Das Hunzatal ist so schön! Überall gibt es Aprikosen-, Apfel-, und Kirschbäume. Wir stolperten genau in die Apfelsaison und wurden außerdem mit sonnengetrockneten Aprikosen, Mandeln und Wallnüssen von den freundlichen Bewohnern des Hunzatals versorgt. Angeblich erreichen die Bewohner des Tals ein stattliches Durchschnittsalter von hundert Jahren. Obwohl dies wohl nicht ganz der Wahrheit entspricht, waren wir beeindruckt von der Rüstigkeit der alten Damen, die uns auf einer Wanderung in Passu begegneten.
Aber nicht nur körperlich haben die Hunzakutz so einiges drauf. Im Hunzatal gibt es zudem mit über 95% die höchste Rate derer die Lesen und Schreiben können. Viele sprechen auch super Englisch. Eine große Mehrheit der Bewohner des Hunzatals sind die Ismailiten. Das ist eine äußert fortschrittliche Shiareligion, die ihrem Führer, dem Aga Khan, folgen. Schon seit den 50er Jahren hat der Aga Khan durch verschiedene Pamphlete die Entwicklung der Ismailiten bedeutend vorangetrieben. Mit einem Fokus auf Bildung, besonders von Frauen, und gemeindebasierte Entwicklungsprojekte, hat sich der Lebensstandard für die meisten Bewohner des Hunzatals drastisch erhöht.
In der Region gibt es viele Gemeindeentwicklungsprojekte, über die uns der freundliche Hotelverwalter bei unserem Besuch in Karimabad aufklärte. Teils werden diese Projekte von ausländischen Gebern, mittlerweile zu einem großen Teil aber auch von lokalen Gebern und vor allem auch durch freiwilliges Engagement der Menschen vor Ort unterstützt. Es gibt beispielsweise ein Projekt bei dem Frauen andere Frauen aus dem Karimabad gegenüberliegenden Nagar zu Lehrerinnen ausbilden. In Nagar lebt eine andere Shiagruppe, die lange Zeit an eher konservativen Werten festgehalten hat, sich nun aber zunehmend Bildung und Entwicklung zu öffnen scheint, wohl auch weil die positiven Veränderungen im Nachbardorf wahrgenommen wurden.
Auf einer Wanderung in Passu fesselte uns aber zunächst die Schönheit des Tales. Der Hunzafluss wird dort von Bergen, teilweise über 6000 m hoch, eingerahmt und wir konnten uns an goldgelben Aprikosen- und voll behangenen Apfelbäumen erquicken, während mystische Staubwolken über den Fluss geblasen wurden. Vorbei an kleinen Häuschen, aus den lokalen großen Steinen gebaut und durch Sanddornwälder fühlten wir uns egal wo wir hinschauten wie in einem National Geographic Dokumentarfilm mit hoher Auflösung. Vielleicht lag das auch mit an den grusligen Hängebrücken, die uns auf dem Weg begegneten. Der Abstand zwischen den Brettern hätte garantiert keiner deutschen Sicherheitsprüfung standgehalten und das andere Ufer war fern. Während wir verkrampft beide Drahtseile festhaltend, mit zitternden Knien den etwa 20 m unter uns reißenden Fluss beobachtend, dazu noch bei einem Wind, der Jeroen die Sonnenbrille von der Nase wehte, und uns so langsam über die Brücke vortasteten, stapften die Hunzafrauen munter und flott, freundlich grüßend, an uns vorbei auf dem Weg zum Kühe melken.
Auf der anderen Seite in Hussaini angekommen begegneten wir auch ein paar jungen Talbewohnern. Während sie Jeroens Auskunft, er sei aus Holland mit einem Schulterzucken abtaten, leuchteten die Augen auf als Linda ihre Herkunft preisgab: „Deutschland! Oh wie großartig! Deutsche sind so stark und mutig!“ Wir dachten zurück an unsere Leistung auf der Hängebrücke kurz zuvor und waren nicht sonderlich überzeugt. Nach genauerem Nachfragen mussten wir feststellen, dass sich die Vorliebe für den Herrn Hitler nicht nur auf die Uighuren in China beschränkt. Auch in Pakistan begegnete uns breiter Zuspruch für den Völkermörder. Nur zur Info auch in Kasachstan und der Mongolei wurden wir mit einem grusligen Enthusiasmus für Hitler konfrontiert. Die jungen Hussaini waren begeistert von Hitlers Fähigkeit Massen zu mobilisieren und überzeugt davon, in Pakistan bräuchte es eine gewalttätige Revolution. Die Frustration mit der jetzigen Situation konnten wir gut nachvollziehen. Die Grenzregionen zu Afghanistan wird ständig von Terror bedroht, ähnlich ist es in Belutschistan, der Grenzregion mit dem Iran, auch in vielen Städten kommt es immer wieder zu Terrorattacken und der Krieg mit Indien dauert schon seit über 75 Jahren an. Das einzige Grenzland, mit dem Pakistan freundliche Beziehungen hegt, ist China. China investiert heftig in Pakistans Infrastruktur, um einen direkten Zugang für Waren aus Chinas Westen zum pakistanischen Hafen zu bekommen. Es gibt Hoffnung, das Pakistan davon profitieren wird. Mit Blick auf die Politik jedoch, die von Korruption durchwachsen ist, scheint schon vorprogrammiert, wer von diesen Investitionen letztendlich profitieren wird.
Auch der Tourismus ist im Hunzatal seit 9/11 um 90% zurückgegangen. Seit 2001 galt Pakistan als Terrorismusland. Tourismus aus dem Westen stoppte beinahe komplett. Jetzt hat sich nach und nach ein lokaler Tourismus aus Pakistan eingebürgert und außerdem kommen mehr und mehr Japaner, Koreaner und natürlich Chinesen, um die Schönheit der Region zu bewundern. Die Japaner kommen vor allem für die Kirschblüten und die gute Aprikosenkernseife. Nach und nach kommen auch aus dem Westen immer mal wieder Touristen in die Region. Es gibt viele Bemühungen, den Tourismus im Land wieder aufleben zu lassen. So stolperten wir auf unserer Wanderung auch in eine Aljazeera Reportage über Tourismus und Klimawandel (der Passu Gletscher scheint trotz Klimaerwärmung zu wachsen und nicht zu schmelzen) und der Reporter lief gleich auf uns zu, um uns zu interviewen.
Linda, die Schwierigkeiten hatte, sich medienwirksam auszudrücken- man will ja nicht gleich nach einem Tag generalisieren- musste dann noch drei mal wiederholen, dass soweit sie das jetzt beurteilen könne, Passu der schönste Ort der Reise sei, und dann durften wir weitergehen.
Etwas zügiger als gedacht ging es nach Karimabad. Jeroen ging es nicht gut und er bekam im, im Vergleich zu Russland, auffallend gutem kleinen Krankenhaus, eine Pleuritis diagnostiziert. Zum Glück war gerade Mambu, ein Hotelverwalter dort, der uns dann einen super Preis in einem Hotel mit Aussicht anbot und uns auch gleich in seinem kleinen weißen Minivan dort hinfuhr, um ein paar Tage auszuruhen.
Wir begannen uns schon fast ein bisschen zu Hause zu fühlen. Das hatten wir zu einem großen Teil der lieben Lal Shezadi zu verdanken. Sie hatte das kleinste Restaurant Karimabads eröffnet und bekochte dort die Gäste mit den leckersten traditionellen Gerichten des Hunzatals. Neben den ausgesprochenen Köstlichkeiten war Lal Shezadis besondere Persönlichkeit, was uns immer wieder in die kleine gemütliche Holzbude zog. „Ich mag diese Leute nicht“ und besonders häufig „Ich mag keine Pakistani“ vertraute Lal uns mit leicht vorgebeugter Körperhaltung und kaum gesenkter Stimme an, wenn ein paar ihrer Kunden gerade den Laden verließen. Zum Glück nahmen ihre Kunden diese Bissigkeit mit Humor und wir hatten ein paar sehr nette Unterhaltungen in der kleinen Bude. Europäer schien Lal gern zu mögen und so wurden wir auch zur Geburtstagsfeier zwei ihrer Kinder eingeladen und durften Torte essen.
In Lals Restaurant wurde immer in Schichten gegessen. Am besten gab man schon ein oder zwei Stunden vorher Bescheid, was man gerne Essen wollte, und wenn neue Kunden kamen, wurden die Plätze geräumt. Wir durften aber meist trotzdem auf Lals Winken in der Ecke sitzen bleiben und trafen so jede Menge netter Leute in Lals kleinem Restaurant.
So endeten wir an einem Abend auch mit einer Flasche Wein, die ein dänisches Pärchen noch aus Kirgistan mitgenommen hatte und einer großen Gruppe Pakistani und einer Handvoll westlicher Touristen auf einem der Dächer in Karimabad und fragten uns erneut, warum wir nicht einfach alle miteinander auskommen….
„Allah-u-Akbar“ tönt es von den Minaretten. Fünf Uhr morgens und eigentlich wollen wir noch schlafen, aber naja, „inshallah“ hört es gleich wieder auf. Seltsam, diese Vorbereitung auf das Paradies, wenn man sich eigentlich schon in diesem befindet. Das Hunzatal in das wir über den Kunjherab Pass aus China eingereist sind, ist wahrscheinlich der schönste Ort, der uns auf unserer Reise bisher begegnet ist. Alles leuchtet in Herbstfarben, dahinter türmen sich Berge mit weißen Spitzen auf.
Schon der Weg von Kashgar über den Karakorum Highway in Richtung Pakistan war ein wahrer Augenschmaus. Von Kashgar brachen wir trampend nach Süden auf. Zunächst also mit dem Bus etwas aus der Stadt. Vorbei an einer Polizeistation. Die Uiguren müssen sich abmelden, wenn sie von Stadt zu Stadt reisen. Wegen der Sicherheit. Also kurz gewartet und weiter aus der Stadt heraus. Von der schönen Umgebung konnten wir dort aber leider eher wenig sehen. Es tobte nämlich ein Sandsturm. Zwei Mitfahrgelegenheiten weiter waren wir auch tatsächlich mitten drin. Maskiert mit Mundschutz und Sonnenbrillen stellten wir uns also an den Weg und hofften, dass ein vorbeifahrendes Auto uns überhaupt sehen würde, denn die Luft war voller Sand. Die Rettung ließ nicht lang auf sich warten, als ein Jeep angefahren kam, in dem die ersten Tramper, die wir in China trafen, zwei Chinesen, saßen und auf der Rückbank für uns zusammen rückten. Schon nach wenigen Minuten beendete der Jeep aber seine Fahrt und so versuchten wir unser Glück zu viert mit Angela und Aron am Straßenrand. Ein Melonenwagen hielt, Angela stürmte mit vollem Enthusiasmus darauf zu und nachdem wir unsere Rucksäcke auf den Melonen verstaut hatten, fanden wir zum Glück alle einen Platz. Unser nächster freundlicher Fahrer fuhr uns zum Glück alle vier bis zum Karakol See, wo Angela und Aron spontan entschieden, uns Gesellschaft zu leisten.
Unser Fahrer hatte Kontakte am See und bat einen Freund uns vier für die Nacht aufzunehmen.
Wir alle beschlossen für unseren Gastgeber, Kaule und uns selbst zu kochen und machten uns auf zum Supermarkt. Auf Angela’s bewundernde Äußerung hin „ihr wisst wie man Knoblauch zubereitet!?!“, beschlossen wir den Teil des Kochens zu übernehmen.
Ein paar Freunde von Kaule kamen vorbei von denen einer bewundernd Jeroen bestaunte „zwei Meter groß!“, dafür gab es ein respektvolles Lächeln und ein Daumen hoch in Lindas Richtung, die sich sogleich fühlte, als habe sie einen prachtvollen Hirsch geschossen.
Die Nacht war leider weniger glorreich, da Kaule beschlossen hatte, mit seinen Kumpels die Nacht durchzuzechen. So versuchten wir also, Kopf neben dem Kohleofen, aus dem immer wieder große Rauchwolken kamen, der Abzug funktionierte wohl nicht richtig, mit Kaules lärmenden Gästen und einem voll aufgedrehten Fernseher über unseren Köpfen doch noch etwas Schlaf zu finden.
Die frische Bergluft am See am nächsten Morgen half uns den Schock der Nacht zu verarbeiten. Außerdem hatte Angela bei einer netten Familie im Dorf ein Frühstück für uns organisiert. Bei leckerem Milchtee und Brot konnten wir also wieder zu Kräften kommen und kurz darauf zogen wir weiter Richtung Taschkurgan.
In Taschkurgan leben viele Leute mit kirgisischem Hintergrund. Die Frauen tragen ganz lustige Kopfbedeckungen mit einem runden Hut über einem Tuch und die Männer begrüßen sich mit einer Art Faustkuss. Wir verbrachten die Nacht in einem Hotel, zum Zelten war es noch immer viel zu kalt, und wollten am nächsten Morgen den Bus nach Pakistan nehmen. Über die Grenze darf man leider nicht trampen und so versuchten wir morgens den Weg zum Bus zu finden.
Glücklicherweise stolperten wir sogleich in Mohammad und seinen älteren Begleiter. Die beiden Pakistani waren auch auf dem Weg zum Bus und boten uns ihre Hilfe an.
Leicht gestresst, da der Bus schon in einer halben Stunde abfahren sollte und wir gehört hatten, er sei oft schnell ausgebucht und vor dem Hintergrund nur noch einen Tag auf unserem Chinavisum zu haben, begaben wir uns dennoch vertrauensvoll in die Hände unser beiden Begleiter. Auf unsere ständigen Nachfragen, ob wir nicht langsam zum Bus gehen müssten, während unsere Begleiter uns noch seelenruhig zu einem reichhaltigen Frühstück einluden, versicherte Mohammed nur mit Blick auf unseren zweiten Begleiter: „Dieser Mann ist sehr, sehr alt. Er kennt den Weg.“
Und tatsächlich, mit absoluter Gelassenheit schafften die beiden es doch immer uns an den Anfang jeder Schlange und auf die besten Plätze im Bus zu befördern.
Damit folgte der atemberaubendste Grenzübergang unser Reise. Vorbei an den vielen Checkposts durch weiße Berge, vorbei an Highback Herden ging es hinauf zum über 4000 m hohen Khunjerab Pass. Mit lautem Gejubel aus dem Bus überquerten wir dann die Grenze. Wir waren in Pakistan!
