China, Oktober 2016
Wir kamen durch Zufall zum Nan Shan mit Yuko und Winshan, die uns irgendwo auf der Straße südlich von Urumqi aufpickten, nachdem ein freundlicher Minibusfahrer uns aus der Stadt gebracht hatte. Yuko und Winshan würden bald heiraten und waren auf einer Art Vorhochzeitsfotoreise, um an verschiedenen besonderes Spots Hochzeitsfotos zu schießen – das scheint so ein Ding in China zu sein. An diesem Abend waren sie ohne Fotoequipment unterwegs zum Nan Shan, dem Südberg. Das ist ein Gletscher, den man bei gutem Wetter im Süden Urumqis aufragen sieht. Sie schlugen spontan vor, uns dorthin mitzunehmen und danach wieder an der Hauptstraße abzusetzen.
Während wir immer höher fuhren und es draußen immer dunkler und kälter wurde, hatten wir zwar mit Unbehagen über die uns wahrscheinlich bevorstehende schrecklich kalte Nacht im Zelt zu kämpfen, aber die Aussicht die sich uns im Sonnenuntergang auf den Nan Shan bot, machte das Unbehagen wieder wett. Dennoch schien unser Vorhaben im Zelt zu schlafen im Angesicht der sich langsam auf den Pfützen formenden Eisschicht nicht unbedingt die beste Idee. Zum Glück gab es beim Nan Shan ein paar Jurten und nach Yukos Verhandlungsgeschick mit dem Jurtenbesitzer (wir verstehen kein Chinesisch, aber sie schien mit weinerlichem Ton irgendwie sowas zu sagen wie, dass wir im Zelt erfrieren würden und er doch Erbarmen haben solle) bekamen wir auch einen Schlafplatz und Kohle für den Ofen. Gemütlich warm war es noch immer nicht, aber um den Ofen gekauert teilten wir noch ein vorzügliches von der Jurtenbesitzerin gekochtes Abendessen mit Yuko und Winshan bis die beiden sich in der Nacht zurück auf den Weg nach Urumqi machten und wir uns in Winterjacken gehüllt unter 5 Decken in der Jurte ausbreiteten.
Wir beschlossen die Gegend um den Nan Shan am nächsten Morgen noch etwas zu erkunden und machten uns auf zu einer kleinen Schneewanderung in der Umgebung. Nach etwa 100 m laufen, kamen wir dann auf die grandiose Idee einen Schneemann zu bauen (wahrscheinlich trieb uns die Gewissheit in diesem Jahr keinen richtigen Winter mehr zu erleben) und so blieb die Schneewanderung eine kurze Wanderung, mit viel Spaß aber leider nassen Füssen. Es wurde auch Zeit weiterzukommen in niedrigere Gefilde, um die nächste Nacht dann vielleicht doch im Zelt zu überstehen. Wir trampten also los, fuhren zunächst in die falsche und dann wieder in die richtige Richtung und kamen gegen frühen Abend nach Ulanbherk Bekint, einem winzigen Dorf, wo es auch viel zu kalt war.
Wir beschlossen noch weiter zu trampen zur nächsten Stadt, die wieder niedriger wäre, aber zu unserem Glück hielt vor uns Gabli, der uns in sein Auto winkte und uns sogleich einen Schlafplatz anbot. So trafen wir Gablis kleine Familie, seine Frau Galiba, den kleinen Noahjason und den zehnjährigen Xiashan, die in ihrem kleinen Haus gemütlich zusammen wohnten. Gabli hatte kasachisch- kirgisische Wurzeln und das kleine Häuslein war mit vielen Teppichen auf einer Plattform und mit einem Kohleofen davor in diesem Stil eingerichtet. Es war unglaublich warm und gesellig mit den Vieren. Während Noahjason fröhlich mit seinen offenen Hosen (ganz im chinesischen Stil) auf der Plattform rumturnte und seine Eltern darüber wachten, dass er nicht aus Versehen runter auf den Ofen stürzte, wurden wir mit Essen und Milchtee versorgt und fühlten uns so wohl und so zu Hause wie schon seit langem nicht mehr. Während Gabli, Galiba und Xiashan sich beste Mühe gaben mit dem Englisch, das die drei zusammenkratzen konnten, eine Unterhaltung mit uns zu führen, sprang Noahjason immer wieder voll Vergnügen, den nackten Popo in die Luft gestreckt in einen Haufen Decken und Kissen.
