Andersartigkeiten

Beijing, September 2016
Da wir in Beijing leider zunächst keinen Couchsurfing host gefunden hatten, machten wir uns auf die Suche nach einem Hostel, denn es war schon Mitternacht. Doch oh schreck! Alle Hostel waren entweder schon voll, zu teuer oder nahmen nur Chinesen auf. Eines der Hostel erlaubte uns das Internet zu nutzen und so fanden wir dann doch ein paar Hotels, die angeblich noch Platz hatten. Doch wir hatten unsere Rechnung ohne das chinesische Internet gemacht. Blauäugig hatten wir keinen vpn Klienten vor unserer Einreise installiert, um die ums Internet gebaute chinesische Mauer zu durchbrechen. Noch unfähig die chinesische google Alternative, baidu und deren entsprechende Karte zu nutzen und mit unserer offline open source map nur falsche Orte anzeigend, suchten wir nach diesen angeblich noch freien Hotels. So streiften wir verzweifelt durch die Straßen, bis wir schließlich doch ein Hotel fanden, in dem wir vorher online ein Zimmer gebucht hatten. Nachdem die Leute dort uns dann eigentlich trotzdem nicht rein lassen wollten, aber aufgrund unser online Reservierung wohl irgendwie mussten, konnten wir endlich in die Betten sinken und schlafen.

Am nächsten Tag hatten wir dann unsere erste Begegnung mit einem English sprechenden Chinesen. An der Hotelrezeption, gerade am Einchecken während wir auscheckten, befand sich eine kleine Gestalt mit großer Brille, blauem T-Shirt, gelben dreiviertel Shorts und grünen Crocs und stellte sich uns sogleich als „Captain China“ vor. Captain China war vieles. Er verstand sich selbst als Touristenbegleiter, Standup Comedian und Bierkenner und wir konnten gleich mehr oder weniger in den Genuss aller drei Eigenschaften kommen. So lud Captain China uns, nicht bevor er ein paar schlechte Witze über die Deutschen gemacht und die Niederländer gepriesen hatte, in den kleinen Laden gegenüber des Hotels ein. Wir wollten Kaffee, gab’s aber nicht. Also versuchten wir es mit Tee und mussten schockiert feststellen, den gab’s auch nicht! Kein Tee in China! Es gab aber selbstgemachten IPA und obwohl uns um 10 Uhr Morgens eigentlich eher nicht der Sinn nach Bier stand, probierten wir gerne einen Schluck, den uns der nette Besitzer, Hersteller und Verkäufer zugleich, anbot. Der quirlige Captain China indessen nippte an seinem halben Liter, versuchte immer wieder ein paar schlechte Witze zu machen und erzählte uns über Beijing und China. Als das Gespräch zu einigen kritischen Punkten über die chinesische Politik schweifte, merkte Captain China nur zerknirscht an „Ich habe keine Wahl…“. Richtig, in China gibt es zwar eine Wahl, aber nur eine Partei die man wählen kann. Obwohl wir das Gefühl hatten, in China mehr Leute zu treffen, die zumindest ein klein bisschen kritisch gegenüber der Regierung waren, war der Vergleich zu Russland aus einem anderen Grund besonders spannend. Nach unseren Maßstäben ist die chinesische Regierung zwar vielleicht noch schlimmer als die russische, im Sinne der Einschränkung von Menschenrechten, aber ein entscheidender Unterschied hierbei ist: Den meisten Leuten in China geht es wirtschaftlich viel besser, als noch vor 20 Jahren. Das war für uns eine neue Dimension. Es fiel leichter eine Akzeptanz der Regierung hinzunehmen, wenn man die wirtschaftliche Entwicklung in China in den letzten Jahrzehnten betrachtet. Für viele Leute hat sich wirklich viel verbessert.

In Beijing trafen wir auch Owen, der als chinesischer Reporter für die in China verbotene New York Times arbeitet und bekamen so noch einen tieferen Einblick in die Restriktionen, die die chinesische Regierung der Meinungsäußerung auferlegt. Für Owen war klar, über kritische Themen könne er nicht schreiben. Als ausländischer Journalist in China sei das vielleicht noch möglich, das schlimmste, was dann passieren könne, sei des Landes verwiesen zu werden. Einen chinesischen Reporter könne das Gefängnis oder Schlimmeres erwarten. Für Owen, etwa Mitte zwanzig, war auch klar: Mit dreißig wolle er den Journalismus an den Nagel hängen, zu gefährlich, kaum Geld oder alternativ nur regierungskonform berichten.

