauten wie in einem National Geographic Dokumentarfilm mit hoher Auflösung. Vielleicht lag das auch mit an den grusligen Hängebrücken, die uns auf dem Weg begegneten. Der Abstand zwischen den Brettern hätte garantiert keiner deutschen Sicherheitsprüfung standgehalten und das andere Ufer war fern. Während wir verkrampft beide Drahtseile festhaltend, mit zitternden Knien den etwa 20 m unter uns reißenden Fluss beobachtend, dazu noch bei einem Wind, der Jeroen die Sonnenbrille von der Nase wehte, und uns so langsam über die Brücke vortasteten, stapften die Hunzafrauen munter und flott, freundlich grüßend, an uns vorbei auf dem Weg zum Kühe melken.
Auf der anderen Seite in Hussaini angekommen begegneten wir auch ein paar jungen Talbewohnern. Während sie Jeroens Auskunft, er sei aus Holland mit einem Schulterzucken abtaten, leuchteten die Augen auf als Linda ihre Herkunft preisgab: „Deutschland! Oh wie großartig! Deutsche sind so stark und mutig!“ Wir dachten zurück an unsere Leistung auf der Hängebrücke kurz zuvor und waren nicht sonderlich überzeugt. Nach genauerem Nachfragen mussten wir feststellen, dass sich die Vorliebe für den Herrn Hitler nicht nur auf die Uighuren in China beschränkt. Auch in Pakistan begegnete uns breiter Zuspruch für den Völkermörder. Nur zur Info auch in Kasachstan und der Mongolei wurden wir mit einem grusligen Enthusiasmus für Hitler konfrontiert. Die jungen Hussaini waren begeistert von Hitlers Fähigkeit Massen zu mobilisieren und überzeugt davon, in Pakistan bräuchte es eine gewalttätige Revolution. Die Frustration mit der jetzigen Situation konnten wir gut nachvollziehen. Die Grenzregionen zu Afghanistan wird ständig von Terror bedroht, ähnlich ist es in Belutschistan, der Grenzregion mit dem Iran, auch in vielen Städten kommt es immer wieder zu Terrorattacken und der Krieg mit Indien dauert schon seit über 75 Jahren an. Das einzige Grenzland, mit dem Pakistan freundliche Beziehungen hegt, ist China. China investiert heftig in Pakistans Infrastruktur, um einen direkten Zugang für Waren aus Chinas Westen zum pakistanischen Hafen zu bekommen. Es gibt Hoffnung, das Pakistan davon profitieren wird. Mit Blick auf die Politik jedoch, die von Korruption durchwachsen ist, scheint schon vorprogrammiert, wer von diesen Investitionen letztendlich profitieren wird.
Auch der Tourismus ist im Hunzatal seit 9/11 um 90% zurückgegangen. Seit 2001 galt Pakistan als Terrorismusland. Tourismus aus dem Westen stoppte beinahe komplett. Jetzt hat sich nach und nach ein lokaler Tourismus aus Pakistan eingebürgert und außerdem kommen mehr und mehr Japaner, Koreaner und natürlich Chinesen, um die Schönheit der Region zu bewundern. Die Japaner kommen vor allem für die Kirschblüten und die gute Aprikosenkernseife. Nach und nach kommen auch aus dem Westen immer mal wieder Touristen in die Region. Es gibt viele Bemühungen, den Tourismus im Land wieder aufleben zu lassen. So stolperten wir auf unserer Wanderung auch in eine Aljazeera Reportage über Tourismus und Klimawandel (der Passu Gletscher scheint trotz Klimaerwärmung zu wachsen und nicht zu schmelzen) und der Reporter lief gleich auf uns zu, um uns zu interviewen.
Linda, die Schwierigkeiten hatte, sich medienwirksam auszudrücken- man will ja nicht gleich nach einem Tag generalisieren- musste dann noch drei mal wiederholen, dass soweit sie das jetzt beurteilen könne, Passu der schönste Ort der Reise sei, und dann durften wir weitergehen.
Etwas zügiger als gedacht ging es nach Karimabad. Jeroen ging es nicht gut und er bekam im, im Vergleich zu Russland, auffallend gutem kleinen Krankenhaus, eine Pleuritis diagnostiziert. Zum Glück war gerade Mambu, ein Hotelverwalter dort, der uns dann einen super Preis in einem Hotel mit Aussicht anbot und uns auch gleich in seinem kleinen weißen Minivan dort hinfuhr, um ein paar Tage auszuruhen.
Wir begannen uns schon fast ein bisschen zu Hause zu fühlen. Das hatten wir zu einem großen Teil der lieben Lal Shezadi zu verdanken. Sie hatte das kleinste Restaurant Karimabads eröffnet und bekochte dort die Gäste mit den leckersten traditionellen Gerichten des Hunzatals. Neben den ausgesprochenen Köstlichkeiten war Lal Shezadis besondere Persönlichkeit, was uns immer wieder in die kleine gemütliche Holzbude zog. „Ich mag diese Leute nicht“ und besonders häufig „Ich mag keine Pakistani“ vertraute Lal uns mit leicht vorgebeugter Körperhaltung und kaum gesenkter Stimme an, wenn ein paar ihrer Kunden gerade den Laden verließen. Zum Glück nahmen ihre Kunden diese Bissigkeit mit Humor und wir hatten ein paar sehr nette Unterhaltungen in der kleinen Bude. Europäer schien Lal gern zu mögen und so wurden wir auch zur Geburtstagsfeier zwei ihrer Kinder eingeladen und durften Torte essen.
In Lals Restaurant wurde immer in Schichten gegessen. Am besten gab man schon ein oder zwei Stunden vorher Bescheid, was man gerne Essen wollte, und wenn neue Kunden kamen, wurden die Plätze geräumt. Wir durften aber meist trotzdem auf Lals Winken in der Ecke sitzen bleiben und trafen so jede Menge netter Leute in Lals kleinem Restaurant.
So endeten wir an einem Abend auch mit einer Flasche Wein, die ein dänisches Pärchen noch aus Kirgistan mitgenommen hatte und einer großen Gruppe Pakistani und einer Handvoll westlicher Touristen auf einem der Dächer in Karimabad und fragten uns erneut, warum wir nicht einfach alle miteinander auskommen….
Lal and her children