Mit ein bisschen Wehmut doch voll Dankbarkeit für die schöne Begegnung stellten wir uns am nächsten Tag wieder an die Straße, die in der Morgenluft den Blick auf die atemberaubende Berglandschaft freigab. Nach einer Weile, die wir die Straße entlang marschierten, hielt dann auch ein Auto für uns. Einer der beiden Insassen hatte eine Verletzung am Bein und machte trotz unserer Proteste Platz für uns, was ihn in eine deutlich unkomfortablere Sitzposition brachte. Zum Glück hatten die beiden es nicht besonders weit und wir hüpften schon kurz darauf in einen Jeep. Die beiden Männer fuhren mit Mordsgeschwindigkeit die Berge hinauf und wir zitterten auf der Rückbank im Angesicht der Abgründe, die sich abwechselnd links und rechts von uns auftaten. Wir realisierten auch, dass Gabli uns in der Nacht zuvor wohl gerettet hatte. Wir konnten uns nicht vorstellen, jemand wäre auf die verrückte Idee gekommen, diesen unglaublich hohen Bergpass noch am Abend zu überwinden. Je höher wir kamen umso eisiger wurden die Straßen. Wir hörten irgendwann auf, die heruntergestürzten LKW zu zählen und waren erstaunt als wir tatsächlich einen Koloss entdeckten, der es gewagt hatte, sich die Berge trotz Eis und Schnee Richtung Urumqi hochzuwälzen.
So erreichten wir Heijing, wo wir zunächst Pläne machten, wie wir weitereisen würden. Die nassen Füße hatten bei Linda zu einer heftigen Erkältung geführt und wir beschlossen uns ein Hotel für die Nacht zu suchen und auszuruhen. Die chinesischen Hotels wollten uns aber nicht sondern nur Chinesen und so trampten wir noch ein Stück weiter Richtung Korla, nicht ohne davor noch einmal gründlich von der Polizei kontrolliert zu werden. Es hatte gerade jemand für uns gehalten, als das Polizeiauto vor unsere Füße rollte und drei Polizisten ausstiegen, die unsere Pässe und Taschen aufs Genaueste untersuchten. Wir hatten ein schlechtes Gewissen, weil der nette Kerl, der für uns gehalten hatte, geduldig wartete und die Kontrolle etwas überflüssig gründlich schien. Gekrönt wurde das ganze davon, dass die Herren Polizisten anscheinend vor allem eines wollten: ein Foto mit Jeroen. Als dieser einwilligte wurde mit strahlenden Augen vor dem Auto posiert und wir durften weiterfahren.
In Korla erholten wir uns. Ein paar ruhige Tage, zwischendurch amüsiert von ein paar chinesischen Tanzperformances im Park und buchten dann einen Zug Richtung Kashgar. Während es Linda gerade wieder etwas besser ging, fühlte jetzt Jeroen die Erkältung herannahen und zu allem Unglück hatte der Zug 15 Stunden Verspätung wegen Regen und Sturm. Zum Glück ließ uns das freundliche Bahnhofspersonal in den erste Klasse Wartesaal, wo wir dann wohl etwas zum Erstaunen der Anwesenden unsere Isomatten und Schlafsäcke ausrollten.
Irgendwann am nächsten Tag kam dann der Zug und in der Nacht kamen wir in Kashgar an, wo wir in weiser Voraussicht ein Hostel gebucht hatten. Wir hatten noch eine Email geschrieben, um das Hostelpersonal zu informieren, dass wir später ankamen, doch Emails wurden dort anscheinend nicht gelesen. Es war kein Zimmer mehr frei. So wurde uns angeboten Linda könne in einem Schlafsaal und Jeroen draußen auf dem Dach schlafen. Wir waren wütend und erschöpft nach einer Nacht am Bahnhof und einem Tag im chinesischen Dudelzug (man wird immer mit Musik oder Durchsagen beschallt). Irgendwie arrangierten wir uns dann damit unser Zelt auf dem Hosteldach aufzuschlagen und verbrachten noch ein paar schöne Tage in Kashgar, dessen Flair eher an arabische Gassen als an chinesische Pagoden erinnert. Die meisten der Strukturen sind allerdings eher auf alt gemacht und nicht mehr wirklich historisch. Das Flair ist aber trotzdem recht nett und wir wurden von einigen witzigen Ladenschildern amüsiert: „put in false tooth center“oder auch „chicken with fish flavour“.
Wir zogen also durch die Straßen, oft auf der verzweifelten Suche nach vegetarischem Essen, da es vor allem gegrilltes Lamm zu geben schien oder die schönen Häuserfassaden und bunten Stoffe auf dem Bazar bewundernd. Auf dem Bazar kam uns die grandiose Idee ein paar schöne Schals an die Familie zu schicken, doch wieder einmal hatten wir unsere Rechnung ohne die chinesische Post gemacht. Schon das Postkarten verschicken in Qingdao war ein wahres Desaster gewesen doch nichts im Vergleich zu dem was in Kashgar passierte. Wir mussten dreimal zur Post geben um unfreundlich angeblafft zu werden und dann letztendlich unsere drei kleinen Pakete mit Briefmarken zu tapezieren und dann abzuschicken.
Nachdem diese finale Hürde genommen war, ging es aber los für uns. Kashgar ist der Ausgangspunkt für den hochgerühmten Karakorum Highway (KKH), der vielleicht die schönste Bergstraße der Welt ist und China und Pakistan miteinander verbindet. Voller Erwartungsfreude stiegen wir also in den falschen Bus. Danach in den richtigen Bus und machten uns hoffnungsvoll auf Richtung Pakistan.