Von Autobahnauffahrten und Raststätten

China, Oktober 2016

Iiiieeeeehtschschschsch! Mit quietschenden Reifen hielt ein Abschleppwagen vor uns mitten auf der Autobahnauffahrt. Wir hatten uns gerade erst an die Straße gestellt und die Freude war groß. Ein bisschen groß war auch die Angst. In China scheint es einen typisches Phänomen zu sein, zum Anhalten nicht etwa auf den Seitenstreifen zu fahren sondern einfach sofort dort, wo die Entscheidung zum Anhalten getroffen wurde, kräftig auf die Bremse zu drücken. Wir hüpften also schnell in die Kabine und hofften, der Fahrer würde uns südlich raus aus Qingdao in die richtige Richtung bringen, wo wir dann auf die Autobahn Richtung Xi’an wollten. Das schien auch erst so zu sein, aber der Fahrer musste noch kurz einen Abschleppauftrag erledigen. Wir fuhren also nochmal einen Umweg, um einen liegengebliebenen LKW abzuholen. Schon als wir das große voll gepackte Fahrzeug sahen, ahnten wir warum wohl gerade dieser LKW liegen geblieben war. Er schien hoffnungslos überladen und unser kleiner Abschleppwagen davon leider hoffnungslos überfordert.

Der Fahrer versuchte es trotzdem drei Stunden lang mit aller Kraft und allen Mitteln. Als er schließlich aufgab, entschlossen wir uns auch aufzugeben, da es schon sehr spät war und fuhren nur noch wieder mit zurück zur Straße, an der wir am nächsten Morgen weitertrampen wollten. Es regnete und wir hatten Schwierigkeiten, einen Zeltplatz zu finden, der nicht komplett schlammig war. Wir fanden einen Feldweg, der glücklicherweise bis zum nächsten Morgen nicht befahren wurde und stellten uns wieder an die Straße. Ein Pärchen hielt und nahm uns wohlwollend mit, zu unserem Schrecken und leider gegen unseren Willen wieder nach Qingdao. Obwohl wir mit Kräften und sogar ein paar Englisch sprechenden Bekannten der Beiden vehement versuchten sie davon abzuhalten uns weiter in die Stadt zu fahren, wurden wir kurz darauf an einer Bushaltestelle abgesetzt. Die Beiden hatten es gut gemeint, doch wir standen jetzt vor der schwierigen Aufgabe irgendwie wieder zurück zur richtigen Straße zu finden.

Zum Glück wurden wir schon kurz darauf von einem sich scheinbar pathologisch anfauchenden Pärchen, die sich aber trotzdem sehr lieb zu haben schienen, mitgenommen. Zuerst kurioserweise zu ihrem Frisörssalon. Jeroen überlegte schon, ob das Schicksal ihn vielleicht dorthin gebracht hatte. Wir entschieden uns aber gegen diese Erklärung und die Mäne wächst fröhlich weiter. Nach viel google translate und einer witzigen Pantomimesession, in der wir versuchten, unsere Reiseabsichten zu verdeutlichen: Autofahren, Auto stoppen, Einsteigen, Nett quatschen, aussteigen, Autofahren, nächstes Auto stoppen… und der Mann, der uns mitgenommen hatte, sich als wahres Pantomimetalent herausstellte, er brachte es fertig, den kompletten Zyklus mit erstaunlichem Ausdruck nachzuspielen, brachte er uns zur Autobahnauffahrt. Der Rest der Strecke ging dann wie geschmiert.

Der Weg wurde sozusagen zum Raststättenhopping mit vielen wahnsinnig freundlichen Chinesen und zur Mittagszeit wurden wir dann auch gleich von einem Restaurantmanager an einer Raststätte zum Mittagessen eingeladen. Wir blieben eine große Attraktion an den Raststätten: Der Restaurantbesitzter wurde dadurch belohnt, dass wir viele Chinesen anzuziehen schienen, die sich nicht scheuten sich extra so hinzusetzen, dass sie uns bestaunen konnten. An einer anderen Raststätte an der wir uns bloß kurz an den Parkplatz gesetzt hatten, um unsere nächsten Schritte zu planen, kam spontan ein Chinese vorbei und drückte uns beiden ein Eis in die Hand! An einer anderen Raststätte musste ein kleiner Junge, der wohl in der Schule etwas Englisch gelernt hatte, herhalten, um die Neugierde der gesamten Anwesenden an der Raststätte zu befriedigend. Mit leichtem Druck seiner Mutter, die ihn vorschubste, versuchte er dann herauszufinden, woher wir kommen, wo wir hinwollten, wie alt wir sind und wie wir heißen. Auf unsere Fragen seinerseits zu antworten, schien den armen Kerl, der ohnehin schon krebsrot angelaufen war, aber dann doch hoffnungslos zu überfordern. Wir freuten uns trotzdem über die nette kleine Unterhaltung.

Autobahnauffahrten und Raststätten, das war was wir am meisten sahen auf der Strecke nach Xian. Bis auf eine nette Ausnahme als Leiluo und Shandong uns, nach einer Nacht neben der Raststättentoilette (das hatten wir erst am nächsten Morgen gemerkt) in Heze, spontan zum Mittagessen einluden und uns eine Tour durch Zhengzhou gaben, wo sie uns dann auch wieder zur Autobahnraststätte brachten.

