Von Autobahnauffahrten und Raststätten

China, Oktober 2016

Iiiieeeeehtschschschsch! Mit quietschenden Reifen hielt ein Abschleppwagen vor uns mitten auf der Autobahnauffahrt. Wir hatten uns gerade erst an die Straße gestellt und die Freude war groß. Ein bisschen groß war auch die Angst. In China scheint es einen typisches Phänomen zu sein, zum Anhalten nicht etwa auf den Seitenstreifen zu fahren sondern einfach sofort dort, wo die Entscheidung zum Anhalten getroffen wurde, kräftig auf die Bremse zu drücken. Wir hüpften also schnell in die Kabine und hofften, der Fahrer würde uns südlich raus aus Qingdao in die richtige Richtung bringen, wo wir dann auf die Autobahn Richtung Xi’an wollten. Das schien auch erst so zu sein, aber der Fahrer musste noch kurz einen Abschleppauftrag erledigen. Wir fuhren also nochmal einen Umweg, um einen liegengebliebenen LKW abzuholen. Schon als wir das große voll gepackte Fahrzeug sahen, ahnten wir warum wohl gerade dieser LKW liegen geblieben war. Er schien hoffnungslos überladen und unser kleiner Abschleppwagen davon leider hoffnungslos überfordert.

Der Fahrer versuchte es trotzdem drei Stunden lang mit aller Kraft und allen Mitteln. Als er schließlich aufgab, entschlossen wir uns auch aufzugeben, da es schon sehr spät war und fuhren nur noch wieder mit zurück zur Straße, an der wir am nächsten Morgen weitertrampen wollten. Es regnete und wir hatten Schwierigkeiten, einen Zeltplatz zu finden, der nicht komplett schlammig war. Wir fanden einen Feldweg, der glücklicherweise bis zum nächsten Morgen nicht befahren wurde und stellten uns wieder an die Straße. Ein Pärchen hielt und nahm uns wohlwollend mit, zu unserem Schrecken und leider gegen unseren Willen wieder nach Qingdao. Obwohl wir mit Kräften und sogar ein paar Englisch sprechenden Bekannten der Beiden vehement versuchten sie davon abzuhalten uns weiter in die Stadt zu fahren, wurden wir kurz darauf an einer Bushaltestelle abgesetzt. Die Beiden hatten es gut gemeint, doch wir standen jetzt vor der schwierigen Aufgabe irgendwie wieder zurück zur richtigen Straße zu finden.

Zum Glück wurden wir schon kurz darauf von einem sich scheinbar pathologisch anfauchenden Pärchen, die sich aber trotzdem sehr lieb zu haben schienen, mitgenommen. Zuerst kurioserweise zu ihrem Frisörssalon. Jeroen überlegte schon, ob das Schicksal ihn vielleicht dorthin gebracht hatte. Wir entschieden uns aber gegen diese Erklärung und die Mäne wächst fröhlich weiter. Nach viel google translate und einer witzigen Pantomimesession, in der wir versuchten, unsere Reiseabsichten zu verdeutlichen: Autofahren, Auto stoppen, Einsteigen, Nett quatschen, aussteigen, Autofahren, nächstes Auto stoppen… und der Mann, der uns mitgenommen hatte, sich als wahres Pantomimetalent herausstellte, er brachte es fertig, den kompletten Zyklus mit erstaunlichem Ausdruck nachzuspielen, brachte er uns zur Autobahnauffahrt. Der Rest der Strecke ging dann wie geschmiert.

Der Weg wurde sozusagen zum Raststättenhopping mit vielen wahnsinnig freundlichen Chinesen und zur Mittagszeit wurden wir dann auch gleich von einem Restaurantmanager an einer Raststätte zum Mittagessen eingeladen. Wir blieben eine große Attraktion an den Raststätten: Der Restaurantbesitzter wurde dadurch belohnt, dass wir viele Chinesen anzuziehen schienen, die sich nicht scheuten sich extra so hinzusetzen, dass sie uns bestaunen konnten. An einer anderen Raststätte an der wir uns bloß kurz an den Parkplatz gesetzt hatten, um unsere nächsten Schritte zu planen, kam spontan ein Chinese vorbei und drückte uns beiden ein Eis in die Hand! An einer anderen Raststätte musste ein kleiner Junge, der wohl in der Schule etwas Englisch gelernt hatte, herhalten, um die Neugierde der gesamten Anwesenden an der Raststätte zu befriedigend. Mit leichtem Druck seiner Mutter, die ihn vorschubste, versuchte er dann herauszufinden, woher wir kommen, wo wir hinwollten, wie alt wir sind und wie wir heißen. Auf unsere Fragen seinerseits zu antworten, schien den armen Kerl, der ohnehin schon krebsrot angelaufen war, aber dann doch hoffnungslos zu überfordern. Wir freuten uns trotzdem über die nette kleine Unterhaltung.