Oben angekommen, dann gleich der erste Schreckmoment. Ein kleiner Reisebus war ins Schlingern gekommen und schien wie in Zeitlupe den Berg runterzurollen. Zum Glück nur etwa 2m tief. Alle Insassen kamen mit einem Schock davon und wir auch. Es waren dennoch alle Insassen unseres Busses, bis auf Linda ausschließlich Männer, zur Unglücksstelle geeilt, um den Insassen des anderen Busses, in diesem Fall fast ausschließlich junge Damen, zu helfen oder aber zumindest ein paar Selfies zu schießen.
Wir kamen zum Glück heil in Pakistan an und wurden in Passu mit leuchtenden Herbstfarben, vollen Apfelbäumen vor einer Kulisse aus weiß bestäubten Bergen belohnt. Bei einem Spaziergang im Abendlicht, glaubten wir vielleicht eine Antwort auf die sooft gestellte Frage nach dem schönsten Ort unser Reise zu haben: „das Hunzatal im Norden Pakistans.“
Wir kamen durch Zufall zum Nan Shan mit Yuko und Winshan, die uns irgendwo auf der Straße südlich von Urumqi aufpickten, nachdem ein freundlicher Minibusfahrer uns aus der Stadt gebracht hatte. Yuko und Winshan würden bald heiraten und waren auf einer Art Vorhochzeitsfotoreise, um an verschiedenen besonderes Spots Hochzeitsfotos zu schießen – das scheint so ein Ding in China zu sein. An diesem Abend waren sie ohne Fotoequipment unterwegs zum Nan Shan, dem Südberg. Das ist ein Gletscher, den man bei gutem Wetter im Süden Urumqis aufragen sieht. Sie schlugen spontan vor, uns dorthin mitzunehmen und danach wieder an der Hauptstraße abzusetzen.
Während wir immer höher fuhren und es draußen immer dunkler und kälter wurde, hatten wir zwar mit Unbehagen über die uns wahrscheinlich bevorstehende schrecklich kalte Nacht im Zelt zu kämpfen, aber die Aussicht die sich uns im Sonnenuntergang auf den Nan Shan bot, machte das Unbehagen wieder wett. Dennoch schien unser Vorhaben im Zelt zu schlafen im Angesicht der sich langsam auf den Pfützen formenden Eisschicht nicht unbedingt die beste Idee. Zum Glück gab es beim Nan Shan ein paar Jurten und nach Yukos Verhandlungsgeschick mit dem Jurtenbesitzer (wir verstehen kein Chinesisch, aber sie schien mit weinerlichem Ton irgendwie sowas zu sagen wie, dass wir im Zelt erfrieren würden und er doch Erbarmen haben solle) bekamen wir auch einen Schlafplatz und Kohle für den Ofen. Gemütlich warm war es noch immer nicht, aber um den Ofen gekauert teilten wir noch ein vorzügliches von der Jurtenbesitzerin gekochtes Abendessen mit Yuko und Winshan bis die beiden sich in der Nacht zurück auf den Weg nach Urumqi machten und wir uns in Winterjacken gehüllt unter 5 Decken in der Jurte ausbreiteten.
Wir beschlossen die Gegend um den Nan Shan am nächsten Morgen noch etwas zu erkunden und machten uns auf zu einer kleinen Schneewanderung in der Umgebung. Nach etwa 100 m laufen, kamen wir dann auf die grandiose Idee einen Schneemann zu bauen (wahrscheinlich trieb uns die Gewissheit in diesem Jahr keinen richtigen Winter mehr zu erleben) und so blieb die Schneewanderung eine kurze Wanderung, mit viel Spaß aber leider nassen Füssen. Es wurde auch Zeit weiterzukommen in niedrigere Gefilde, um die nächste Nacht dann vielleicht doch im Zelt zu überstehen. Wir trampten also los, fuhren zunächst in die falsche und dann wieder in die richtige Richtung und kamen gegen frühen Abend nach Ulanbherk Bekint, einem winzigen Dorf, wo es auch viel zu kalt war.
Wir beschlossen noch weiter zu trampen zur nächsten Stadt, die wieder niedriger wäre, aber zu unserem Glück hielt vor uns Gabli, der uns in sein Auto winkte und uns sogleich einen Schlafplatz anbot. So trafen wir Gablis kleine Familie, seine Frau Galiba, den kleinen Noahjason und den zehnjährigen Xiashan, die in ihrem kleinen Haus gemütlich zusammen wohnten. Gabli hatte kasachisch- kirgisische Wurzeln und das kleine Häuslein war mit vielen Teppichen auf einer Plattform und mit einem Kohleofen davor in diesem Stil eingerichtet. Es war unglaublich warm und gesellig mit den Vieren. Während Noahjason fröhlich mit seinen offenen Hosen (ganz im chinesischen Stil) auf der Plattform rumturnte und seine Eltern darüber wachten, dass er nicht aus Versehen runter auf den Ofen stürzte, wurden wir mit Essen und Milchtee versorgt und fühlten uns so wohl und so zu Hause wie schon seit langem nicht mehr. Während Gabli, Galiba und Xiashan sich beste Mühe gaben mit dem Englisch, das die drei zusammenkratzen konnten, eine Unterhaltung mit uns zu führen, sprang Noahjason immer wieder voll Vergnügen, den nackten Popo in die Luft gestreckt in einen Haufen Decken und Kissen.
Mit ein bisschen Wehmut doch voll Dankbarkeit für die schöne Begegnung stellten wir uns am nächsten Tag wieder an die Straße, die in der Morgenluft den Blick auf die atemberaubende Berglandschaft freigab. Nach einer Weile, die wir die Straße entlang marschierten, hielt dann auch ein Auto für uns. Einer der beiden Insassen hatte eine Verletzung am Bein und machte trotz unserer Proteste Platz für uns, was ihn in eine deutlich unkomfortablere Sitzposition brachte. Zum Glück hatten die beiden es nicht besonders weit und wir hüpften schon kurz darauf in einen Jeep. Die beiden Männer fuhren mit Mordsgeschwindigkeit die Berge hinauf und wir zitterten auf der Rückbank im Angesicht der Abgründe, die sich abwechselnd links und rechts von uns auftaten. Wir realisierten auch, dass Gabli uns in der Nacht zuvor wohl gerettet hatte. Wir konnten uns nicht vorstellen, jemand wäre auf die verrückte Idee gekommen, diesen unglaublich hohen Bergpass noch am Abend zu überwinden. Je höher wir kamen umso eisiger wurden die Straßen. Wir hörten irgendwann auf, die heruntergestürzten LKW zu zählen und waren erstaunt als wir tatsächlich einen Koloss entdeckten, der es gewagt hatte, sich die Berge trotz Eis und Schnee Richtung Urumqi hochzuwälzen.
So erreichten wir Heijing, wo wir zunächst Pläne machten, wie wir weitereisen würden. Die nassen Füße hatten bei Linda zu einer heftigen Erkältung geführt und wir beschlossen uns ein Hotel für die Nacht zu suchen und auszuruhen. Die chinesischen Hotels wollten uns aber nicht sondern nur Chinesen und so trampten wir noch ein Stück weiter Richtung Korla, nicht ohne davor noch einmal gründlich von der Polizei kontrolliert zu werden. Es hatte gerade jemand für uns gehalten, als das Polizeiauto vor unsere Füße rollte und drei Polizisten ausstiegen, die unsere Pässe und Taschen aufs Genaueste untersuchten. Wir hatten ein schlechtes Gewissen, weil der nette Kerl, der für uns gehalten hatte, geduldig wartete und die Kontrolle etwas überflüssig gründlich schien. Gekrönt wurde das ganze davon, dass die Herren Polizisten anscheinend vor allem eines wollten: ein Foto mit Jeroen. Als dieser einwilligte wurde mit strahlenden Augen vor dem Auto posiert und wir durften weiterfahren.
In Korla erholten wir uns. Ein paar ruhige Tage, zwischendurch amüsiert von ein paar chinesischen Tanzperformances im Park und buchten dann einen Zug Richtung Kashgar. Während es Linda gerade wieder etwas besser ging, fühlte jetzt Jeroen die Erkältung herannahen und zu allem Unglück hatte der Zug 15 Stunden Verspätung wegen Regen und Sturm. Zum Glück ließ uns das freundliche Bahnhofspersonal in den erste Klasse Wartesaal, wo wir dann wohl etwas zum Erstaunen der Anwesenden unsere Isomatten und Schlafsäcke ausrollten.
Irgendwann am nächsten Tag kam dann der Zug und in der Nacht kamen wir in Kashgar an, wo wir in weiser Voraussicht ein Hostel gebucht hatten. Wir hatten noch eine Email geschrieben, um das Hostelpersonal zu informieren, dass wir später ankamen, doch Emails wurden dort anscheinend nicht gelesen. Es war kein Zimmer mehr frei. So wurde uns angeboten Linda könne in einem Schlafsaal und Jeroen draußen auf dem Dach schlafen. Wir waren wütend und erschöpft nach einer Nacht am Bahnhof und einem Tag im chinesischen Dudelzug (man wird immer mit Musik oder Durchsagen beschallt). Irgendwie arrangierten wir uns dann damit unser Zelt auf dem Hosteldach aufzuschlagen und verbrachten noch ein paar schöne Tage in Kashgar, dessen Flair eher an arabische Gassen als an chinesische Pagoden erinnert. Die meisten der Strukturen sind allerdings eher auf alt gemacht und nicht mehr wirklich historisch. Das Flair ist aber trotzdem recht nett und wir wurden von einigen witzigen Ladenschildern amüsiert: „put in false tooth center“oder auch „chicken with fish flavour“.
Wir zogen also durch die Straßen, oft auf der verzweifelten Suche nach vegetarischem Essen, da es vor allem gegrilltes Lamm zu geben schien oder die schönen Häuserfassaden und bunten Stoffe auf dem Bazar bewundernd. Auf dem Bazar kam uns die grandiose Idee ein paar schöne Schals an die Familie zu schicken, doch wieder einmal hatten wir unsere Rechnung ohne die chinesische Post gemacht. Schon das Postkarten verschicken in Qingdao war ein wahres Desaster gewesen doch nichts im Vergleich zu dem was in Kashgar passierte. Wir mussten dreimal zur Post geben um unfreundlich angeblafft zu werden und dann letztendlich unsere drei kleinen Pakete mit Briefmarken zu tapezieren und dann abzuschicken.
Nachdem diese finale Hürde genommen war, ging es aber los für uns. Kashgar ist der Ausgangspunkt für den hochgerühmten Karakorum Highway (KKH), der vielleicht die schönste Bergstraße der Welt ist und China und Pakistan miteinander verbindet. Voller Erwartungsfreude stiegen wir also in den falschen Bus. Danach in den richtigen Bus und machten uns hoffnungsvoll auf Richtung Pakistan.
Urumqi: wir waren in Urumqi angekommen und damit der Heimat nach einer strapazenreichen Zugfahrt wieder sage und schreibe 2500 km näher.
Nachdem wir aus Sicherheitsgründen aus dem Bahnhof geworfen wurden, aus Sicherheitsgründen unser Wasser abgeben mussten um in einen Stadtbus zu steigen und aus Sicherheitsgründen nicht in einige Parks gelassen wurden, erreichten wir zum Glück ganz spontan Mark, der uns zum Couchsurfen einlud.
Urumqi ist eine Stadt, die sich schon seit über 7 Jahren im Ausnahmezustand befindet. Die Provinz Xinjiang wurde vor allem von den Uiguren bewohnt. Dazu noch verschiedene tadschikische, kirgisische und kasachische Volksgruppen. Die Siedlungspolitik der chinesischen Regierung, Anreize für Han Chinesen (etwa 95% der Chinesen sind ethnisch Han) zu schaffen, hat aber mittlerweile in manchen Gegenden zu einer Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse geführt. Hinzu kommt, dass die chinesische Regierung nicht nur rigoros Xinjiangs Bodenschätze ausbeutet sondern auch, dass Han Chinesen meist die besseren Jobs und den besseren sozialen Status in der Region haben. Das, zusammen mit Unabhängigkeitsbestrebungen der Uiguren und, teils als Antwort teils als Grund, einer starken Einschränkung der Persönlichkeitsrechte von Uiguren, hat in der Vergangenheit zu blutigen Auseinandersetzungen geführt. Während Mark uns in die Perspektive eines Han Chinesen einweihte, konnten wir mit Frank, Kevin, Mehrzat, ihrem Lehrer und ihren Klassenkameraden die andere Seite der Medaille kennen lernen.
Mark war als Han Chinese im Urumqi geboren. Zur Zeit der großen Auseinandersetzung im Sommer 2009 war er aber zum Glück in Beijing. Im Juli 2009 kam es im Laufe einer Demonstration zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften die in gewaltsamen Ausschreitungen gegen Han Chinesen auf der Straße eskalierten. Die darauffolgenden Antworten der Han, obwohl von der Regierung abgelehnt, standen der Ausgangsrevolte in ihrer Grausamkeit in nichts nach. Danach wurde Urumqi zur Polizeistadt. Alles wird kontrolliert. Wo es eine Tür gibt, gibt es auch eine Sicherheitskontrolle. Das Straßenbild ist durch Panzerfahrzeuge, Patrouillen und Checkpoints gezeichnet. Wir strichen zusammen mit Mark durch die Stadt und er erklärte uns die neu gezogenen Grenzen. Nach den Revolten war die Mehrheit der Han in den Norden gezogen und die meisten Uiguren in den Süden. Obwohl das auch schon vor den Ausschreitungen den Mehrheitsverhältnissen entsprach, wurden die Grenzen jetzt „sauberer“. Das vorher pulsierende Zentrum Urumqis wurde mehr oder weniger eine Geisterstadt. Geschäfte wurden geschlossen, die ehemaligen Bewohner zogen in ihren jeweiligen Stadtteil nach Norden oder Süden. Nach den Revolten gab es immer wieder Angriffe auf Han Chinesen mit Messern und angeblich auch mit tödlichen Spritzen. Mark hatte eine wunderbar angenehme Art uns über Details des Konfliktes aufzuklären ohne dabei für eine Seite zu stark Partei zu ergreifen. Er ging mit uns auch in den Süden und damit den muslimischen Teil der Stadt. Mark hatte diesen Teil seit den Revolten und auch schon lange davor nicht mehr besucht.