Kurioserweise war das Leben für Mike, der uns dann doch noch über couchsurfing einlud, verhältnismäßig luxuriös. Mike arbeitete als Herausgeber für eine englischsprachige zensierte chinesische Tageszeitung China Daily und hatte so als amerikanischer Journalist in China mehr Glück als sein chinesisches Gegenüber. So konnten wir sehr komfortabel ein paar Nächte bei Mike bleiben und Vorbereitungen für die pakistanischen Visa treffen. Diese sind nämlich nicht nur deshalb nicht leicht zu kriegen, da man sie nur im Wohnsitzland, sprich Deutschland, beantragen kann, sondern auch da die zuständige Bearbeiterin in der Berliner Botschaft eine Kunst daraus entwickelt hat, so unfreundlich und wenig hilfsbereit wie möglich zu jedem zu sein, der auf die absurde Idee kommt, aus China ein Pakistanvisum beantragen zu wollen. Doch nach einer Weile war alles organisiert, die Pässe per Express nach Deutschland geschickt, in der Hoffnung diese dann in drei Wochen bei Sisy Lee, der Schwester des Porschefahrers an der chinesischen Ostküste in Qingdao wieder abholen zu können.

Beijing war wie schon China an sich, anders als erwartet. Wir hatten eine verrauchte Smogwolke über der Stadt erwartet aber wurden von einem strahlend blauem Himmel begrüßt. Der blaue Himmel schien für uns aber willkommener als für so manche Chinesin. Viele Chinesinnen scheinen besessen zu sein mit heller Haut, die hier noch als eine Art Statussymbol für Wohlstand und gute Herkunft steht. Trotz der Wärme waren viele mit Handschuhen, Tüchern grossen Hüten und Schirmen ausgestattet, um sich vor der Sonne zu schützen. Wir hörten so auch das erste Mal vom Facekini einer Art Badekappe, die man sich über das Gesicht ziehen kann. Damit sieht man dann zwar aus wie ein schwimmender Bankräuber, ist aber vor der bösen Sonne komplett sicher.

Anders als erwartet war auch, dass wir davon ausgingen in eine pulsierende Millionenstadt mit verrückten Hochhäusern zu kommen. Beijing hingegen war vor allem durch kleine Gassen um traditionelle Wohnblöcke, Hutongs, gekennzeichnet. Hier hing die Wäsche an den Stromleitungen und schnell konnten wir auch eine weitere chinesische Eigenart beobachten. Nackte Kinderpopos! Viele chinesische Familien statten ihre Kleinsten nicht mit Windeln aus, wer will auch schon gern Plastik um den Hintern sondern schneiden ganz einfach große Löcher in die Hosen der Kleinen, natürlich hübsch vernäht. So werden die kleinen Popos dann immer frisch vom Wind umweht und wenn einer muss, wird er oder sie einfach schnell, zumeist von den Großeltern, die in der Regel die Kinderbetreuung übernehmen, über ein Beet, hinter ein Auto oder über eine Mülltonne gehalten.

In China geht es schon früh in die Rente. Die Mitfünfziger und älter kann man daher entweder mit den Enkelkindern im Park, aber auch alleine Tai Qi und Dehnübungen machend beobachten. Die Flexibilität vieler älterer Leute ist dabei extrem beeindruckend. 70-80 jährige schwingen mit Leichtigkeit mal ein Bein über ein Brückengeländer. Ein weiterer gern geübter Sport scheint auch das „Abrollen“ zu sein. Dabei bediene man sich bestimmter Fitnessgeräte und rolle alle Körperteile mal kräftig darüber. Besonders witzig war dabei, eine ältere Dame zu beobachten, die Sage und Schreibe 15 Minuten ihren Allerwertesten auf einem Fitnessgerät abrubbelte. Die Rentner kann man auch in großen Gruppen fesch tanzend im Park, vor Einkaufszentren oder auf öffentlichen Plätzen beobachten. Das Tanzen in Gruppen scheint in China groß angesagt zu sein. So rufen auch die Schulen nach dem Morgenmanöver zum Tanz auf, wie wir jeden morgen aus Mikes Wohnung bezeugen konnten. Aus lauten Boxen schallt die Musik während die Kinder fröhlich in ihren blauen nach Jogginganzügen aussehenden Schuluniformen dazu auf und ab hüpfen.