Auf die Nacht neben der Raststättentoilette folgte eine deutlich nettere Nacht. Von einem älteren Pärchen wurden wir an der Autobahnauffahrt in Sanmenxian abgesetzt. Es war schon spät abends und so machten wir uns auf die Suche nach einem Zeltplatz. Direkt entlang der Autobahn fanden wir ein kleines Dorf. Auf dem Dorfplatz waren gerade alle Leute zum allabendlichen Gemeinschaftstanz versammelt doch wir zogen weiter, tiefer ins Dorf. Das Dorf war etwas skuril. Unglaublich viele halbfertige Häuser, die aussahen, als hätte dort schon seit Jahren keiner mehr einen Finger gerührt. Die Felsen, die das Dorf umgaben, waren mit Eingängen zu Minenschächten gespickt, von den allerdings viele nicht mehr in Gebrauch schienen. Ein kleines chinesisches Mädchen folgte uns ein Stück mit ihrem großen Bruder. Während der sich aber scheu mit seinem Fahrrad von dannen machte, fing die kleine mutig an, in ihrem Schulenglisch mit uns zu quatschen. Mit ein paar chinesischen Wörtern konnten wir ihr dann auch deutlich machen, dass wir einen Zeltplatz suchten. Die Kleine verstand und holte sogleich ihre Mutter zur Hilfe. Nach Absprache mit ein paar Nachbarn, wies diese dann auf eine unfertige Garage und schlug vor, wir könnten dort unser Zelt aufschlagen. Schon kurze Zeit später kam sie dann mit einem Besen, um die Garage auszufegen. Sie betrachtete uns mit ihrer Tochter beim Zeltaufbau und es kamen auch immer wieder ein paar neugierige Dorfbewohner schauen. Wir fühlten uns willkommen. Die nette Dame brachte uns dann auch noch eine Kerze und ein paar Äpfel. Am nächsten Morgen leistete uns ihr Nachbar immer wieder Gesellschaft. Zuerst brachte er uns heißes Wasser. Chinesen lieben heißes Wasser! Heißes Wasser wird mit Vorliebe getrunken und ist ein Allheilmittel für alle, wirklich alle möglichen Krankheiten. Wir gossen uns davon dann ganz ketzerisch einen Kaffee auf und schon kurze Zeit später tauchte der nette Nachbar wieder auf und brachte uns ein paar zuckersüße Kakis. Wir bekamen dann so nach und nach auch noch Äpfel, Mondküchlein und anderes Gebäck und verabschiedeten uns schließlich in großer Dankbarkeit.

An diesem Tag erreichten wir Xian und hatten ein paar Tage, bevor wir unseren Zug nach Urumqi nehmen würden, um diese mit chinesischer Historie übersäte Stadt zu bewundern. Am meisten trieben wir uns wohl im muslimischen Viertel rum, um das Chaos in den kleinen Gassen zu bestaunen. Dort schieben sich Rikschas, Menschen und Motorräder zwischen allerlei interessantem Essen aneinander vorbei. Wir stolperten auch in das chinesische Herbstfest in Xians Stadtpark, in dem wir ein paar schräge traditionelle chinesische Performances mit noch schrägerem traditionellen chinesischen Gesang bewundern konnten. Noch jetzt klingen uns die Ohren vom Geheule der verrückten Gestalten mit übergroßen Köpfen, die allem Anschein nach chinesische Ahnengeister waren.

In Xian begegneten wir auch dem ersten Mal dem chinesischen Smog und machten uns lächerlich in dem wir sogleich mit ein paar Mundschutzmasken herumliefen. So begrüßten wir dann auch Kai, einem Couchsurfer, der sich die Zeit nahm, uns die Stadt zu zeigen. Kai wusste als chinesischer Polizeibeamter und Parteimitglied spannende Geschichten zu erzählen. Er berichtete von den abgeschlossenen Waffen in der Polizeistation. Die Polizei sei wenn dann nur mit Gummiknüppeln unterwegs. Schusswaffen würden nicht gebraucht und die halbe Polizeistation habe eh schon vergessen wo der Schlüssel für den Waffenschrank liege. Kai lieferte uns ein freundliches Bild der chinesischen Polizei und gleichzeitig ein paar paradoxe Einsichten in den Kopf eines chinesischen Parteimitglieds. Er schwärmte von Marx, aber auf unser Drängen hin, doch bitte zumindest einen politischen Grundsatz zu nennen, welche die chinesische Partei im Marxistischen Sinne umsetzte, konnte Kai keinen nennen, was ihn aber nicht davon abhielt weiterhin standfest zu behaupten, China sei kommunistisch ausgerichtet und an Marx orientiert. Wir fühlten uns an den putinschen Reflex erinnert und vermissten das liebe Russland ein bisschen. Doch für uns ging es weiter nach Urumqi. Diesmal mit dem Zug, was die Sehnsucht nach Russland noch verstärkte. Während die russischen Züge ein Beispiel an Gemütlichkeit und Geselligkeit sind, spannten die chinesischen Züge unsere Nerven zum Zerreißen. Wenn die Lautsprecher, über die chinesische Katzenjammermusik dröhnte (nicht unähnlich zu der im Park gehörten), gerade einmal nicht ertönten, bemerkte oft schnell der ein oder andere Passagier die Stille und füllte diese mit Gejaule aus dem eigenen Telefon. Zum Glück hatten wir aber auch einige nette Mitreisenden, die uns mit chinesischen Datteln und netten Gesprächen versorgten Die Nacht war ruhig und so erreichten wir am nächsten Morgen in der Früh doch einigermaßen ausgeruht Urumqi.

Linda with Leiluo and Shandong in Zhengzhou
Jeroen with Leiluo and Shandong in Zhengzhou
Jeroen sitting in the typical Chinese squatting position in the „village under the bridge“ near Sanmenxia
Park in Xi’an
Our first taste of the infamous Chinese smog in Xi’an
Xi’an streetfood
Xi’an by night