Obwohl die Polizeipräsenz hier deutlich weniger aufdringlich war als im Norden, schlich sich ein mulmiges Gefühl ein als wir mit Mark durch die Straßen und den Bazar zogen. Mark hatte Angst, fühlte sich angestarrt. Er erklärte, dass das Gefühl wohl völlig unbegründet sei und trotzdem übertrug sich Marks Spannung auch auf uns. Wir spazierten also weiter auf der Suche nach einem Platz um etwas zu trinken und landeten so nach und nach wieder im nördlicheren Teil der Stadt.
Das mulmige Gefühl war wie verflogen als wir ein paar Tage später mit Frank und Kevin durch die Straßen im Süden zogen. Wir hatten die beiden zufällig durch einen anderen Couchsurfer kennen gelernt. Auf unsere Frage ob er auch Couchsurfe, antwortete Frank: „tut mir leid, es gibt kein Meer in der Nähe.“ Die beiden waren Uiguren, eigentlich aus dem Süden Xinjiangs aber seit ein paar Jahren in Urumqi um dort Englisch zu lernen. So kam es, dass die beiden uns dazu einluden, einen Vortrag über Deutschland in ihrer Schule zu halten.
Zum ersten mal trafen wir die beiden im Norden der Stadt. Auf unsere Fragen worin der Konflikt zwischen Uiguren und Han bestehe, wurde dort nur mit nervösen Blicken über die Schulter geantwortet. Später, als die beiden mit uns durch die Gassen im Süden strichen und uns mit Naan und Granatäpfeln versorgten, bekamen wir zwar zögerlich, aber doch ein bisschen mehr Informationen. Wie sooft in China wird freie Meinungsäußerung auch oder vor allem in Xinjiang teils aufs härteste bestraft und wir wollten unsere neuen Freunde ungern in Bedrängnis bringen. Sie teilten aber dennoch ein paar Informationen über Restriktionen, die die Regierung den Uiguren auferlegt hatte mit uns, wobei das ganze etwas diffus blieb. Bärte dürfen nur von Männern über 50 getragen werden. Staatsangestellten wird das Fasten im Ramadan untersagt. Uiguren dürfen ihren Wohnort nur mit vorheriger Abmeldung bei der Polizei verlassen. Anscheinend gibt es auch eine berühmte Uigurin, die aus Amerika aktiv ist, um den Widerstand zu organisieren, allerdings schien das eher zu den Hochsicherheitsthemen zu gehören, denn sobald Frank das Thema erwähnte, wurde er von Kevin mit einem Blick ermahnt nicht weiterzuerzählen.
Die beiden gaben sich alle Mühe unseren Aufenthalt schön zu gestalten und so nahte der Abend des Deutschlandvortrags. Der Klassenraum war voll gefüllt und Interesse bestand vor allem am Deutschen Bildungssystem. Gefühlt wollten alle Anwesenden gerne nach Deutschland um zu studieren oder eine Ausbildung zu machen. Angetrieben ist dieser Wunsch wohl vor allem durch die Abwesenheit von Studiengebühren und dem Irrglauben, Deutsche würden Moslems lieben und Juden hassen. Die letzteren zwei Punkte konnten wir im Gespräch hoffentlich richtig stellen, waren aber dennoch sehr irritiert von der Frage, was wir von Adolf Hitler halten und noch irritierter von der Antwort als wir die Frage zunächst zurückwarfen: „Wir denken das war ein cooler Typ!“ Das „warum“ wurde damit beantwortet, Hitler sei ein glorreicher Führer gewesen, habe Massen mobilisiert und das beste für sein Land gewollt. Die ganzen Toten? Ach das waren eh nur Juden, vielleicht noch ein paar Homosexuelle. Wir versuchten also noch ein bisschen zu erziehen und hofften, dass unser Vortrag über Menschenrechte, Hitlers zerstörerische Rolle für Deutschland, die Deutschen (bei denen wir durchaus auch Juden, Moslems, Christen, Atheisten, Homosexuelle, Regimekritiker und ja sogar auch die Nazis mit einschließen) und die Menschheit, zumindest ein wenig gefruchtet hat.
Wir waren stolz auf uns, unsere Wut zumindest einigermaßen zu beherrschen und mehr oder weniger sachlich zu bleiben. Vielleicht hatten vorherige Erfahrungen in Kasachstan und in der Mongolei, wo es auch ein Daumen hoch für Hitler gab, uns schon geholfen unsere Fassungslosigkeit zu überwinden. Die Juden- und Homosexuellenargumente schienen irgendwie nicht so richtig anzukommen, aber einige nickten zumindest halb zustimmend und bedrückt. Wir hoffen unsere Argumente haben dennoch ein bisschen gefruchtet und steter Tropfen höhlt den Stein, wie anscheinend auch eine steter Tropfen, leider aus einer verseuchten Quelle, die Köpfe dieser jungen Uiguren gehöhlt hatte. Im Internet kursieren zuhauf auf uigurisch übersetzte Hitlerreden und werden anscheinend unter anderem dazu verwendet Uiguren für den Widerstand zu begeistern. Vielleicht spielt auch Hitlers Feindschaft den Chinesen gegenüber, sein Bündnis mit der Türkei (Uiguren haben türkische Wurzeln) und allgemein der starke Wunsch nach nationaler Identität bzw. Selbstbestimmung eine große Rolle.
Der Abend stellte einen schrägen Kontrast zwischen auf der einen Seite großer Gastfreundschaft, Enthusiasmus und Spaß und der dunklen Seite der politischen Instrumentalisierung und Verblendung dieser jungen Menschen, die ihre Informationen ausschließlich von kuriosen Internetplattformen zu beziehen schienen, wohl auch aus einem begründeten Misstrauen gegenüber den herkömmlichen Nachrichtenkanälen. Nichtsdestotrotz endete der Abend recht unterhaltsam als einer der Anwesenden, Mehrzat, der in Schanghai deutsch gelernt hatte ein eins A Ständchen von Helene Fischer (er war wohl ihr größter Fan) zum Besten gab und danach die uigurische Musik voll aufgedreht wurde und im Klassenzimmer getanzt. Wir tanzten also auch auf uigurisch und mit großen Dankesreden von selbsternannten Klassensprechern wurde der Abend zum Ausklang gebracht.
Wir bekamen den Eindruck, dass dieser pompöse Abend auch ein verzweifelter Ausruf war in der eigenen Kultur wahrgenommen zu werden: „Wir sind nicht so wie die! Schaut was wir alles haben und wie gut das ist!“ Für uns war die Situation sehr spannend. Obwohl auf der einen Seite der Drang war, mit dem Schwächeren, in diesem Fall also den Uiguren zu sympathisieren und den Wunsch nach Selbstbestimmung und Ende der Ausbeutung und Unterdrückung zu unterstützen, stieß uns gleichzeitig die nationalistische Note und Degradierung der Han Chinesen ab, die damit einherging. Dazu kamen die Zelebration Hitlers, Hass auf Juden und Homosexuelle, die den Nationalismus doch allzu sehr mit dem Wort Sozialismus vermischten und einen mehr als bitteren Beigeschmack hinterließen.
Mehzat lud uns ein, in der Nacht bei ihm zu schlafen. Er war der einzige der Jungs, die nicht in der Schule im Dorm sondern alleine in einer Wohnung seiner Eltern lebte. Frank und ein weiter Kumpel begleiteten uns und die drei gaben sich alle erdenkliche Mühe unseren Verbleib so schön wie möglich zu gestalten. Mehrzat überraschte uns mit ein paar weiteren deutschen Schlagern, es wurde noch von ihm auf dem Keyboard begleitet, getanzt und dann schafften die drei alle möglichen Decken herbei für ein komfortables Nachtlager. Wir verabschiedeten uns am nächsten Tag als die Jungs zum Freitagsgebet in die Moschee gingen und wir weiter Richtung Südwesten.
Iiiieeeeehtschschschsch! Mit quietschenden Reifen hielt ein Abschleppwagen vor uns mitten auf der Autobahnauffahrt. Wir hatten uns gerade erst an die Straße gestellt und die Freude war groß. Ein bisschen groß war auch die Angst. In China scheint es einen typisches Phänomen zu sein, zum Anhalten nicht etwa auf den Seitenstreifen zu fahren sondern einfach sofort dort, wo die Entscheidung zum Anhalten getroffen wurde, kräftig auf die Bremse zu drücken. Wir hüpften also schnell in die Kabine und hofften, der Fahrer würde uns südlich raus aus Qingdao in die richtige Richtung bringen, wo wir dann auf die Autobahn Richtung Xi’an wollten. Das schien auch erst so zu sein, aber der Fahrer musste noch kurz einen Abschleppauftrag erledigen. Wir fuhren also nochmal einen Umweg, um einen liegengebliebenen LKW abzuholen. Schon als wir das große voll gepackte Fahrzeug sahen, ahnten wir warum wohl gerade dieser LKW liegen geblieben war. Er schien hoffnungslos überladen und unser kleiner Abschleppwagen davon leider hoffnungslos überfordert.
Der Fahrer versuchte es trotzdem drei Stunden lang mit aller Kraft und allen Mitteln. Als er schließlich aufgab, entschlossen wir uns auch aufzugeben, da es schon sehr spät war und fuhren nur noch wieder mit zurück zur Straße, an der wir am nächsten Morgen weitertrampen wollten. Es regnete und wir hatten Schwierigkeiten, einen Zeltplatz zu finden, der nicht komplett schlammig war. Wir fanden einen Feldweg, der glücklicherweise bis zum nächsten Morgen nicht befahren wurde und stellten uns wieder an die Straße. Ein Pärchen hielt und nahm uns wohlwollend mit, zu unserem Schrecken und leider gegen unseren Willen wieder nach Qingdao. Obwohl wir mit Kräften und sogar ein paar Englisch sprechenden Bekannten der Beiden vehement versuchten sie davon abzuhalten uns weiter in die Stadt zu fahren, wurden wir kurz darauf an einer Bushaltestelle abgesetzt. Die Beiden hatten es gut gemeint, doch wir standen jetzt vor der schwierigen Aufgabe irgendwie wieder zurück zur richtigen Straße zu finden.
Zum Glück wurden wir schon kurz darauf von einem sich scheinbar pathologisch anfauchenden Pärchen, die sich aber trotzdem sehr lieb zu haben schienen, mitgenommen. Zuerst kurioserweise zu ihrem Frisörssalon. Jeroen überlegte schon, ob das Schicksal ihn vielleicht dorthin gebracht hatte. Wir entschieden uns aber gegen diese Erklärung und die Mäne wächst fröhlich weiter. Nach viel google translate und einer witzigen Pantomimesession, in der wir versuchten, unsere Reiseabsichten zu verdeutlichen: Autofahren, Auto stoppen, Einsteigen, Nett quatschen, aussteigen, Autofahren, nächstes Auto stoppen… und der Mann, der uns mitgenommen hatte, sich als wahres Pantomimetalent herausstellte, er brachte es fertig, den kompletten Zyklus mit erstaunlichem Ausdruck nachzuspielen, brachte er uns zur Autobahnauffahrt. Der Rest der Strecke ging dann wie geschmiert.
Der Weg wurde sozusagen zum Raststättenhopping mit vielen wahnsinnig freundlichen Chinesen und zur Mittagszeit wurden wir dann auch gleich von einem Restaurantmanager an einer Raststätte zum Mittagessen eingeladen. Wir blieben eine große Attraktion an den Raststätten: Der Restaurantbesitzter wurde dadurch belohnt, dass wir viele Chinesen anzuziehen schienen, die sich nicht scheuten sich extra so hinzusetzen, dass sie uns bestaunen konnten. An einer anderen Raststätte an der wir uns bloß kurz an den Parkplatz gesetzt hatten, um unsere nächsten Schritte zu planen, kam spontan ein Chinese vorbei und drückte uns beiden ein Eis in die Hand! An einer anderen Raststätte musste ein kleiner Junge, der wohl in der Schule etwas Englisch gelernt hatte, herhalten, um die Neugierde der gesamten Anwesenden an der Raststätte zu befriedigend. Mit leichtem Druck seiner Mutter, die ihn vorschubste, versuchte er dann herauszufinden, woher wir kommen, wo wir hinwollten, wie alt wir sind und wie wir heißen. Auf unsere Fragen seinerseits zu antworten, schien den armen Kerl, der ohnehin schon krebsrot angelaufen war, aber dann doch hoffnungslos zu überfordern. Wir freuten uns trotzdem über die nette kleine Unterhaltung.
Autobahnauffahrten und Raststätten, das war was wir am meisten sahen auf der Strecke nach Xian. Bis auf eine nette Ausnahme als Leiluo und Shandong uns, nach einer Nacht neben der Raststättentoilette (das hatten wir erst am nächsten Morgen gemerkt) in Heze, spontan zum Mittagessen einluden und uns eine Tour durch Zhengzhou gaben, wo sie uns dann auch wieder zur Autobahnraststätte brachten.
Auf die Nacht neben der Raststättentoilette folgte eine deutlich nettere Nacht. Von einem älteren Pärchen wurden wir an der Autobahnauffahrt in Sanmenxian abgesetzt. Es war schon spät abends und so machten wir uns auf die Suche nach einem Zeltplatz. Direkt entlang der Autobahn fanden wir ein kleines Dorf. Auf dem Dorfplatz waren gerade alle Leute zum allabendlichen Gemeinschaftstanz versammelt doch wir zogen weiter, tiefer ins Dorf. Das Dorf war etwas skuril. Unglaublich viele halbfertige Häuser, die aussahen, als hätte dort schon seit Jahren keiner mehr einen Finger gerührt. Die Felsen, die das Dorf umgaben, waren mit Eingängen zu Minenschächten gespickt, von den allerdings viele nicht mehr in Gebrauch schienen. Ein kleines chinesisches Mädchen folgte uns ein Stück mit ihrem großen Bruder. Während der sich aber scheu mit seinem Fahrrad von dannen machte, fing die kleine mutig an, in ihrem Schulenglisch mit uns zu quatschen. Mit ein paar chinesischen Wörtern konnten wir ihr dann auch deutlich machen, dass wir einen Zeltplatz suchten. Die Kleine verstand und holte sogleich ihre Mutter zur Hilfe. Nach Absprache mit ein paar Nachbarn, wies diese dann auf eine unfertige Garage und schlug vor, wir könnten dort unser Zelt aufschlagen. Schon kurze Zeit später kam sie dann mit einem Besen, um die Garage auszufegen. Sie betrachtete uns mit ihrer Tochter beim Zeltaufbau und es kamen auch immer wieder ein paar neugierige Dorfbewohner schauen. Wir fühlten uns willkommen. Die nette Dame brachte uns dann auch noch eine Kerze und ein paar Äpfel. Am nächsten Morgen leistete uns ihr Nachbar immer wieder Gesellschaft. Zuerst brachte er uns heißes Wasser. Chinesen lieben heißes Wasser! Heißes Wasser wird mit Vorliebe getrunken und ist ein Allheilmittel für alle, wirklich alle möglichen Krankheiten. Wir gossen uns davon dann ganz ketzerisch einen Kaffee auf und schon kurze Zeit später tauchte der nette Nachbar wieder auf und brachte uns ein paar zuckersüße Kakis. Wir bekamen dann so nach und nach auch noch Äpfel, Mondküchlein und anderes Gebäck und verabschiedeten uns schließlich in großer Dankbarkeit.