Mike nahm sich trotz seiner Arbeit viel Zeit für uns. Er zeigte uns verschiedene Ecken der Stadt, nahm uns mit zu den Seen und weihte uns in die Welt des Scopens ein. Das ist ein Art live Video Übertragung, von dem was man gerade so macht. Mike nahm uns mit zu einem Spaziergang zu den Seen in Beijing und wir waren online. Das Scopen bestand darin einen Teil des Spaziergangs zu filmen, vor allem aber aktive Konversationen mit den Followern zu führen. So begrüßte Mike jeden der sich dazu schaltete persönlich und fragte viele nach ihrem Befinden. Mike hat eine große Followergemeinde und kann sich darüber sogar ein kleines zusätzliches Einkommen sichern. An diesem Tag hatten die Fans besonderes Glück, denn wir stolperten plötzlich in eine kleine Live Performance. Neben dem Tanzen in großen Gruppen, scheint in China wohl auch angesagt, kleine Sing-, Verkleide- und Tanz- Performances zu starten. Das Ganze nicht etwa für Geld sondern einfach nur so zum Spaß. Der chinesische Gesang ist ziemlich interessant aber für die armen westeuropäischen Ohren als stark gewöhnungsbedürftig zu bezeichnen. Milde ausgedrückt glich das ganze einem Katzenjammer.

Mike nahm uns auch mit auf die Abschiedsparty eines brasilianischen Freundes, dass ein brasilianisches Diplomaten/Journalisten Pärchen für diesen organisiert hatte. Wir fanden uns umgeben von brasilianischen Diplomaten in einer schnieken Wohnung wieder und wurden mit leckeren kleinen Häppchen gefüttert. In dem Gebäude waren neben Diplomatenwohnungen auch viele kleine Botschaften untergebracht und wir hatten schon Hoffnung das ganze Pakistanvisumsgetu vielleicht doch noch über persönliche diplomatische Kontakte umgehen zu können. Leider zerschlug sich diese Hoffnung schnell und die Party war auch bald vorbei, da die Diplomaten sich um den G20 in Schanghai am nächsten Morgen kümmern mussten.

Für uns stand am nächsten Morgen bloß der Besuch der verbotenen Stadt an, die so überfüllt war, dass wir eher das Leben einer Sardine in der Büchse als das der chinesischen Kaiser nachempfinden konnten. Zumindest führte das allgemeine Chaos dazu, dass wir etwas weniger auffielen und so von vielen Fotos verschont blieben. Ansonsten waren wir gern geschossene Fotoobjekte. Vor allem natürlich Jeroen mit seinen fast zwei Metern. So versammelten sich kichernde Mädchen unter ihm in der U-Bahn und versuchten heimlich im Selfiemode ein Foto mit ihm zu ergattern. Ein beliebter Trick für die Schüchternen war auch der Handy-hinter-Zeitung-Fotomachmodus (HhZF) oder haarscharf-vorbeilaufen-Freundin-tut-so-als-ob-sie-gar-nicht-die-Fremden-sondern-nur-mich-fotografiert-Fotomachmodus (hvFtsaosgndFsnmfF). Freundlicher waren die Mutigeren, die sich uns mit etwas Small Talk annäherten und dann fröhlich mit einem, zwei oder drei Fotos auf der Kamera davon zuckelten. Insgesamt war die Neugier mancher Chinesen, eine sehr nette Neugier und wir waren froh, auch wenn es vornehmlich um das Foto ging, über dieses Medium mit vielen netten Leuten kurz ins Gespräch zu kommen.

Während wir also so durch die Gassen Beijings strichen und zwischendurch in die Kameras lächelten, merkten wir, dass es eine weitere chinesische Eigenart gab, vor der es sich zu hüten galt. Hier heißt es Ohren auf, wenn man einen Chinesen überholt! So hört man das Warnsignal, wenn aus dem tiefsten inneren Speichel und Schleim heraufgeholt und ohne Rücksicht auf Verluste mit Schmackes zur Seite gespuckt wird. Wir konnten diesen Minigeschossen geschickt entweichen, allerdings berichtete Mike, er habe auf dem Roller beim Überholen mal die volle Ladung ins Gesicht gekriegt. Der nichtsahnende Chinese von dem der Angriff ausgegangen war, verstand natürlich nicht warum dieser große schwarze Mann ihn mit wild fuchtelnden Gesten anfauchte und fuhr bloß etwas verwirrt aber unbekümmert von dannen.

Trotz all der Andersartigkeiten, waren aber auch hier die Ähnlichkeiten viel offensichtlicher. Wir begegneten unglaublich vielen freundlichen Leuten und einer großen Hilfsbereitschaft. Obwohl es sich in Beijing für uns mit erstaunlich klarem Himmel und einem göttlichen Essensangebot durchaus aushielten ließ, fühlten wir uns verpflichtet auch die wohl berühmteste Sehenswürdigkeit Chinas, die chinesische Mauer zu besuchen und machten uns so nach ein paar netten Tagen mit Mike auf, die chinesische Mauer zu erkunden.

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Jeroen eating ice cream
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Multimediametro
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Inside the Hutong
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The lakes
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Laundry and chaos
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Lotus in Beihai park
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Mao in front of forbidden city
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Overcrowded forbidden city
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Shopping street in the rain
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Traffic
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Child in front of temple of heaven
Zebracrossing
Zebracrossing