Autobahnauffahrten und Raststätten, das war was wir am meisten sahen auf der Strecke nach Xian. Bis auf eine nette Ausnahme als Leiluo und Shandong uns, nach einer Nacht neben der Raststättentoilette (das hatten wir erst am nächsten Morgen gemerkt) in Heze, spontan zum Mittagessen einluden und uns eine Tour durch Zhengzhou gaben, wo sie uns dann auch wieder zur Autobahnraststätte brachten.

Auf die Nacht neben der Raststättentoilette folgte eine deutlich nettere Nacht. Von einem älteren Pärchen wurden wir an der Autobahnauffahrt in Sanmenxian abgesetzt. Es war schon spät abends und so machten wir uns auf die Suche nach einem Zeltplatz. Direkt entlang der Autobahn fanden wir ein kleines Dorf. Auf dem Dorfplatz waren gerade alle Leute zum allabendlichen Gemeinschaftstanz versammelt doch wir zogen weiter, tiefer ins Dorf. Das Dorf war etwas skuril. Unglaublich viele halbfertige Häuser, die aussahen, als hätte dort schon seit Jahren keiner mehr einen Finger gerührt. Die Felsen, die das Dorf umgaben, waren mit Eingängen zu Minenschächten gespickt, von den allerdings viele nicht mehr in Gebrauch schienen. Ein kleines chinesisches Mädchen folgte uns ein Stück mit ihrem großen Bruder. Während der sich aber scheu mit seinem Fahrrad von dannen machte, fing die kleine mutig an, in ihrem Schulenglisch mit uns zu quatschen. Mit ein paar chinesischen Wörtern konnten wir ihr dann auch deutlich machen, dass wir einen Zeltplatz suchten. Die Kleine verstand und holte sogleich ihre Mutter zur Hilfe. Nach Absprache mit ein paar Nachbarn, wies diese dann auf eine unfertige Garage und schlug vor, wir könnten dort unser Zelt aufschlagen. Schon kurze Zeit später kam sie dann mit einem Besen, um die Garage auszufegen. Sie betrachtete uns mit ihrer Tochter beim Zeltaufbau und es kamen auch immer wieder ein paar neugierige Dorfbewohner schauen. Wir fühlten uns willkommen. Die nette Dame brachte uns dann auch noch eine Kerze und ein paar Äpfel. Am nächsten Morgen leistete uns ihr Nachbar immer wieder Gesellschaft. Zuerst brachte er uns heißes Wasser. Chinesen lieben heißes Wasser! Heißes Wasser wird mit Vorliebe getrunken und ist ein Allheilmittel für alle, wirklich alle möglichen Krankheiten. Wir gossen uns davon dann ganz ketzerisch einen Kaffee auf und schon kurze Zeit später tauchte der nette Nachbar wieder auf und brachte uns ein paar zuckersüße Kakis. Wir bekamen dann so nach und nach auch noch Äpfel, Mondküchlein und anderes Gebäck und verabschiedeten uns schließlich in großer Dankbarkeit.

An diesem Tag erreichten wir Xian und hatten ein paar Tage, bevor wir unseren Zug nach Urumqi nehmen würden, um diese mit chinesischer Historie übersäte Stadt zu bewundern. Am meisten trieben wir uns wohl im muslimischen Viertel rum, um das Chaos in den kleinen Gassen zu bestaunen. Dort schieben sich Rikschas, Menschen und Motorräder zwischen allerlei interessantem Essen aneinander vorbei. Wir stolperten auch in das chinesische Herbstfest in Xians Stadtpark, in dem wir ein paar schräge traditionelle chinesische Performances mit noch schrägerem traditionellen chinesischen Gesang bewundern konnten. Noch jetzt klingen uns die Ohren vom Geheule der verrückten Gestalten mit übergroßen Köpfen, die allem Anschein nach chinesische Ahnengeister waren.