An diesem Tag erreichten wir Xian und hatten ein paar Tage, bevor wir unseren Zug nach Urumqi nehmen würden, um diese mit chinesischer Historie übersäte Stadt zu bewundern. Am meisten trieben wir uns wohl im muslimischen Viertel rum, um das Chaos in den kleinen Gassen zu bestaunen. Dort schieben sich Rikschas, Menschen und Motorräder zwischen allerlei interessantem Essen aneinander vorbei. Wir stolperten auch in das chinesische Herbstfest in Xians Stadtpark, in dem wir ein paar schräge traditionelle chinesische Performances mit noch schrägerem traditionellen chinesischen Gesang bewundern konnten. Noch jetzt klingen uns die Ohren vom Geheule der verrückten Gestalten mit übergroßen Köpfen, die allem Anschein nach chinesische Ahnengeister waren.
In Xian begegneten wir auch dem ersten Mal dem chinesischen Smog und machten uns lächerlich in dem wir sogleich mit ein paar Mundschutzmasken herumliefen. So begrüßten wir dann auch Kai, einem Couchsurfer, der sich die Zeit nahm, uns die Stadt zu zeigen. Kai wusste als chinesischer Polizeibeamter und Parteimitglied spannende Geschichten zu erzählen. Er berichtete von den abgeschlossenen Waffen in der Polizeistation. Die Polizei sei wenn dann nur mit Gummiknüppeln unterwegs. Schusswaffen würden nicht gebraucht und die halbe Polizeistation habe eh schon vergessen wo der Schlüssel für den Waffenschrank liege. Kai lieferte uns ein freundliches Bild der chinesischen Polizei und gleichzeitig ein paar paradoxe Einsichten in den Kopf eines chinesischen Parteimitglieds. Er schwärmte von Marx, aber auf unser Drängen hin, doch bitte zumindest einen politischen Grundsatz zu nennen, welche die chinesische Partei im Marxistischen Sinne umsetzte, konnte Kai keinen nennen, was ihn aber nicht davon abhielt weiterhin standfest zu behaupten, China sei kommunistisch ausgerichtet und an Marx orientiert. Wir fühlten uns an den putinschen Reflex erinnert und vermissten das liebe Russland ein bisschen. Doch für uns ging es weiter nach Urumqi. Diesmal mit dem Zug, was die Sehnsucht nach Russland noch verstärkte. Während die russischen Züge ein Beispiel an Gemütlichkeit und Geselligkeit sind, spannten die chinesischen Züge unsere Nerven zum Zerreißen. Wenn die Lautsprecher, über die chinesische Katzenjammermusik dröhnte (nicht unähnlich zu der im Park gehörten), gerade einmal nicht ertönten, bemerkte oft schnell der ein oder andere Passagier die Stille und füllte diese mit Gejaule aus dem eigenen Telefon. Zum Glück hatten wir aber auch einige nette Mitreisenden, die uns mit chinesischen Datteln und netten Gesprächen versorgten Die Nacht war ruhig und so erreichten wir am nächsten Morgen in der Früh doch einigermaßen ausgeruht Urumqi.
Was wir vorher noch für unmöglich gehalten hatten, sollte mit Dan Realität werden: Fahrradfahren in Beijing, ohne dabei das Leben zu verlieren. Dan, seine Frau Kathy, und ihre Mitbewohnerin Morgan beherbergten uns in Beijing nach unserer Rückkehr von der chinesischen Mauer. In China herrscht ein wildes Verkehrsgesetz. Ampeln gibt es nur zur Zierde und angeblich wird Chinesen beigebracht beim Fahren immer nur geradeaus zu gucken. Dan versicherte uns, wenn wir uns auch daran hielten, würde nichts passieren. Wir waren nicht ganz überzeugt aber nachdem wir von Dan mit Fahrrädern und noch viel wichtiger Fahrradhelmen, versorgt worden waren, düsten wir mit Herzrasen hinter ihm durch die Stadt, natürlich nicht nur geradeaus sondern panisch hin und her schauend, zum Essensmarkt.
Der Markt ist auch für die meisten Chinesen eher eine Touristenattraktion als dass dort für’s Abendbrot geshoppt wird, denn auf dem Markt gibt es tatsächlich die größten Perversitäten, die die chinesische Küche so zu bieten hat: Zum Grillen lebendig aufgespießte Skorpione, Heuschrecken und Käfer, die noch lange zappeln, bevor sie dann tatsächlich auf dem Grill landen. Besonders überflüssig grausam waren auch die gegrillten Kükenfetusse. Dazu wird ein Spieß durch ein Ei mit einem beinahe ausgewachsenen Küken gesteckt und das ganze danach auf den Grill gelegt. Wir hatten eigentlich vor, auf dem Markt etwas zu filmen, waren dann aber doch zu abgeschreckt von den Grausamkeiten, mit denen die Spezialitäten zubereitet wurden. Überhaupt scheinen Tiere keinen besonders guten Stand in China zu haben. Dabei ist das Problem nicht mal, dass tatsächlich alles was kreucht und fleucht gegessen wird, sondern vielmehr das Warten auf den Tod in viel zu kleinen Käfigen, Aquarien oder Schaufenstern. Tiere scheinen von vielen in China nicht als fühlende Lebewesen wahrgenommen zu werden. Babyschildkröten kann man in winzig kleinen Döschen an einer Kette auch einfach als kleines Assescoire kaufen. Vielleicht beruhigend ist dabei, dass die meisten Leute, die diese Schmuckstücke kaufen, die Tiere befreien wollen. Wohl auch nicht die beste Strategie, um gegen den Missbrauch der Tiere anzugehen, aber nach buddhistischem Brauch bringt das Befreien von Tieren wohl Glück. Auf der chinesischen Mauer beispielsweise trafen wir eine muntere Familie deren zwei Jungs im Grundschulalter kleine Eidechsen in Plastikflaschen gesperrt hatten. Die armen Tiere wurden in den Flaschen beim Rumtragen und Spielen der Jungs durchgeschüttelt. Auf unser Eingreifen hin, wurde uns erklärt, die Familie habe die Tiere ja nur gefangen, um sie dann zu Hause frei zu lassen. Zum Glück schienen sie ihre Meinung zu ändern und ließen die Eidechsen doch schon auf der Mauer wieder frei.
Auch in Qingdao, unser nächster Aufenthaltsort, war die Grausamkeit an Tieren ein konstanter Begleiter. Qingdao ist bekannt für seine Meeresfrüchte und auch die Fische, Schildkröten und andere Spezialitäten, teilweise schon halb tot im Aquarium, hätten den in China leider nicht existierenden Tierschutz sicherlich interessiert. Ein Tierschutzgesetz gibt es ausschließlich für Wildtiere und beschränkt sich mehr oder weniger darauf, dass vom Aussterben bedrohte Arten geschützt werden sollen. Aber genug von diesen Grausamkeiten und außerdem der Hinweis, dass der pro Kopf Tierkonsum in China immer noch unter dem in Deutschland liegt und daher zumindest pro Person etwas weniger Grausamkeiten geschehen. Übrigens exportiert Deutschland auch fleißig Fleisch nach China. Das Fleisch hatte dann aber bestimmt, vielleicht zumindest in Deutschland noch ein viel, ein bisschen besseres Leben als in China. Wir exportieren aber vor allem Schweinefüße und so Ekelkram, den keiner essen will – da sieht man ja wohlmöglich noch, dass das mal ein Tier war. Der Bedarf an leckeren Schnitzeln, liebevoll in Form gepresst, wird dann einfach importiert. Ganz nebenbei erwähnt, geht außerdem der Fleischkonsum in Deutschland eher runter, während die Fleischproduktion weiter hochgeht. Wenn man sich dabei das Bewusstsein für Tierrechte z.B. in China vor Augen führt, ist das sicherlich auch nicht unbedingt im Sinne des Konsumentendruck, um die Produktionsbedingungen zu verbessern. Und man könnte noch endlos darüber schreiben, wie der deutsche Fleischmarkt für weltweiten Hunger sorgt, aber wie gesagt, vorerst genug von solchen Grausamkeiten.
Wir machten uns also auf den Weg nach Qingdao und mussten dazu erst einmal raus aus Beijing. Das Vorhaben schien schwieriger als zunächst gedacht, zumal es auch noch in Strömen regnete. Nach verschiedenen Bussen und einer Tour durch ein wildes Gebüsch, kamen wir aber schließlich an, an der Straße, die Richtung Osten führte. Sogleich hielt auch ein kleiner roter Landrover mit einer netten Chinesin drin, die aber leider fast kein Wort Englisch sprach. Wir versuchten ihr deutlich zu machen, sie könne uns einfach an ihrer Ausfahrt rauslassen, sie hatte sich aber in den Kopf gesetzt uns weiter zu helfen. „Help you! Help you!“ rief sie immer wieder. Das wurde zu einer etwas riskanten Angelegenheit, da sie auf dem Seitenstreifen geparkt hatte und mit wild fuchtelnden Armen versuchte, ein Auto für uns zu stoppen. Wir überzeugten sie davon, dass wir es auch alleine schaffen würden und machten uns, als sie davon fuhr auf in sicherere Gefilde, wo wir auch kurz darauf schon eine weitere Mitfahrgelegenheit ergatterten.
Als der Abend nahte, waren wir mit einigen weiteren Mitfahrgelegenheiten nach Jinan gelangt. Unsere Begleiter hatten sich auch besondere Mühe gegeben uns weiter zu helfen und hatten an jeder Raststätte gestoppt, um ein Auto für uns zu finden, mit dem wir weiter Richtung Qingdao fahren könnten. Leider blieben die Bemühungen erfolglos. An einer Autobahnmautstation, an der die beiden in die Stadt fuhren, versicherten wir ihnen, wir würden es einfach von dort am nächsten Morgen weiter versuchen, denn es war schon spät abends. Nach langem hin und her und unserem Versprechen wir würden uns an die Polizeistation wenden, zogen unsere beiden freundlichen Fahrer davon und wir uns in die Büsche. Wir haben uns dann einfach trotzdem nicht an die Polizeistation gewandt sondern fanden nach einer kleinen Kraxelpartie die Autobahn runter einen gemütlichen Zeltplatz an einem kleinen Weg. Wie sich am nächsten Morgen, an dem langsam ungewohnt viele ältere Menschen vorbei zuckelten, herausstellte, war unser Zeltplatz nicht nur an einem gemütlichen Weg sondern auch direkt vor einem Friedhof. Einige der älteren Damen und Herren fuhren gemütlich mit ihren Rollern vorbei, andere schlurften hinter ihren Rollatoren. Besonders putzig war eine ältere Dame, die alle Neuankömmlinge mit weit ausholenden Gesten auf uns hinwies und zunächst wohl nicht so erfreut über die nächtlichen Besucher war. Vielleicht dachte sie, wir hätten ein teuflisches Ritual durchgeführt oder ähnliches- bei den Ausländern kann man ja nie wissen. Am Ende lächelte aber auch sie uns freundlich an und reichte uns sogar die Hand, vielleicht auch glücklich darüber nun eine neue Geschichte erzählen zu können. Inwieweit diese der Wahrheit entsprechen würde, konnten wir nur ahnen.
Wir krabbelten also wieder hoch zur Autobahnmautstelle und erreichten am Abend Qingdao. Wir hatten den östlichsten Punkt unserer Reise erreicht. Kurioserweise war Qingdao eine ehemalige deutsche Kolonie und neben einer Brauerei „Tsingtao“, die die Deutschen seinerzeit aufgebaut hatten, gab es auch jede Menge deutsche Gebäude. Wir fühlten uns schlecht, weil es sich etwas gut anfühlte wieder so viel Vertrautes zu sehen, obwohl der Grund für die Anwesenheit dieser vertrauten Gebäude nicht gerade einen glorreichen Teil der europäischen Geschichte wiederspiegelt. Die Chinesen schienen sich aber eher einen Spaß daraus zu machen. So bauten sie eine der Kirchen auch einfach nochmal neu und diese wurde zum beliebten Hintergrund für Hochzeitsfotos. Wir zählten 13 Bräute, die zur gleichen Zeit, mit Ehegatten natürlich, auf dem Kirchplatz posierten. Dies wurde begleitet von stündlich erklingenden elektronischem Glockengeläut vom Kirchturm und Highlight waren auch Fotos vor einem Baum, der ununterbrochen von einem alten Herren geschüttelt wurde. Das gab wahrscheinlich irgendeine Art Special Effect auf den Fotos. Überhaupt schien sich in Qingdao alles um Hochzeitsfotos zu drehen. So entdeckten wir auch eine Art Hochzeitsfotomall. Während die Stadt sich an sich nicht besonders um den Erhalt alter Gebäude zu scheren scheint, waren in dieser Hochzeitsfotomall alle möglichen alten deutschen Gebäude unter einem künstlichen Himmel, der sich von rosarotem Sonnenuntergang bis Sternenhimmel entwickelte, wie in einer Filmkulisse nachgestellt. Auch am Strand in Laoshan war das Hauptmotto schöne Hochzeitsfotos. Es gab auch dort eine Art Fotokulissenpark, mit holländischer Windmühle, Cadillac und allen möglichen anderen Spielereien. Am Strand tanzten Pärchen Hand in Hand durch die Wellen, mit fliegenden Kleidern und lachten der Kamera ins Gesicht. Auch Jeroen und ich tanzten also hüpfend durch die Wellen, um nicht zu sehr als Fremde aufzufallen.
