Vampire und noch mehr Palinka

Rumänien, Mai 2016

Palinka zum Frühstück, das hat man auch nicht alle Tage. Genauso wenig wie ein Gratis Hotelzimmer am Fuße Draculas Schlosses. Naja, Draculas Schloss ist wohl eher die abgespeckte Halloween Attraktion für Touristen, aber immerhin. So dekadent geschlafen und gegessen wie hier haben wir wohl seit Beginn unserer Reise vor einem Monat nicht mehr. Gelandet sind wir hier durch ein paar Zufälle und vor allem durch die Gastfreundlichkeit von Maia und ihren Eltern, die hier eine Pension betreiben. Die Qualität unserer Unterkünfte könnte man wahrscheinlich seit wir in Rumänien sind als stetig gestiegen betrachten.

Zunächst wurden wir von Krisztian, der vor etwa einem Jahr als Couchsurfer bei uns in Berlin zu Gast war, in Cluj-Napoca aufgenommen. Krisztian passte derzeit gerade auf die zwei Zimmer Wohnung eines befreundeten Paares auf und darüber hinaus auf deren 10 Katzen. Umso netter, dass er auch noch uns mit versorgte! Wir entschieden uns allerdings auf dem Küchenfußboden, dem einzigen katzenfreien Raum, zu übernachten. Unter den Katzen herrschte nämlich Krieg. Die zwei Bewohner des kleineren Zimmers vertrugen sich nicht mit den acht Bewohnern (Menschen nicht mitgezählt) des größeren Zimmers. Das führte dazu, dass wir eine Katzenabwehrstrategie zum Durchqueren der Wohnung entwickeln mussten: Wohnungstür auf, schnell durchschlüpfen, Wohnungstür zu. Ein paar der acht Katzen zur Seite schieben, Küchentür auf, schnell durchschlüpfen, Küchentür zu. Die gleiche Prozedur zum Bad. Verkompliziert wurde die Lage, wenn man das kleine Zimmer mit den zwei Katzen der anderen Front betreten musste. Hier hieß es dann auf beiden Seiten vermeiden, dass eine der Feindparteien, die Linie überschritt, sonst gab es großes Gefauche. Umso schöner war es daher in Cluj im botanischen Garten frische Luft zu schnappen und mit Krisztian als persönlichem Führer die Stadt zu erkunden!

Nach zwei Nächten machten wir uns dann auf in das „Zigeunerdorf“ Huedin, um von dort weiter auf eine kleine Gemüsefarm in Rachitele zu trampen. Von Cluj gab es nicht viel Verkehr, da die Stadt wegen des orthodoxen Ostersonntag wie leer gefegt war. Schließlich stoppte aber doch ein kleiner Transporter für uns. Der überaus nette Fahrer erklärte uns er sei auf dem Weg nach Belgien. C.a. 2 000 km. Ohne Pause. Zum Glück befand er sich noch am Anfang seiner Reise als wir zustiegen. Er zeigte uns auch seine 2 l PET Flasche mit starkem Kaffe um unsere Bedenken bezüglich seines Vorhabens zu zerstreuen.

In Huedin angekommen nahm uns auch sogleich eine Truppe lustiger Jungs mit zur Kreuzung in Calata. An diesem Tag hatten wir für rumänische Verhältnisse noch erstaunlich wenig Trampkonkurrenz. In Cluj stehen teilweise bis zu 20 Leute am Straßenrand um mitgenommen zu werden. Dabei ist es nicht unüblich ältere Damen, die wohl die 70 längst überschritten haben, in der Hoffnung auf eine Mitfahrgelegenheit mit einer Einkaufstasche am Straßenrand stehen zu sehen. Den Daumen hochzuhalten, scheint dabei überflüssig und das Zeichen für kurze Strecken sei laut Krisztian sowieso eher ein kurzes Wedeln mit der Hand.