In Xian begegneten wir auch dem ersten Mal dem chinesischen Smog und machten uns lächerlich in dem wir sogleich mit ein paar Mundschutzmasken herumliefen. So begrüßten wir dann auch Kai, einem Couchsurfer, der sich die Zeit nahm, uns die Stadt zu zeigen. Kai wusste als chinesischer Polizeibeamter und Parteimitglied spannende Geschichten zu erzählen. Er berichtete von den abgeschlossenen Waffen in der Polizeistation. Die Polizei sei wenn dann nur mit Gummiknüppeln unterwegs. Schusswaffen würden nicht gebraucht und die halbe Polizeistation habe eh schon vergessen wo der Schlüssel für den Waffenschrank liege. Kai lieferte uns ein freundliches Bild der chinesischen Polizei und gleichzeitig ein paar paradoxe Einsichten in den Kopf eines chinesischen Parteimitglieds. Er schwärmte von Marx, aber auf unser Drängen hin, doch bitte zumindest einen politischen Grundsatz zu nennen, welche die chinesische Partei im Marxistischen Sinne umsetzte, konnte Kai keinen nennen, was ihn aber nicht davon abhielt weiterhin standfest zu behaupten, China sei kommunistisch ausgerichtet und an Marx orientiert. Wir fühlten uns an den putinschen Reflex erinnert und vermissten das liebe Russland ein bisschen. Doch für uns ging es weiter nach Urumqi. Diesmal mit dem Zug, was die Sehnsucht nach Russland noch verstärkte. Während die russischen Züge ein Beispiel an Gemütlichkeit und Geselligkeit sind, spannten die chinesischen Züge unsere Nerven zum Zerreißen. Wenn die Lautsprecher, über die chinesische Katzenjammermusik dröhnte (nicht unähnlich zu der im Park gehörten), gerade einmal nicht ertönten, bemerkte oft schnell der ein oder andere Passagier die Stille und füllte diese mit Gejaule aus dem eigenen Telefon. Zum Glück hatten wir aber auch einige nette Mitreisenden, die uns mit chinesischen Datteln und netten Gesprächen versorgten Die Nacht war ruhig und so erreichten wir am nächsten Morgen in der Früh doch einigermaßen ausgeruht Urumqi.

Linda with Leiluo and Shandong in Zhengzhou
Jeroen with Leiluo and Shandong in Zhengzhou
Jeroen sitting in the typical Chinese squatting position in the „village under the bridge“ near Sanmenxia
Park in Xi’an
Our first taste of the infamous Chinese smog in Xi’an
Xi’an streetfood
Xi’an by night

Weit, weit im Osten

Qingdao, September 2016

Was wir vorher noch für unmöglich gehalten hatten, sollte mit Dan Realität werden: Fahrradfahren in Beijing, ohne dabei das Leben zu verlieren. Dan, seine Frau Kathy, und ihre Mitbewohnerin Morgan beherbergten uns in Beijing nach unserer Rückkehr von der chinesischen Mauer. In China herrscht ein wildes Verkehrsgesetz. Ampeln gibt es nur zur Zierde und angeblich wird Chinesen beigebracht beim Fahren immer nur geradeaus zu gucken. Dan versicherte uns, wenn wir uns auch daran hielten, würde nichts passieren. Wir waren nicht ganz überzeugt aber nachdem wir von Dan mit Fahrrädern und noch viel wichtiger Fahrradhelmen, versorgt worden waren, düsten wir mit Herzrasen hinter ihm durch die Stadt, natürlich nicht nur geradeaus sondern panisch hin und her schauend, zum Essensmarkt.