Nicht nur die Kolonialvergangenheit Qingdaos weckte Heimatgefühle in uns. Unsere wunderbare chinesische Couchsurfing Gastgeberin Mia, nahm uns auch mit zu einer Party „Berlin Calling“, versteckt in einer Tiefgarage! Mehr Berlin geht ja kaum, der DJ kam allerdings ursprünglich aus Hamburg. So tanzten wir mit ein paar Tsingtao Bieren die Nacht hindurch und begannen gleich zu Hause ein bisschen weniger zu vermissen. Auch bei Dai, einer weiteren Gastgeberin in Qingdao, bei der wir seit längerer Zeit mal wieder Jeroens niederländische Lieblingsspeise Stampot, eigentlich nur eine Art Kartoffelbrei, aber für einen Niederländer herzerwärmend, kochen konnten, kamen heimatliche Gefühle auf und die begeisterte Erkenntnis: Stampot lässt sich auch mit Stäbchen essen!
Jeroen hatte dann auch die glorreiche Idee in Qingdao eine Beachparty als couchsurfing Event zu starten. Auf Mias Anraten hin, luden wir also so ziemlich alle couchsurfer in Qingdao zur spektakulären Beachparty am Silver Beach ein. Für die meisten eine Anreise von etwa 2 Stunden aus Qingdaos Zentrum. Aber sieh da, sieh da, es kamen sage und schreibe 6 motivierte Partygäste, Mia und wir zwei mit inbegriffen. Dass heißt, zumindest nachdem wir uns alle gefunden hatten. Der Silver Beach war nämlich so abgelegen, dass er ab 7 Uhr abends stockfinster war und wir hatten natürlich weder Kerzen, geschweige denn irgendeine Art von Partybeleuchtung. Wir versuchten dann genaue Beschreibungen von nahegelegenen Lichtpunkten aus zu liefern und schließlich kamen wir alle auf einer Decke zur Beachparty zusammen. Der Abend war nett, es wurde aber nicht getanzt.
In Qingdao warteten wir auf das pakistanische Visum, welches uns die Wiederkehr in den Westen ermöglichen würde. Pakistan ist das einzige Land, über das man Indien auf dem Landweg erreichen kann, doch leider erhält man das Visum nur im Heimatland. Es waren schon zehn Tage vergangen und wir hofften unsere Pässe nach etwa 3 Wochen mit Expressversand wieder in den Händen zu halten. Doch wir hatten unsere Rechnung ohne die unfreundliche Bearbeiterin der pakistanischen Botschaft Berlin gemacht. Die Bearbeiterin zweifelte stark an unserer Intelligenz: „Wie kommt man überhaupt auf die verrückte Idee aus China ein Pakistanvisum zu beantragen!“. Unsere Emails wurden nicht beantwortet und nachdem Linda letztendlich endlich die Bearbeiterin per Telefon erreichen konnte (das war wahnsinnig schwierig mangels stabiler Internetverbindung) und nach den Emails fragte, wurde sie nur angeblafft: „Ich habe ja gar keinen Computer!!!“. Wir verschickten die Emails also erneut, diesmal nicht an die online verzeichnete Adresse der Visa Bearbeiterin sondern an die Adresse der Rezeption, die anscheinend über einen Computer verfügte. Antworten bekamen wir dennoch nicht, aber bei unserem nächsten Anruf zumindest die Information, die Visa Bearbeiterin habe die Email gelesen, es gäbe aber pakistanische Feiertage und daher werde die Bearbeitung sich verzögern.
Wir vertrieben uns die Zeit also damit ein Lied zu dichten und ein kleines Video über unsere chinesischen Foto- und WeChat Erfahrungen zu machen. WeChat, die Chinesen sagen immer weecheeee mit einem begeisterten Lächeln, ist eine Art chinesisches facebook. Da facebook genauso wie google, youtube und vieles mehr in China geblockt ist, haben die Chinesen ihre eigenen Alternativen entwickelt. Mit jedem Foto, um das wir gebeten wurden, häuften sich auch unsere WeChat Bekanntschaften und schon bald hatten wir ein ganzes Bündel WeChat Freunde mit denen wir außer einem netten Selfie leider wenig gemeinsam hatten. Wir waren dennoch erfreut, über die Chinesen, die sich uns auf diese Weise näherten, denn zwar selten aber doch manchmal entwickelte sich auch ein nettes Gespräch daraus.
Nach ein paar Nächten bei Mia, schlugen wir noch für eine letzte Nacht in Qingdao unser Zelt am Golden Beach auf. Vor uns also die wilde See und hinter uns Sand und Luxusappartments. Kurze Zeit darauf realisierten wir, dass die wilde See in der Nacht eventuell unser Zelt überfluten würde und bauten das Zelt also noch etwas weiter hinten auf. Nässe gab es dann nur von oben und nach einem letzten Frühstuck unter einem Strandpavillon machten wir uns hoffnungsvoll auf, unsere Pässe bei Lee Fangs Schwester abzuholen. Der Kurierdienst war leider verspätet, aber Sissy Lee in ihrem Verhandlungsgeschick so professionell, dass wir die Pässe direkt in ein Restaurant geliefert bekamen, in dem wir zusammen mit ihr und einer Freundin, Huiwen Zheng, zu Mittag aßen. Nach etwas mehr als einem Monat hatten wir die Pässe wieder sicher in den Händen. Die Freude war groß!
Sissy Lee war anscheinend von ihrem großen Bruder (der uns nach Beijing gefahren hatte) dazu verdonnert worden, sich so gut wie irgendwie möglich um uns zu kümmern. Gegen unsere großen Proteste organisierten die beiden dann sogar den Einkauf im Supermarkt für uns. Während die eine den Einkaufswagen schob, wuselte die andere durchs Geschäft um die besten Produkte zu finden. Wir hatten viel Spaß mit den beiden und als Höhepunkt halfen sie uns auch noch die letzten Shots für unser WeChat Song Video aufzunehmen. Wir fühlten uns schon schlecht, da die beiden sich so überaus rührend und engagiert um uns kümmerten und so ein paar Stunden in der Uni verpassten. Zu allem Überfluss eskortierten sie uns aber auch noch zu einem super Trampspot an der Autobahnauffahrt. Wir verabschiedeten uns mit großer Dankbarkeit für alle Hilfe und machten uns in Vorfreude auf die Heimat und Wehmut über den Abschied von der Weite des Pazifik und von all den netten Begegnungen so weit im Osten wieder auf in Richtung Westen.
China hat uns überrascht! Wie sagte noch der kleine Bär zum kleinen Tiger? “In Panama ist alles viel schöner und grösser!” So kamen wir in der Grenzstadt Eerenhot an und staunten nicht schlecht. Roller, Rikschas und Autos rollten über Hochglanzstraßen. So eine Infrastruktur hätten wir vielleicht direkt um Beijing herum erwartet, aber doch nicht in der inneren Mongolei (eine Provinz von China)! Vielleicht nur so ein Angeberding, wie Putins Straße an der mongolisch-kasachischen Grenze in den Altaibergen dachten wir uns und staunten nicht schlecht, dass sogar hier im Westen von China, in dem wir mittlerweile angekommen sind, die Straßen denen im Osten in nichts nachstehen. Während wir über die Straßen staunten, staunten die Chinesen über uns. Gleich in Eerenhot direkt hinter der mongolischen Grenze fing es an und hörte nicht mehr auf. So liefen Kinder an uns vorbei, rissen mit einem lauten „Boah“ die Augen weit auf und holten ihre Freunde, um sich die eigenartigen Gestalten mal anzuschauen. Rikschafahrer verdrehten die Köpfe und konnten nur knapp ein paar Auffahrunfällen entgehen. Viele Leute wollten Fotos mit oder zumindest von uns. Wir fühlten uns zum ersten Mal im Leben wie richtige Stars.
So zogen wir durch Eerenhot und während wir durch den Schwarzmarkt (da gibt es fast alles), den Supermarkt (da gibt es echt alles, …außer Brot) und ein paar Straßen schlenderten, versuchten wir das Abenteuer, Trampen in China, noch etwas hinauszuschieben. Wir hatten schon gehört, dass Trampen in China nicht weit verbreitet ist, aber die Leute durchaus neugierig sind und trotzdem halten. Die Neugier hatten wir auf unserer Seite und außerdem einen Zettel von einem netten Chinesen, den wir in der Mongolei getroffen hatten, auf dem unsere Art des Reisens und die Bitte uns ein Stück mitzunehmen, auf Chinesisch erklärt standen. So wurden wir schon kurz darauf von einem chinesischen Pärchen, 30 km aus der Stadt gefahren und beschlossen dort unser Zelt aufzuschlagen. Dort in der inneren Mongolei konnten wir noch einmal in mongolische Melancholie verfallen und eine Pferdeherde im Sonnenuntergang beobachten.
Wir stellten uns am nächsten Tag wieder frisch und ausgeruht an die Straße. Sehr schnell hielt auch ein Auto, allerdings sehr weit von uns entfernt. Bestimmt nicht wegen uns, doch dann: Das Auto bewegte sich, schwer auszumachen ob rückwärts oder vorwärts. Tatsächlich rückwärts, leicht nach links. Stop. Ein bisschen vorwärts. Also wohl doch nicht. Häh, wieder rückwärts, diesmal leicht nach rechts. Stop. Hmmm. Wieder rückwärts, leicht nach links. Und wir begriffen: Da versuchte doch tatsächlich jemand verzweifelt seinen luxuriösen Mercedes rückwärts entlang des Seitenstreifens zu fahren um uns mitzunehmen. Wir waren gerührt, packten also unsere Taschen und rannten zum Auto, um den armen Fahrer, wie sich zu Lindas großer Enttäuschung herausstellte, eine Frau, von dieser unerfüllbaren Aufgabe zu befreien. Glücklicherweise stellte sich später heraus, dass auch chinesische Männer nichts vom Rückwärtsfahren halten. So hielten die Chinesen, die uns mitnahmen in der Regel einfach mitten auf der Straße, wenn doch jemand zurücksetzen wollte, dann indem einfach das Auto gewendet und auf dem Seitenstreifen als Geisterfahrer zurückgefahren kam.
Die nette Dame und ihre Tochter, die es mit dem Rückwärtsfahren zumindest versuchten, nahmen uns also mit zur nächst größeren Stadt, wo wir kurz darauf in Lee Fans Porsche hüpften, der uns die ganzen 650 km nach Beijing mitnahm. Die Angst vorm Trampen in China war wie weggeblasen und wie der Mensch so ist, mit einer Stichprobe von zwei Autos, bildeten wir uns natürlich auch gleich ein, in China trampe man nur in Luxusautos.
Im Auto mit Lee Fan stellten seine Schwester Sisy am Telefon und eine Übersetzungsapp sich als große Helfer heraus, da Fan leider kaum Englisch sprach. Der arme Fan schaute immer etwas verwirrt, wenn wir zwischendurch lauthals zu lachen ausbrachen, da die App teilweise sehr lustige Übersetzungen zustande brachte ( „Dumplings are Chinese people will eat and dumplings are not this season then in the evening I take you to eat it leek dumplings you eat it.“) Das hielt ihn aber nicht davon ab, uns gleich zweimal zum Essen einzuladen und wir lernten das chinesische Essen sofort lieben. Auch hier ganz im Gegensatz zu unseren durch die westeuropäisch meist fastfoodähnliche chinesische Küche Erwartungen wurden wir in China sogleich kulinarisch überrascht und freuten uns umso mehr auf die zwei Monate, die die chinesische Botschaft uns in dem riesigen Land gestattet hatte. Wir waren aber auch etwas verunsichert. Darf man sich in China beim Essen die Nase putzen? Müssen wir schmatzen und schlürfen, um unsere Dankbarkeit zu zeigen?
Als wir also in Fans Schlepptau zum Abendessen im Restaurant in Beijing schlurften, konnten wir gleich ein paar chinesische Eigenarten beobachten. Chinesische Männer lieben es, ihr T-Shirt über dem Bauch einzuklemmen und so den Bauch gut durchzulüften. Das T-Shirt wird dabei also nicht ausgezogen. Wem der passende Bauch dazu noch fehlt, der klemme das T-Shirt einfach unter die Achseln. Wir probierten das später auch. Ist tatsächlich sehr zu empfehlen.
Das Schmatzen scheint eine weitere chinesische Eigenart. Uns Westeuropäern schon auf Kindesbeinen mit harter Arbeit abtrainiert. Aber warum eigentlich? Wie jeder Weinkenner oder russischer Teekenner wohl bestätigen kann muss Geschmack atmen. Das lässt sich dadurch erreichen, möglichst viel Sauerstoff an die Nahrung zu lassen. Das heißt also schlürf die Suppe, schmatz das Essen und alle Feinheiten der chinesischen Küche Werden sich zu einem wahren Geschmackserlebnis entfalten. Während also das chinesische Essen uns durchaus half, unsere Sehnsucht nach Hause zu schmälern, wissen wir schon jetzt, dass das chinesische Essen uns fehlen wird. Wie Lee Fans App es ausdrückte: „Chinese saying goes eat will not homesick“.
Dan arbeitet als Englisch Lehrer in Beijing und schreibt über seine Reiserlebnisse auf seinem Blog, er hat sogar sein eigenes Buch über die Zeit, die er in Süd-Amerika verbracht hat, veröffentlicht: „1000 Days Between“!
Mit Schmerzen in Herz und Kopf haben wir heute die Mongolei verlassen. Wir wurden so warmherzig begrüßt und Land und Leute werden und sehr fehlen. Vermutlich wird es auf unserer Weiterreise kein Land mehr geben, das so Tramper-freundlich ist wie die Mongolei.