Der Markt ist auch für die meisten Chinesen eher eine Touristenattraktion als dass dort für’s Abendbrot geshoppt wird, denn auf dem Markt gibt es tatsächlich die größten Perversitäten, die die chinesische Küche so zu bieten hat: Zum Grillen lebendig aufgespießte Skorpione, Heuschrecken und Käfer, die noch lange zappeln, bevor sie dann tatsächlich auf dem Grill landen. Besonders überflüssig grausam waren auch die gegrillten Kükenfetusse. Dazu wird ein Spieß durch ein Ei mit einem beinahe ausgewachsenen Küken gesteckt und das ganze danach auf den Grill gelegt. Wir hatten eigentlich vor, auf dem Markt etwas zu filmen, waren dann aber doch zu abgeschreckt von den Grausamkeiten, mit denen die Spezialitäten zubereitet wurden. Überhaupt scheinen Tiere keinen besonders guten Stand in China zu haben. Dabei ist das Problem nicht mal, dass tatsächlich alles was kreucht und fleucht gegessen wird, sondern vielmehr das Warten auf den Tod in viel zu kleinen Käfigen, Aquarien oder Schaufenstern. Tiere scheinen von vielen in China nicht als fühlende Lebewesen wahrgenommen zu werden. Babyschildkröten kann man in winzig kleinen Döschen an einer Kette auch einfach als kleines Assescoire kaufen. Vielleicht beruhigend ist dabei, dass die meisten Leute, die diese Schmuckstücke kaufen, die Tiere befreien wollen. Wohl auch nicht die beste Strategie, um gegen den Missbrauch der Tiere anzugehen, aber nach buddhistischem Brauch bringt das Befreien von Tieren wohl Glück. Auf der chinesischen Mauer beispielsweise trafen wir eine muntere Familie deren zwei Jungs im Grundschulalter kleine Eidechsen in Plastikflaschen gesperrt hatten. Die armen Tiere wurden in den Flaschen beim Rumtragen und Spielen der Jungs durchgeschüttelt. Auf unser Eingreifen hin, wurde uns erklärt, die Familie habe die Tiere ja nur gefangen, um sie dann zu Hause frei zu lassen. Zum Glück schienen sie ihre Meinung zu ändern und ließen die Eidechsen doch schon auf der Mauer wieder frei.

Auch in Qingdao, unser nächster Aufenthaltsort, war die Grausamkeit an Tieren ein konstanter Begleiter. Qingdao ist bekannt für seine Meeresfrüchte und auch die Fische, Schildkröten und andere Spezialitäten, teilweise schon halb tot im Aquarium, hätten den in China leider nicht existierenden Tierschutz sicherlich interessiert. Ein Tierschutzgesetz gibt es ausschließlich für Wildtiere und beschränkt sich mehr oder weniger darauf, dass vom Aussterben bedrohte Arten geschützt werden sollen. Aber genug von diesen Grausamkeiten und außerdem der Hinweis, dass der pro Kopf Tierkonsum in China immer noch unter dem in Deutschland liegt und daher zumindest pro Person etwas weniger Grausamkeiten geschehen. Übrigens exportiert Deutschland auch fleißig Fleisch nach China. Das Fleisch hatte dann aber bestimmt, vielleicht zumindest in Deutschland noch ein viel, ein bisschen besseres Leben als in China. Wir exportieren aber vor allem Schweinefüße und so Ekelkram, den keiner essen will – da sieht man ja wohlmöglich noch, dass das mal ein Tier war. Der Bedarf an leckeren Schnitzeln, liebevoll in Form gepresst, wird dann einfach importiert. Ganz nebenbei erwähnt, geht außerdem der Fleischkonsum in Deutschland eher runter, während die Fleischproduktion weiter hochgeht. Wenn man sich dabei das Bewusstsein für Tierrechte z.B. in China vor Augen führt, ist das sicherlich auch nicht unbedingt im Sinne des Konsumentendruck, um die Produktionsbedingungen zu verbessern. Und man könnte noch endlos darüber schreiben, wie der deutsche Fleischmarkt für weltweiten Hunger sorgt, aber wie gesagt, vorerst genug von solchen Grausamkeiten.