Gefühlt hielt jedes Auto, in dem noch gerade so Platz für zwei Leute mit ihren dicken Rucksäcken war. Es hatte sich gelohnt, dass wir uns in Irkutsk um 6 kg erleichtert hatten, trotz allem Aufwand der damit verbunden war. Zunächst also ein Zeitsprung nach Russland. Man verschickt nämlich nicht etwa einfach so etwas von Russland nach Westeuropa. Zunächst muss man alles dokumentieren. So machten wir uns auf zur Post in Irkutsk und kamen zwei Stunden später mit leeren Kugelschreibern und wunden Fingern wieder hinaus. Wir wurden verdonnert jedes einzelne Teil, was bei uns von Haarspange über einzelne Kleidungsstücke bis hin zu Campingausrüstung ging, zu benennen und zu wiegen. Das Ganze musste dann in ein Formular eingetragen werden. Auf jedes Formular passten aber nur drei Gegenstände. Aber naja was soll’s, Ordnung muss ja nun mal sein und so wogen und dokumentierten wir alles und schrieben im Akkord Adressen, Ausweisnummern und Gegenstände nieder. Stolz zeigten wir dann alles der Dame am Tresen, die uns aber nur weitere Formulare unter die Nase hielt und mit dem Fingern deutlich machte, wir bräuchten alles dreimal, drei, ja dreimal. Schon etwas mürrischer murmelten wir dann etwas von einem Kopierer, aber die mit ihrem Job anscheinend und verständlicherweise nicht ganz zufriedene Dame zuckte bloß gelangweilt mit den Schultern. Nachdem dann alles fein säuberlich dreimal aufgeschrieben und verstaut war, wieder ausgepackt von der Dame noch einmal gewogen und dann irgendwann fertig war, konnten wir endlich das Postamt verlassen und bestellten zur Feier des Tages, es war nämlich zu allem Überdruss auch noch Jeroens Geburtstag, in einem Restaurant alles Vegetarische von der Karte.
Am nächsten Tag dann also leichtfüßig und gestärkt weiter Richtung Mongolei. So wurden wir von Vater und Sohn, die mit ihrem Transporter, ein Mercedes aus Deutschland, wie der Fahrer nicht ohne Stolz bemerkte, Linda schlafend im hinteren Bett und Jeroen vorne die Natur bewundernd, bis nach Ulan-Ude gefahren, wo wir in der Steppe kampierten.
Am nächsten Tag wurden wir dann von verschiedenen Leuten, die allesamt buddhistische Buryati waren mitgenommen und konnten ein bisschen Buryati Buddhismus erleben, als die Frau des Fahrers unterwegs, zu unserem Erstaunen, ein paar Münzen auf die Straße warf, für Glück auf der Straße, wie sie uns erklärte. Schließlich wurden wir an einer Gabelung herausgelassen, irgendwo im nirgendwo wie es schien, aber schon nach fünf Minuten sprangen fünf feiernde Russen, die auch nach Süden trampten aus einem Auto und lallten uns voll. Neben den unangenehmen Alkoholfahnen, schien es uns auch sehr ungünstig mit der feiernden Meute an einem Ort zu stehen, aber schon kurze Zeit später zog diese weiter und stellte sich ein paar Meter hinter uns wieder an die Straße. Nachdem wir dann einen kurzen Lift bekommen hatten, hielt kurz nachdem wir ausgestiegen waren erneut ein Auto. Und wer war drin? Die grölenden Russen natürlich. Wir waren schon am verzweifeln als schließlich ein Kleinbus hielt und einer der Russen uns freundlich herüberwinkte und bedeutete einzusteigen. Trotz Trunkenheit hatte uns die Bande freundlich einen Lift organisiert, und wir bereuten, sie verflucht zu haben. So wurden wir also kurz bis vor die mongolische Grenze an eine Polizeikontrolle gebracht wo die Reise zunächst unterbrochen wurde. Die freundlichen Beamten, ein junger Spund und ein alter Hase, der dem Jüngeren, wahrscheinlich aufgrund des raren Verkehrs und der dadurch fehlenden sinnvollen Aufgaben, beibrachte, wie man perfekt den Kontrollposten fegt, halfen uns aber freundlich weiter, indem sie jedes der vorbeifahrenden Autos stoppten, um sich zu erkundigen, ob eines nicht vielleicht in die Mongolei fuhr und bereit sei, uns mitzunehmen. Nach langem Warten und blitzeblank gefegtem Kontrollposten wurden wir schließlich mit zur Grenze genommen. An der Grenze durften wir dann aussteigen, an ein paar Autos vorbei laufen und kurz vor der Kontrolle in ein anderes einsteigen. So überquerten wir die Grenze recht flott mit zwei Lieferanten und waren in der Mongolei gelandet.
Die beiden Lieferanten setzten uns kurz hinter der Grenze in Sukh Bataar ab und wir versorgten uns zunächst mit mongolischer Währung. Plötzlich waren wir fast Millionäre, mit sage und schreibe 900 000 Tugruk in der Tasche. So holten wir uns gleich im Supermarkt etwas zu Essen und hatten ein Festmahl vorm Supermarkt mit eingelegten Gurken und Brot, zu dem sich auch gleich ein mongolischer Junge gesellte, der mal schauen wollte, was die Ausländer da so treiben und unser Festmahl mit uns teilte. Als wir ihm aufzeichneten, dass wir im Zelt schliefen, zeichnete er auch gleich ein Bild seiner Unterkunft. Die mongolische Ger. Für uns schien das Nomadenleben in der Ger zunächst ein wahrscheinlich veraltetes romantisiertes Bild des mongolischen Alltags zu sein, die Zeit in der Mongolei belehrte uns aber eines besseren. Vieles in der Mongolei schien wie ein Klischee für Touristen ohne dabei aber ein Klischee für Touristen zu sein. Das Leben in der Ger, riesige Schaf-, Ziegen-, Kuh- und Pferdeherden sind Alltag für viele Mongolen. Das Leben der Nomadenfamilien hat sich dabei nicht besonders modernisiert. Manche haben ein Radio, die meisten ein Handy, die glücklichsten ein Auto. Ansonsten gibt es die Tiere, harte Arbeit, Milch- und Fleischprodukte zu essen. Als wir uns also von unserem kleinen Freund und seinen mittlerweile hinzugekommen Geschwistern, ein kleines Mädchen mit einem kugelrunden zuckersüßen Baby im Kinderwagen verabschiedeten, konnten wir beginnen die mongolische Landschaft zu bestaunen.
Während wir noch überlegten, ob wir unser Zelt in Sukh Bataar aufschlagen oder noch ein Stückchen weitertrampen sollten und leicht zögerlich den Daumen ausstreckten, hielt sofort das erste Auto und ein netter mongolischer Grenzbeamter nahm uns mit. Er fuhr mit uns durch seichte Hügelketten, in denen an einem Fluss, wie an einer Perlenkette aufgereiht, von Viehherden umgebene, weiße Gers standen. Als wir schließlich meinten einen kleinen See zu entdecken, baten wir unseren netten Fahrer uns herauszulassen um dort die Nacht zu kampieren. Doch was von Ferne, wie ein See ausgesehen hatte, war aus der Nähe wohl eher ein von Mücken bevölkertes Wasserloch. Zum Glück wurden wir dafür aber von einem wunderschönen Sonnenuntergang und, natürlich ganz nach dem Klischee, einer um unser Zelt galoppierenden Pferdeherde am nächsten Morgen entschädigt.
Ganz typisch Mongolei war dann natürlich auch, dass sobald wir an der Straße standen, das erste Auto mit drei netten Mongolen hielt. Dem Geruch nach zu urteilen wurden im Auto kurz davor noch Schafe transportiert, aber die freundliche Dame, die mit uns die Rückbank teilte, wusste sich mit parfümierten Feuchttücherchen zu helfen, um sich für den Markt in Dachan fit zu machen. So landeten wir im Schatten einer riesigen goldenen Buddhastatue, und erfuhren, Kulturbanausen, die wir sind, erst später, dass dies eine wichtige Sehenswürdigkeit war, für die Touristen extra aus Ulan Bataar anreisten. Kurz hinterm Buddha hielt dann auch gleich eine mongolische Familie für uns. Wir sahen schon enttäuscht zwei Kinder auf der Rückbank sitzen, aber Quatsch, in der Mongolei ist das kein Hindernis. Die Kinder wurden zusammen geschoben und wir schon kurze Zeit später, zu unserem Entsetzen zu fermentierter Pferdemilch, Airag, in eine Ger am Straßenrand eingeladen. Das heißgeliebte Getränk, das wir in Kazakhstan schon kosten durften, gab es in der Mongolei zuhauf. Aber wir wurden geschickter. So taten wir so, als sollten wir nur probieren und reichten den Becher, nachdem wir beide, einen kleinen Schluck genommen hatten, an eins der Kinder weiter, das den Becher auch gleich in einem Zug lehrte. Später erfuhren wir vom variierenden Alkoholgehalt im Airag, der dem Genuss unseres kleinen Begleiters aber nicht im Wege stand.
Die nette kleine Familie setzte uns mitten in Ulan Bataar am Dschingis Platz ab, der dort auf einem riesigen Thron vorm Regierungsgebäude sitzt. Der Stolz der Mongolen einmal die halbe Welt beherrscht zu haben ist deutlich zu spüren und spielt wohl auch deshalb eine große Rolle, da die Mongolei seitdem, eingekeilt zwischen Russland und China, eher wenig Ruhmreiches vorzuweisen hat. An unserem ersten Tag in Ulan Bataar konnten wir uns dafür gleich beim diesjährigen zweiten Nadaamfest von den noch immer glorreichen Fähigkeiten des modernen Mongolen überzeugen lassen als wir die drei ruhmreichen Disziplinen: Pferderennen, Bogenschiessen und Ringen Life beobachten konnten. Besonders die Bogenschützen, ein von Frauen und Männern gleichermaßen geübter Sport, beeindruckten uns mit ihren bunten Kostümen und hervorragenden Schießfähigkeiten. Vor allem, da nach jedem Schuss die Leute, die neben den Zielen standen, unabhängig davon, ob das Ziel getroffen oder nicht, begonnen mit ihren in bunten Kostümen steckenden Armen zu wedeln und laut jubilierten. Auch die Ringkampfarena übte eine magische Anziehungskraft aus. Die Mongolen hingen an den Geländern und kletterten auf und über die Brüstungen und übereinander um einen Blick auf das Spektakel zu erhaschen, welches darin bestand, dass zwei Männer in Unterhosen, einer blau und einer rot, umeinander scharwenzelten, bis der Blaue schließlich den Roten schubste, dieser auf die Knie ging, alle einmal jubelten und Ende.
Als nächstes stand für uns dann das Chinavisum auf dem Plan. Mit zitternden Knien, denn das Chinavisum war angeblich nicht leicht zu bekommen, machten wir uns also zwei Stunden vor Öffnung auf zur Botschaft. Zu unserem Glück gab es verschiedenen Schlangen für Ausländer und Mongolen, denn die Mongolen hatten teilweise schon die ganze Nacht vor der Botschaft angestanden und ein eigenes Listensystem entwickelt, um die Antragstellung besser zu organisieren. Vor uns stand nur ein nörgelnder Franzose, der sich auch in der Botschaft noch lautstark über die Unorganisiertheit der Chinesen beschwerte. Da der Franzose damit uns adressierte und wir dadurch die reibungslose Visumsbeschaffung gefährdet sahen, versuchten wir ebenso lautstark zu verkünden, dass die Chinesen in der Botschaft doch total nett seien und in der Tat hatten sie uns, ganz im Gegensatz zu bestimmten russischen Postbeamten, sogar noch zu ein paar fehlenden Kopien verholfen. Unsere Strategie schien aufzugehen und so lief alles freundlich und glatt ab.
Wir machten uns dann auf zum nächsten Freiwilligenarbeitslager in der Nähe von Ulaan Bataar und was eigentlich ganz nett begann, endete leider weniger schön. Freie Tage waren nur auf der Webseite aber nicht in der Realität vorgesehen und von vier bis fünf Stunden Arbeit am Tag konnte man nur träumen. Diese zweite eher negative Erfahrung mit Freiwilligenarbeit beim Reisen hat uns sehr skeptisch werden lassen, ob nicht viele Anbieter die Onlineplattform ausnutzen, um gratis Arbeiter zu bekommen. Sollten wir die Plattform erneut nutzen, werden wir sicherlich vorher nochmal genau nachfragen, ob die Infos auf der Webseite der Wahrheit entsprechen. Nichtsdestotrotz war die Umgebung wunderschön und wir verbrachten sehr schöne Momente mit den anderen Freiwilligen, bauten mit Zuska, einer Slovakin, hübsche Lampen aus alten Dosen, musizierten mit Thomas, einem Franzosen auf seiner und unserer Ukulele und bauten einen hübschen Mülleimer zur Mülltrennung. Auch die einzige Angestellte, Dologo, die unterbezahlt noch härter arbeitete als alle anderen, schlossen wir mit ihrem witzigen Lachen und ihrer verrückten Art gleich ins Herz. Wir verließen den Ort dann zusammen mit Thomas und Zuska und natürlich ganz nach mongolischer Art hielt, sobald wir an der Straße standen, der erste LKW und während wir noch überlegten, wem den Vortritt zu lassen, hielt schon der zweite und so wurden wir zurück nach Ulan Bataar geschaukelt, wo wir noch einmal mongolische Tradition in Form von Tanz, Musik und dem beeindruckenden Obertongesang erleben konnten.
Wir trampten dann weiter in die Gobi Wüste. Nachdem uns ein freundlicher Taxifahrer half aus der Stadt zu kommen und wir mit einem netten Bauern noch ein Stück weiterfuhren, pausierten wir am Straßenrand um kurz etwas zu Essen. Aber nichts da in der Mongolei! Ohne das wir Anzeichen machten, einen Lift zu suchen, lenkte der Fahrer eines gelben LKWs sein Fahrzeug zur Seite, fuhr ein Stück zurück und bedeute uns unmissverständlich einzusteigen. Wir machten uns also auf zum LKW und drin saß der lachende Kurdle. Kurdle war extrem begabt darin sich mit Hilfe von Körpersprache verständlich zu machen und während er Jeroen über die verschiedenen Überbleibsel der russischen Militärstützpunkte aufklärte, wurde Linda gemütlich auf der hinteren Liege fläzend hin und her geschaukelt. In der Mongolei sind erstaunlich viele Tier- vor allem Pferdekadaver am Straßenrand zu entdecken. Autounfall, wie Kurdle uns unmissverständlich indem er mit der rechten Faust in die linke Handfläche schlug, deutlich machte. Mit Kurdle fuhren wir langsam, holprig aber doch recht weit, bis sich unsere Wege schließlich trennten. Kurdle lud uns noch ein sein Abendessen mit ihm zu teilen. Er versorgte uns mit süßen Brötchen, schien nicht persönlich zu nehmen, dass wir seinen mongolischen Trockenkäse mit einer Geste auf unsere Bäuche dankend ablehnten und schenkte uns reichlich aus seiner fünf Liter Vodkaflasche ein. Wir verabschiedeten uns herzlich und Kurdle versprach zu Weihnachten eine Email zu schreiben, machte ein verschwommenes Foto mit seinem steinzeitlichen Handy und schaukelte dann fröhlich winkend in seinem gelben Gefährt in die Weite der mongolischen Hügel davon. Für uns folgte also eine weitere Nacht zeltend, diesmal vom Vollmond beschienen, in der mongolischen Steppe. Am nächsten Tag nahm uns dann auch gleich Narentsk und Sotnom, ein älteres Pärchen mit, die uns in die Geheimnisse der buddhistischen Straßenriten einweihten. Immer wieder entdeckt man mit bunten Tüchern behangene Stäbe auf kleinen Hügeln neben der Straße. Um diese muss man dreimal herum laufen, dann am besten noch, Buddha muss wohl eine Schwäche für Süßes und Hirse gehabt haben, ein Bonbon dalassen und dann wird man auf der Straße beschützt. Kurz darauf entdeckten wir dann die ersten frei laufenden Kamele, als die beiden mit uns in die Wüstenstadt Sainschand fuhren. Von dort trampten wir mit einem rasant fahrenden Transporterfahrer weiter in Richtung eines in der Nähe liegenden Tempels, Khamaryn Khiid, den wir uns gern anschauen wollten. Nach einem Abstecher zu seiner abseits der Straße liegenden Ger, wo er seine Ladung, vermutlich jede Menge Airag, ließ, fuhr unser Transporterfahrer uns noch kurz im Mordstempo durch die Wüste zum Tempel, schmunzelte aber über Lindas Kommentar, er sei wohl Michael Schuhmacher.
Beim Tempel angelangt, schwitzend und unsere Gedanken ordnend, kam mit wehenden Locken Javi auf seinem Fahrrad daher gefahren. Javi war zum Erstaunen der Mongolen mit dem Fahrrad durch die Wüste gefahren und verweilte jetzt ein paar Tage in einem Ger Camp um diesen magischen Ort zu entdecken. Er erzählte uns viel über den Tempel und die Umgebung und lud uns ein, ihn später im Camp zu treffen. Als Javi in Richtung der roten Berge davonfuhr konnten wir selbst den Tempel ein wenig entdecken. Ein netter junger Mönch lud uns sogleich ein, ihm in eins der prächtigsten Gebäude zu Folgen und erklärte uns anhand der vielen bunten und goldenen Bilder und Figuren im Tempel viel über den Buddhismus. Auf unsere Frage hin, ob nur Mönche Nirwana erreichen könnten, lachte unser junger Begleiter. Er erklärte uns, dass man ja auch beim Pferd nicht wüsste ob es nicht vielleicht meditiere, wenn es einfach dort steht und die Augen geschlossen hält. Das führte dazu, dass Jeroen und ich uns danach bei jedem kleinen Käfer, Kuh und Kamel überlegten, ob wir nicht vielleicht ein hoch spirituelles, meditierendes Tier vor uns hatten.
Von Javi erhielten wir die Info am nächsten morgen noch vor Sonnenaufgang eine weitere spirituelle Stätte zu besuchen. Etwas weiter hinter dem Tempel, in den roten Hügeln, gab es einen magischen Kreis. Dort konnte man sich drauflegen und sozusagen, die Batterien aufladen, wenn wir richtig verstanden. Voller Tatendrang machten wir uns also morgens in der früh auf und wurden zunächst von einem atemberaubenden Sonnenaufgang über den roten Hügeln der Gobi Wüste belohnt. Wir betrachteten die Landschaft auf einem kleinen Glockenhügel, um den zu unserem Erstaunen kleine Vodkaflaschen verbreitet lagen. Es war anscheinend ein Brauch in diesem Tempel Vodka zu opfern und wie wir von Javi erfuhren, lag dies vor allem daran, dass auch der Lama, der das Kloster damals gründete einem Tröpfchen mit der Bevölkerung nicht abgeneigt und auch sonst eher progressiv gestimmt war. So durften in Khamaryn Khiid Frauen und Männer zusammen verweilen und der gründende Lama mit einem großen Interesse an Kunst und Kultur eröffnete eins der ersten Theater vor dem Tempel, in dem eine Aufführung etwa einen Monat dauerte. Als wir noch beim Glockenturm verweilten, kam eine Wagenkolonne aus Richtung Sainshand angebraust. Anscheinend hatte auch diese angeblich vom besten Führer der Gobi Wüste geleitete Gruppe von den magischen Kräften am frühen Morgen gehört. Als wir also zum magischen Kreis kamen, der sich in einer weiteren Tempelanlage befand, führte der beste Führer der Gobi Wüste seine Gruppe enthusiastisch durch die Anlagen. Im Kreis lagen auch schon ein paar Leute. Wir wollten den Kreis auch mal ausprobieren und während Linda, im Kreis liegend, schon meinte ein leichtes Vibrieren zu spüren, stimmte der beste Führer der Gobi Wüste lautstark mit seiner Reisegruppe ein Lied an. Dies führte dazu, dass ein neben uns liegendes Pärchen seine Handys einschaltete und nun auch aus den Handys, die das Pärchen sich auf die stattlichen Bäuche gelegt hatte, Musik erklang. Von zwei Seiten beschallt, wurde das von Linda gespürte Vibrieren auch gleich schon schwächer. Jeroen, wohl weniger empfänglich für die energetischen Kräfte der Natur, spürte sowieso mal wieder nichts außer Steine, die im Rücken drückten.
Wir zogen also weiter durch die roten Hügel und endeckten auch noch ein paar alte Höhlen, in denen die Mönche sich früher vor den Russen versteckt hatten. Neben verschiedenen von Opfergaben gefüllten Höhlen, gab es dort anscheinend auch einen weiteren magischen Ort. So konnten wir beobachten, wie ein paar Mongolen, sich mit dem Rücken an einen Fels lehnten. Gekrönt wurde das Ganze von einer Familie, die ihre kleinen Kinder nahm und mit dem Rücken am Felsen rieb. Das ganze war etwas skurril, aber auch wenn wir nicht komplett von der Magie des Felsens überzeugt waren, so hatte die Landschaft und die Geschichte des Ortes dennoch eine magische Aura, der selbst Jeroen sich nicht verweigern konnte.
Am Nachmittag philosophierten wir mit Javi, bei Milchtee (eine Mischung aus Tee, Ziegenmilch, Butter und manchmal Hirse) in dem Ger Camp, in dem Javi schon Teil der Familie geworden war, über Buddhismus und das Leben und lernten dann noch ein paar im Camp verbleibende Mongolen kennen, die uns zu Vodka in ihre Ger einluden und uns willkommen hießen, sie in der Grenzstadt Zamii-Uud auf der Durchreise zu besuchen. Als wir uns nach dem geselligen Beisammensein zurück auf den Weg zu unserem Zelt machten, das wir irgendwo in den Hügeln aufgestellt hatten, kam eine düstere Überraschung. Im Gegensatz zur vorherigen Nacht, in der ein voller Mond die Umgebung beschien, war diese Nacht bewölkt und von unserem Zelt in den Bergen keine Spur. Lampen hatten wir nicht dabei und so irrten wir also durch die Dunkelheit, bis wir nach einer gefühlten Ewigkeit einen kleinen Weg entdeckten und uns grob erinnerten, dieser könnte in der Nähe des Zeltes verlaufen sein. Als wir schon glaubten, zum Ger Camp zurück kehren zu müssen und Javis freundliches Angebot, bei ihm in der Ger zu übernachten, anzunehmen, endeckten wir, etwa zwei Meter von uns entfernt, dann doch die schemenhaften Umrisse eines Schattens, der unserem Zelt glich und krochen kurz darauf glücklich in unsere Schlafsäcke.
Es folgte unser letzter Tag in der Wüste und so hatten wir bei Milchtee und einer leckeren Mahlzeit im Ger Camp auch noch die Chance den kleinen Lama kennen zu lernen, der erst vor kurzem aus seinem entfernten zu Hause im Norden der Mongolei, in den Tempel gebracht worden war und sich im Ger Camp etwas verwöhnen ließ. Als Lama auserkoren, war er mit seinen zarten fünf Jahren ins Kloster gebracht worden um dort seine spirituelle Ausbildung zu beginnen. Obwohl der kleine Knabe sich in einer überaus liebevollen Umgebung befand, war es für uns schwer vorstellbar, einen kleinen Jungen soweit von seinen Eltern weg zu bringen. Mit Javi beschlossen wir später am Abend zusammen auf einer Sanddüne den Sonnenuntergang zu beobachten und so zeigte sich die Wüste noch einmal von ihrer besten Seite bevor wir am nächsten Morgen weiter Richtung chinesischer Grenze aufbrachen. Mugka, Zula und Damut quetschten uns in ihr kleines Auto und fuhren uns mit knatschenden Stoßdämpfern und trotz unser mehrfacher Versicherungen, wir könnten auch ein anderes Auto suchen, um die Stoßdämpfer zu entlasten, bis nach Zamii-Uud.
In Zamii-Uud machten wir dann auch gleich unser Versprechen war, und kontaktieren unsere neu gewonnenen Freunde aus dem Ger Camp in Khamaryn Khiid. So bereiteten uns Bayra, Elka, Mega und Djaky einen pompösen und generösen Abschied aus der Mongolei. Barya holte uns mit seinem Bruder Mega vom Stadtzentrum ab und lud uns in ein Restaurant zu einem Festmahl, zudem sich auch noch sein Bruder Elka und dessen Frau Djaky gesellten, mit chinesischem Hotpot und Unmengen an Vodka ein. Das Essen war ein wahrer Genuss doch während Linda sich den Vodka durch ihre Rolle als Frau gut vom Leibe halten konnte, musste Jeroen mittrinken. Und hier hatte er es mit gesottenen Kämpfern zu tun. Nichts half, vehemente Beschwörungen er habe genug, Alkohol im Glas lassen und sogar das Glas umgedreht auf den Tisch stellen. Zwei Vodkaflaschen standen auf dem Tisch, zwei Vodkaflaschen mussten getrunken werden. Nach einer Weile hatte Jeroen einen geschickten Trick entwickelt, den Vodka nach jedem Prosten einfach in eine leere Sodadose zu spucken. Doch während Jeroen und die Sodadose immer voller wurden und sein Geist zunehmend verwirrter, kam auch schon die dritte Vodkaflasche herbei gebracht. Nach dieser wurde der arme leicht kichernde Jeroen dann endlich von seinen Qualen erlöst und wir wurden von Bayras netter Frau, die glücklicherweise nicht mitgetrunken hatte, in das Hotel eines Freundes gefahren, in dem wir gegen unsere vehementen Proteste, wir könnten auch im Zelt schlafen, eine äußerst komfortable, wenn auch kurze Nacht verbrachten.
Bayra versprach uns am nächsten Tag über die Grenze zu helfen und zusammen mit Elka, der als Grenzbeamter tätig war, stand er auch am nächsten Morgen im Frühstücksraum des Hotels und die beiden, nachdem sie einen Schluck Vodka getrunken hatten, fuhren mit uns zur Grenze. Schneller hätten wir die Grenze wohl kaum überqueren können, denn unsere neuen Freunde hatten Beziehungen. Wir fühlten uns ein bisschen, wie in einem russischen Spionagefilm als wir in einen von unglaublich vielen vor der Grenze wartenden Jeeps geschoben wurden und die taffe Fahrerin mit ihrem jungen Begleiter uns mal hier- und mal dorthin lotsten, uns bedeuteten ein- und auszusteigen oder ihnen zu folgen. Vor der chinesischen Grenze konnten wir auch ein seltsames Spektakel der Jeepfahrer beobachten. Die vielen Jeeps schienen, Dinge über die Grenze zu transportieren und mussten dafür anscheinend irgendwelche Formulare abgeben. Anscheinend gab es hierbei eine Art Ehrenkodex alles möglichst schnell abzuwickeln, um die anderen nicht unnötig warten zu lassen. Das führte dazu, dass wir, als wir darauf warteten, dass unsere Begleiterin uns von irgendwo, wo sie uns stehen gelassen hatte, wieder abholte, beobachten konnten, wie immer wieder Jeeps mit quietschenden Reifen hielten, Leute mit Dokumenten herausprangen, in ein Gebäude stürmten, dann wieder zurück zum Jeep sprinteten und zackdiwumm weiterfuhren. Nach einer Weile wurden wir dann von der Fahrerin abgeholt, rannten zum Jeep, der gerade mit quietschenden Reifen vom jungen Begleiter der Dame vorgefahren war, sprangen ins Auto uns zogen schon im Fahren die Tür zu und wurden so im Rekordtempo über die chinesische Grenze gebracht.
Draußen vor den Fenstern zieht sich die unglaubliche Weite der kasachischen Steppe hin. Bis zum Horizont ist kein Baum zu sehen, nur seichte Hügelketten in der Ferne. Zwischendurch eine Pferde- oder Kuhherde, ein Raubvogel oder ein paar Reiter. Gerade sehen wir davon aber leider nichts, da die Fenster des Busses, in den uns unsere letzten Gastgeber bugsiert haben, mit orangen Gardinen verhangen sind. Dafür sind wir aber gestern so intensiv in die kasachische Kultur eingetaucht, dass das die orangen Vorhänge hundertfach aufwiegt. Aber dazu später mehr, denn auch auf dem Weg hierher ist viel passiert.
Also zurück nach Moskau. Nachdem wir dort über verschiedene Autobahnauffahrten gehuscht waren, setzten wir unseren Weg Richtung Osten fort. Zunächst mit Olek, der uns erklärte, er sei ein russischer Gangster. Wir versuchten das geschickt zu ignorieren, um nicht in irgendwelche dubiosen Geschäfte gezogen zu werden und mieden den Blick auf die selbstgestochene Tätowierung auf seinem linken Handrücken. Außer dem insgesamt recht robusten Fahrstil fühlten wir uns sicher bei Olek. Vielleicht auch, da er uns, beeindruckt davon, dass wir uns mit unserem kleinen palatka (Zelt) furchtlos den metvet (Bären) stellten, mit dem größten Respekt behandelte.