Wir machten uns also auf den Weg nach Qingdao und mussten dazu erst einmal raus aus Beijing. Das Vorhaben schien schwieriger als zunächst gedacht, zumal es auch noch in Strömen regnete. Nach verschiedenen Bussen und einer Tour durch ein wildes Gebüsch, kamen wir aber schließlich an, an der Straße, die Richtung Osten führte. Sogleich hielt auch ein kleiner roter Landrover mit einer netten Chinesin drin, die aber leider fast kein Wort Englisch sprach. Wir versuchten ihr deutlich zu machen, sie könne uns einfach an ihrer Ausfahrt rauslassen, sie hatte sich aber in den Kopf gesetzt uns weiter zu helfen. „Help you! Help you!“ rief sie immer wieder. Das wurde zu einer etwas riskanten Angelegenheit, da sie auf dem Seitenstreifen geparkt hatte und mit wild fuchtelnden Armen versuchte, ein Auto für uns zu stoppen. Wir überzeugten sie davon, dass wir es auch alleine schaffen würden und machten uns, als sie davon fuhr auf in sicherere Gefilde, wo wir auch kurz darauf schon eine weitere Mitfahrgelegenheit ergatterten.

Als der Abend nahte, waren wir mit einigen weiteren Mitfahrgelegenheiten nach Jinan gelangt. Unsere Begleiter hatten sich auch besondere Mühe gegeben uns weiter zu helfen und hatten an jeder Raststätte gestoppt, um ein Auto für uns zu finden, mit dem wir weiter Richtung Qingdao fahren könnten. Leider blieben die Bemühungen erfolglos. An einer Autobahnmautstation, an der die beiden in die Stadt fuhren, versicherten wir ihnen, wir würden es einfach von dort am nächsten Morgen weiter versuchen, denn es war schon spät abends. Nach langem hin und her und unserem Versprechen wir würden uns an die Polizeistation wenden, zogen unsere beiden freundlichen Fahrer davon und wir uns in die Büsche. Wir haben uns dann einfach trotzdem nicht an die Polizeistation gewandt sondern fanden nach einer kleinen Kraxelpartie die Autobahn runter einen gemütlichen Zeltplatz an einem kleinen Weg. Wie sich am nächsten Morgen, an dem langsam ungewohnt viele ältere Menschen vorbei zuckelten, herausstellte, war unser Zeltplatz nicht nur an einem gemütlichen Weg sondern auch direkt vor einem Friedhof. Einige der älteren Damen und Herren fuhren gemütlich mit ihren Rollern vorbei, andere schlurften hinter ihren Rollatoren. Besonders putzig war eine ältere Dame, die alle Neuankömmlinge mit weit ausholenden Gesten auf uns hinwies und zunächst wohl nicht so erfreut über die nächtlichen Besucher war. Vielleicht dachte sie, wir hätten ein teuflisches Ritual durchgeführt oder ähnliches- bei den Ausländern kann man ja nie wissen. Am Ende lächelte aber auch sie uns freundlich an und reichte uns sogar die Hand, vielleicht auch glücklich darüber nun eine neue Geschichte erzählen zu können. Inwieweit diese der Wahrheit entsprechen würde, konnten wir nur ahnen.

Wir krabbelten also wieder hoch zur Autobahnmautstelle und erreichten am Abend Qingdao. Wir hatten den östlichsten Punkt unserer Reise erreicht. Kurioserweise war Qingdao eine ehemalige deutsche Kolonie und neben einer Brauerei „Tsingtao“, die die Deutschen seinerzeit aufgebaut hatten, gab es auch jede Menge deutsche Gebäude. Wir fühlten uns schlecht, weil es sich etwas gut anfühlte wieder so viel Vertrautes zu sehen, obwohl der Grund für die Anwesenheit dieser vertrauten Gebäude nicht gerade einen glorreichen Teil der europäischen Geschichte wiederspiegelt. Die Chinesen schienen sich aber eher einen Spaß daraus zu machen. So bauten sie eine der Kirchen auch einfach nochmal neu und diese wurde zum beliebten Hintergrund für Hochzeitsfotos. Wir zählten 13 Bräute, die zur gleichen Zeit, mit Ehegatten natürlich, auf dem Kirchplatz posierten. Dies wurde begleitet von stündlich erklingenden elektronischem Glockengeläut vom Kirchturm und Highlight waren auch Fotos vor einem Baum, der ununterbrochen von einem alten Herren geschüttelt wurde. Das gab wahrscheinlich irgendeine Art Special Effect auf den Fotos. Überhaupt schien sich in Qingdao alles um Hochzeitsfotos zu drehen. So entdeckten wir auch eine Art Hochzeitsfotomall. Während die Stadt sich an sich nicht besonders um den Erhalt alter Gebäude zu scheren scheint, waren in dieser Hochzeitsfotomall alle möglichen alten deutschen Gebäude unter einem künstlichen Himmel, der sich von rosarotem Sonnenuntergang bis Sternenhimmel entwickelte, wie in einer Filmkulisse nachgestellt. Auch am Strand in Laoshan war das Hauptmotto schöne Hochzeitsfotos. Es gab auch dort eine Art Fotokulissenpark, mit holländischer Windmühle, Cadillac und allen möglichen anderen Spielereien. Am Strand tanzten Pärchen Hand in Hand durch die Wellen, mit fliegenden Kleidern und lachten der Kamera ins Gesicht. Auch Jeroen und ich tanzten also hüpfend durch die Wellen, um nicht zu sehr als Fremde aufzufallen.

Nicht nur die Kolonialvergangenheit Qingdaos weckte Heimatgefühle in uns. Unsere wunderbare chinesische Couchsurfing Gastgeberin Mia, nahm uns auch mit zu einer Party „Berlin Calling“, versteckt in einer Tiefgarage! Mehr Berlin geht ja kaum, der DJ kam allerdings ursprünglich aus Hamburg. So tanzten wir mit ein paar Tsingtao Bieren die Nacht hindurch und begannen gleich zu Hause ein bisschen weniger zu vermissen. Auch bei Dai, einer weiteren Gastgeberin in Qingdao, bei der wir seit längerer Zeit mal wieder Jeroens niederländische Lieblingsspeise Stampot, eigentlich nur eine Art Kartoffelbrei, aber für einen Niederländer herzerwärmend, kochen konnten, kamen heimatliche Gefühle auf und die begeisterte Erkenntnis: Stampot lässt sich auch mit Stäbchen essen!

Jeroen hatte dann auch die glorreiche Idee in Qingdao eine Beachparty als couchsurfing Event zu starten. Auf Mias Anraten hin, luden wir also so ziemlich alle couchsurfer in Qingdao zur spektakulären Beachparty am Silver Beach ein. Für die meisten eine Anreise von etwa 2 Stunden aus Qingdaos Zentrum. Aber sieh da, sieh da, es kamen sage und schreibe 6 motivierte Partygäste, Mia und wir zwei mit inbegriffen. Dass heißt, zumindest nachdem wir uns alle gefunden hatten. Der Silver Beach war nämlich so abgelegen, dass er ab 7 Uhr abends stockfinster war und wir hatten natürlich weder Kerzen, geschweige denn irgendeine Art von Partybeleuchtung. Wir versuchten dann genaue Beschreibungen von nahegelegenen Lichtpunkten aus zu liefern und schließlich kamen wir alle auf einer Decke zur Beachparty zusammen. Der Abend war nett, es wurde aber nicht getanzt.

In Qingdao warteten wir auf das pakistanische Visum, welches uns die Wiederkehr in den Westen ermöglichen würde. Pakistan ist das einzige Land, über das man Indien auf dem Landweg erreichen kann, doch leider erhält man das Visum nur im Heimatland. Es waren schon zehn Tage vergangen und wir hofften unsere Pässe nach etwa 3 Wochen mit Expressversand wieder in den Händen zu halten. Doch wir hatten unsere Rechnung ohne die unfreundliche Bearbeiterin der pakistanischen Botschaft Berlin gemacht. Die Bearbeiterin zweifelte stark an unserer Intelligenz: „Wie kommt man überhaupt auf die verrückte Idee aus China ein Pakistanvisum zu beantragen!“. Unsere Emails wurden nicht beantwortet und nachdem Linda letztendlich endlich die Bearbeiterin per Telefon erreichen konnte (das war wahnsinnig schwierig mangels stabiler Internetverbindung) und nach den Emails fragte, wurde sie nur angeblafft: „Ich habe ja gar keinen Computer!!!“. Wir verschickten die Emails also erneut, diesmal nicht an die online verzeichnete Adresse der Visa Bearbeiterin sondern an die Adresse der Rezeption, die anscheinend über einen Computer verfügte. Antworten bekamen wir dennoch nicht, aber bei unserem nächsten Anruf zumindest die Information, die Visa Bearbeiterin habe die Email gelesen, es gäbe aber pakistanische Feiertage und daher werde die Bearbeitung sich verzögern.