Nach einer weiteren Fahrt sahen wir dann auch unserer ersten Nacht neben der Tankstelle im Zelt entgegen. Die Bären stellten kein Problem dar, wohl aber die Mücken, die in Scharen um uns schwirrten und uns mit militantem Gesumm antrieben, das Zelt, ohne Diskussion über die notwendige Anzahl der Heringe, in Rekordschnelle aufzubauen.
Leider gab es am nächsten Morgen keinen Kaffee an der Tankstelle, dafür aber den netten Vladimir, der mit uns in Kolonne mit zwei LKWs, und der dadurch gebremsten Geschwindigkeit überaus entspannt Richtung Cheboksary juckelte. Vladimir fuhr als Begleitung der LKWs mit Landbaumaschinen aus Holland in einem kleinen PKW bis nach Vladivostock! 19 Tage! Was der Sinn dieser Art der Begleitung war, verstanden wir aber nicht so richtig…
Also wieder mal das Zelt aufgebaut und die Nacht ohne Besuch von Bären oder Wölfen überstanden, trafen wir an einer Raststätte auf Renaz und John und wir hätten es nicht besser treffen können! Renaz fuhr Richtung Kasan und konnte im Gegensatz zu unseren vorherigen Fahrern ein bisschen Englisch sprechen. Vor allem aber fuhr er uns mit unglaublichem Enthusiasmus und guter Laune Richtung Chistobal, wo seine Mutter uns zu traditionellen tatarischen Küchlein (denn Chistobal liegt in Tatarstan) einlud und wir seine beste Freundin Lera kennenlernten, die super Englisch sprach. Die beiden zeigten uns also die eher kleinere Stadt und wir lernten, dass Tatarstan die ökonomisch stärkste Region Russlands ist, c.a. 50% der Bevölkerung dort muslimisch und der Rest überwiegend russisch orthodox ist, und dass Tatars eine eigene Sprache ist.
Später lud Lera uns dann ein, im Haus ihrer wundervollen Tante zu bleiben, die in einem süßen, typisch russischen Holzhäuschen wohnt. Wir bekamen leckere Erdbeeren aus dem Garten und mit Leras Hilfe als Top- Übersetzerin erzählte ihre Tante von ihren eigenen Reisen, als sie noch jung war. Später kamen dann Leras Freunde vorbei und wir stellten fest, dass Tee trinken und Schischa rauchen unter Tataren äußerst angesagt ist. Nachdem wir am nächsten morgen leckere Blinis (Buchweizenpfannkuchen) von Leras Tante verspeist hatten, ging es auf zum Bus, um zurück auf unsere Route zu gelangen. Und der erste Schreckmoment der Reise: Jeroens Passport unauffindbar. Nachdem also Renaz und Alina im Eiltempo zurück zur Tante düsten und Lera schon versuchte, den Busfahrer zu überzeugen, noch etwas zu warten, kam die Erleichterung. Der Passport war nur in eine Innentasche gerutscht! Also alles wieder zurück gepfiffen, ein paar letzte Abschiedsfotos und weiter Richtung Osten.
Der freundliche Kamil, der uns von einer Tankstelle aufließ, an der sonst niemand hielt und uns aus purer Nächstenliebe bis zur Kreuzung nach Ufa fuhr, fasste in Worte, oder besser gesagt, in unsere Übersetzter App was auch wir auf unserer Reise fühlten „Ich glaube, alle Menschen sind erst einmal gut, nur manchmal tun sie Schlechtes. Ich versuche dann trotzdem, das Gute zu sehen.“ So philosophisch erleuchtet bestätigte sich dieses Motto auch gleich wieder, als kurze Zeit später Evgeny für uns hielt und uns ein herausragendes Beispiel des Guten im Menschen gab. Er nahm uns mit über eine Entfernung von 850 km, die er nach Chelyabinsk fuhr, wir lernten zusammen Englisch und Russisch, er zeigte uns die besten Aussichtspunkte, trotz der Tatsache, dass man nichts sehen konnte, da Nacht war, lud uns zu leckerem Borschtsch ein und half dann auch noch spontan, einen Zug nach Astana in Kazakhstan zu organisieren! Für Evgeny als Installateur von Überwachungskameras in Supermärkten war es normal jeden Woche tausende von Kilometern zurückzulegen, da seine Firma das ganze Gebiet von Moskau bis Omsk mit Kameras versorgte. Ganz schön verrückt die Entfernungen in Russland!
Neben der Größe des Landes beeindruckt auch die Größe der Flüsse, allen voran die Wolga und, wahrscheinlich am meisten, die Größe der Absätze. Grob geschätzt erreicht, worauf so manch eine Dame hier durch die Gegend wandelt, mindestens eine Höhe von 25 cm. Im Verhältnis zur Absatzhöhe haben wir bisher wenige schuhbasierte Unfälle beobachtet – nur einen. Doch auch mit verstauchten Knöchel wurde weiter tapfer in Eiffelschuhen getorkelt.
Im Gegensatz zu dieser Folter, der viele russische Frauen tapfer entgegen sehen, war unser Aufenthalt im Zug erstaunlich gemütlich. Die tausend Kilometer nach Astana verbrachten wir, neben einigem Wachgerüttel bei der Grenzkontrolle, vor allem liegend und wären auch gern noch weiter gefahren. Zum Glück hatten wir noch in Chelyabinsk Sergey und Nathalia um einen Schlafplatz über couchsurfing gebeten und waren froh uns entschieden zu haben, nach Kasachstan zu reisen. Die beiden machten unseren Aufenthalt in Astana zu einem wahren Erlebnis und gaben uns einen gewaltigen Eindruck der kasachischen Gastfreundlichkeit. So fuhren wir mit Citybikes an den verrückten Gebäuden der Stadt vorbei, die in knappen 15 Jahren aus dem Nichts, bzw. aus der Steppe gestampft wurden. Die Stadt wird im Winter manchmal so kalt und zugeschneit, dass die Stadtgrenzen von der Polizei gesperrt werden, um hohe Kosten durch Rettungsaktionen zu meiden. Das war schwer vorstellbar, während wir mit Sonnencreme eingeschmiert im T-Shirt durch die Stadt cruisten. Nach zwei sehr erholsamen Nächten und gutem Essen bei Sergey und Nathalia machten wir uns weiter auf den Weg Richtung Osten, um dort ein weiteres Beispiel kasachischer Gastfreundlichkeit kennen zu lernen.
Als wir mit dem Bus Astana verließen, bemerkten wir, dass in Kasachstan, nicht nur die Gastfreundlichkeit sondern auch die Neugier eine ausgeprägte Charaktereigenschaft zu sein scheint. So kamen verschiedene Autofahrer, auch die, die in die falsche Richtung fuhren, auf uns zu, um zu erkunden, was wir da so trieben. Zum Glück sind wir mittlerweile einigermaßen in der Lage unsere Reise auf Russisch zu erklären. So nahm uns auch kurze Zeit später ein Auto mit. Auch hier mussten wir gleich wieder an Kamils Motto denken, hatten wir doch hier einen Fahrer erwischt, der uns gegenüber unglaublich freundlich war, uns dann aber auch fragte, ob wir nicht zufällig Globaliersierungsagenten seien, und dann seine nationalistischen Tendenzen und vor allem ausgeprägte Homophobie durchblicken ließ. Wir fühlten uns etwas geschmeichelt, als Agenten gesehen zu werden, waren aber auch ein bisschen traurig. Nach Europa wolle er nicht reisen, da seien alle schwul. Außerdem seien die Niederlande ein Drogenland. Nun ja…Wir hielten uns an Kamils Motto: „Allle Menschen sind erstmal gut, aber manchmal tun sie Schlechtes…“
Der Fahrer versuchte uns noch zu überzeugen nicht die von uns gewählte Route, kürzer aber über kleine Straßen, zu nehmen sondern ihn in die nächst größere Stadt zu begleiten, da dort mehr Verkehr unterwegs sei. Aber wir waren auf Abenteuer aus und entschieden uns also es dennoch zu versuchen. Nach einer halben Stunde an der staubigen Straße und keinem einzigen Auto, dass abbog, verloren wir dennoch langsam den Mut. Wir hatten aber Unterhaltung, denn ein liegengebliebener Bus auf der anderen Straßenseite, war voll mit neugierigen Kasachen, die sich nach anfänglicher Zurückhaltung nicht scheuten, uns Gesellschaft zu leisten und Fragen über unsere Reise zu stellen.
Glücklicherweise befand sich außerdem in der Nähe eine kleine Polizeistation, die es hier zu Hauf gibt und so versuchten wir die Polizisten nach dem besten Weg zu fragen. Dort erfuhren wir, dass die von uns gewählte Route gar nicht so schlecht war, aber mit einem verzweifelt gestikulierenden „Nie maschina“ (kein Auto) machten wir deutlich, dass der Versuch für uns bisher erfolglos war. Der freundliche Polizeibeamte bot daraufhin an, uns über die leergefegte Straße zu einer besseren Kreuzung zu fahren und tat dies auch, nachdem sein Auto nach mehrmaligen Versuchen schließlich ansprang. So fuhren wir also, den armen vor dem Bus wartenden Herren fröhlich zuwinkend, mit Blaulicht weiter Richtung Pavlodar.
Die neue Kreuzung eignete sich auch tatsächlich viel besser zum Weitertrampen und so waren wir auch schon nach wenigen Mitfahrgelegenheiten im Auto von Sertay und Alma, womit die zweite Geschichte kasachischer Gastfreundlichkeit, diesmal auf dem Lande, beginnt. Sertay und Alma schienen sich nicht daran zu stören, dass wir kein Russisch sprachen und unterhielten sich fröhlich mit uns und zeigten uns die Landschaft. Schließlich luden sie uns dann auch gleich zu Tee und Fisch bei Verwandten in einem nahegelegenen Dorf ein. So aßen wir leckeren selbstgefangen Fisch, tranken kasachischen Tee und versuchten so gut wie möglich unsere paar Brocken russisch zusammenzukratzen, um etwas mit unseren Gastgebern zu kommunizieren. Damit aber noch nicht genug, als wir später mit den beiden weiter Richtung Pavlodar fuhren und es schon 18 Uhr war, als wir bei ihrem Dorf ankamen, luden sie uns auch gleich ein, bei ihnen zu bleiben.
Aber dazu später, denn nur ein Tag mit Sertay und Alma vesorgte uns mit Erlebnissen für eine ganze Woche. Als wir an einer Gruppe Reitern in der Steppe vorbei fuhren und zunächst weiterfuhren, überwiegte doch schnell die kasachische Neugier und Sertay kehrte um, um Bestimmung und Vorhaben der Reiter zu erkunden. Das führte dazu, dass wir sogleich als Werbemodelle für eine Kampagne des Nationalparkes herhalten mussten. So wurden wir interviewt, wobei immer besonders wichtig war, dass wir „Kasachstan choroscho“(Kasachstan ist gut) sagen. Linda durfte dann auch noch Reiten, aber nicht ohne vorher eine Flagge, des Nationalparkes um den Kopf gewickelt zu bekommen, und natürlich vor der Kamera.
Schliesslich kamen wir in Sertay und Almas kleinem Dorf Radnikovsky an, mitten in der Steppe am Kanal Irtisch-Karaganda gelegen, der sich angeblich von China bis nach Russland zieht. Sertay fuhr sich immer wieder -eine eindeutige Geste- mit dem Finger über die Kehle und machte dazu „Mäh“. Als er dazu noch mit leuchtenden Augen „Schaschlik“ sagte, wurde uns deutlich, er wolle ein Lamm schlachten. Wir versuchten noch mit aller Kraft zu erklären, sie sollten bloß keine Umstände für uns machen, wurden dann aber erstmal beschäftigt, als eine Reihe von Leuten aus dem Dorf vorbei kamen, um die Touristen einmal anzuschauen. Zum Glück kam auch Gulmira, die Schwiegertochter, die perfektes Englisch sprach. Sie nahm uns mit auf einen Spaziergang durch das kleine Dorf, wobei sie von ihrer Hochzeit, die erst ein paar Monate her war, und den Herausforderungen und Schönheiten, sich an das neue Leben auf dem Lande, nachdem sie als Lehrerin in der Stadt gearbeitet hatte, zu gewöhnen. Sie zeigte uns auch ihr Haus und gab uns dort eine Art Pferdebuttermilch zu trinken, die sehr interessant und außergewöhnlich schmeckte. Wir tranken beide brav auf.
Als wir vom Spaziergang zurückkehrten, saß Sertay seelenruhig auf der Gartenbank und wir hofften schon, dass wir ihn nur falsch verstanden hatten. Diese Hoffnung wurde aber gleich zerschlagen, als wir die Küche betraten und das Lamm schon zerlegt vor Alma auf dem Küchentisch lag. Sertay hatte uns wohl diplomatisch weggeschickt, um nicht die zartbesaiteten Gemüter von uns Westeuropäern zu belasten. Wir meinten noch ein paar flüchtig weggewischte Blutspritzer an der Wand zu entdecken.
Es wurde also ein Festmahl zubereitet und ein paar weitere Leute aus dem Dorf kamen vorbei, um die Attraktion, zwei Touristen und laut Gulmiras Berichten wohl die einzigen je, zu begrüßen. Alma hatte groß aufgefahren und rannte mit Nudelholz und Kopftuch durch die Küche um neben Pferdewurst und Lammschaschlik auch noch ein traditionelles kasachisches Teiggericht zuzubereiten.
Es wurde gespeist und getrunken, wobei die arme Gulmira als Übersetzerin herhalten musste, als Sertay immer wieder kurze Reden über Freunde und Gastfreundschaft, auf die mit Wodka angestoßen wurde, hielt. Es war ein schönes Fest und alle gingen schlafen, nachdem Sertay zerknirscht erklärte, er habe einfach nicht die Zeit gefunden, die Sauna noch anzuheizen.
Gestärkt nach einem guten Frühstück sind wir also am nächsten morgen in den Bus gestopft worden, da sich unsere bemühten Gastgeber nicht damit zufrieden geben wollten, uns einfach auf die Straße zu setzen. Hinter orangen Gardinen verlassen wir die Familie in tiefer Dankbarkeit und sind mittlerweile in Pavlodar angekommen, wo wir spontan als couchsurfer bei Yura und Svetlana, mit ihren 5 süßen Kindern aufgenommen wurden. Ein bisschen Schlaf wäre jetzt gut.