Wir vertrieben uns die Zeit also damit ein Lied zu dichten und ein kleines Video über unsere chinesischen Foto- und WeChat Erfahrungen zu machen. WeChat, die Chinesen sagen immer weecheeee mit einem begeisterten Lächeln, ist eine Art chinesisches facebook. Da facebook genauso wie google, youtube und vieles mehr in China geblockt ist, haben die Chinesen ihre eigenen Alternativen entwickelt. Mit jedem Foto, um das wir gebeten wurden, häuften sich auch unsere WeChat Bekanntschaften und schon bald hatten wir ein ganzes Bündel WeChat Freunde mit denen wir außer einem netten Selfie leider wenig gemeinsam hatten. Wir waren dennoch erfreut, über die Chinesen, die sich uns auf diese Weise näherten, denn zwar selten aber doch manchmal entwickelte sich auch ein nettes Gespräch daraus.

Nach ein paar Nächten bei Mia, schlugen wir noch für eine letzte Nacht in Qingdao unser Zelt am Golden Beach auf. Vor uns also die wilde See und hinter uns Sand und Luxusappartments. Kurze Zeit darauf realisierten wir, dass die wilde See in der Nacht eventuell unser Zelt überfluten würde und bauten das Zelt also noch etwas weiter hinten auf. Nässe gab es dann nur von oben und nach einem letzten Frühstuck unter einem Strandpavillon machten wir uns hoffnungsvoll auf, unsere Pässe bei Lee Fangs Schwester abzuholen. Der Kurierdienst war leider verspätet, aber Sissy Lee in ihrem Verhandlungsgeschick so professionell, dass wir die Pässe direkt in ein Restaurant geliefert bekamen, in dem wir zusammen mit ihr und einer Freundin, Huiwen Zheng, zu Mittag aßen. Nach etwas mehr als einem Monat hatten wir die Pässe wieder sicher in den Händen. Die Freude war groß!

Sissy Lee war anscheinend von ihrem großen Bruder (der uns nach Beijing gefahren hatte) dazu verdonnert worden, sich so gut wie irgendwie möglich um uns zu kümmern. Gegen unsere großen Proteste organisierten die beiden dann sogar den Einkauf im Supermarkt für uns. Während die eine den Einkaufswagen schob, wuselte die andere durchs Geschäft um die besten Produkte zu finden. Wir hatten viel Spaß mit den beiden und als Höhepunkt halfen sie uns auch noch die letzten Shots für unser WeChat Song Video aufzunehmen. Wir fühlten uns schon schlecht, da die beiden sich so überaus rührend und engagiert um uns kümmerten und so ein paar Stunden in der Uni verpassten. Zu allem Überfluss eskortierten sie uns aber auch noch zu einem super Trampspot an der Autobahnauffahrt. Wir verabschiedeten uns mit großer Dankbarkeit für alle Hilfe und machten uns in Vorfreude auf die Heimat und Wehmut über den Abschied von der Weite des Pazifik und von all den netten Begegnungen so weit im Osten wieder auf in Richtung Westen.

Playing time crisis 5 with Dan
Playing time crisis 5 with Dan
Sunset over Beijing from Dan's balcony
Sunset over Beijing from Dan’s balcony
Graveyard on the way to Qingdao
On the way to Qingdao: only the next morning did we realise we had pitched our tent near a graveyard
Arrived in Qingdao with Chenchan
Arrived in Qingdao with Chenchan
Picture of someone taking the picture
Picture of someone taking the picture in Laoshan: Moment of inspiration for the WeChat song
From Atlantic to Pacific: our furthest point away from home
From Atlantic to Pacific: our furthest point away from home
Eating chopstick stamppot with Dai
Eating chopstick Stampot with Dai
Wedding photography Qingdao church
Wedding photography Qingdao church
Jeroen under the sky in the wedding photo mall
Jeroen under the sky in the wedding photo mall
People collecting something from the stones in Qingdao
People collecting something from the stones in Qingdao
Man floating Qingdao
Man floating Qingdao
Trying Mia's beauty masks
Trying Mia’s beauty masks
Lunch with Sisi and Huiwen
Lunch with Sisi and Huiwen