Von Calata aus nahm uns dann ein Pärchen auf Urlaub mit. Sie wollten sich den Wasserfall in Rachitele anschauen. Er, Rumäne wohnhaft in England, sie, Ungarin, wohnhaft in Rumänien. Wir waren erstaunt, als wir hörten, dass unser Fahrer seine Karriere als Priester in Rumänien aufgegeben hatte, um in London als Klempner zu arbeiten. Die Begründung: „Die Bezahlung war einfach scheiße in Rumänien.“ Seine christliche Ader schien aber dennoch durchzukommen als er versuchte uns direkt zur Farm zu bringen und uns dafür mit Karacho, Mut und dem klapprigen Mazda seiner Freundin in Rachitele den falschen Hügel hochfuhr. Wir versichertem ihm daraufhin, wir könnten die Farm auch sicherlich zu Fuß erreichen, bereuten aber schon kurz danach unsere Entscheidung. Nach dem verhältnismäßig leichtem Weg den falschen Hügel runter, hieß es nämlich kurz danach den richtigen Hügel mit unserem Gepäck etwa drei Kilometer mehr oder weniger steil bergauf zu gehen.
Auf der Farm war Osterfest und Guillaume, ein netter Franzose, der an einem zweimonatigen Schäferprogramm in Rachitele teilnahm und seine Sonntage zum Sozialisieren auf der Farm verbrachte, hatte ein Lamm ausgesucht, dass jetzt im Topf schmorte. Unsere Bemühungen uns überwiegend vegetarisch zu ernähren wurden damit sogleich wieder zerschlagen. Auf der Farm musste hart gearbeitet werden und gutes Essen ist dafür wichtig. Die Kochkünste der Dame des Hauses waren exzellent, wobei wir auch schnell das Selberkochen vermissten. Auf der Farm herrschte nämlich wie der Herr des Hauses, es beschrieb „ein totalitäres Regime“. Neben der Arbeit im Garten und am Haus, die viel Spaß machten und bei der wir von den beiden sehr viel über biologisches Gärtnern und über traditionelle Baumethoden gelernt haben, wurden uns auch noch ein paar Lebensweisheiten mit auf den Weg gegeben „Gib den Leuten Palinka und sie arbeiten hart und bleiben lange“, wie der Herr des Hauses bei unserem Abschied verkündete. Nicht nur der Palinka sondern vor allem auch die netten Abende mit den anderen Knecht…ähm Freiwilligen mit Lagerfeuer und Gitarrenmusik haben den Aufenthalt in Rachitele sehr schön gemacht und wir nehmen viele positive Erinnerungen mit. Es ist bewundernswert wie unsere Gastgeber so vieles mit den Helfern teilen und so gut in die Nachbarschaft eingebunden sind. So war eine unserer Aufgaben vom einsamen Abraham Milch zu holen, wobei wir des Öfteren mit einem Glas Palinka beglückt wurden. Obwohl Abraham ausschließlich Aufmerksamkeit für seine weiblichen Besucher zu haben schien, bekam auch Jeroen immer einen Schluck Palinka ab.

Ein Highlight war auch der Besuch des Marktes in Huedin. Dort luden uns ein paar hübsch gekleidete Romamädchen, die ihre Ferien aus Irland in einem der vielen „Zigeunerpaläste“ in Huedin verbrachten, ein, ein paar Fotos von ihnen zu machen und erkundigten sich über unsere Reise. Auch danach in der „Zigeunerbar“ machten wir ein paar nette Bekanntschaften. Wir musizierten mit ein paar Zigeunern auf einem unglaublich verstimmten Keyboard (wir wussten vorher nicht, dass ein Keyboard verstimmt sein kann)  und wurden von einem Rumänen auf ein Bier eingeladen. Um 11.30 Uhr und mit nur einem Müsli im Magen war das zweite Bier eigentlich keine gute Idee aber wir unterhielten uns mit unserem Gesprächspartner sehr nett auf Spanisch, dem kleinsten geneinsamen Nenner bezüglich unserer Sprachkenntnisse. Auch hier bestätigte sich unser Eindruck, dass Zigeuner in Rumänien einen sehr schweren Stand haben. Obwohl Zigeuner und andere Rumänen in Huedin verhältnismäßig friedlich zusammen zu leben scheinen, haben wir bis jetzt keinen einzigen Rumänen getroffen, der nicht negativ über Zigeuner gesprochen hat. Lösungen dafür scheinen nicht in Sicht zu sein. Die Zigeuner mit denen wir uns in Huedin unterhalten und kurz musiziert haben, waren dennoch sehr freundlich zu uns! Am Anfang ist es uns schwer gefallen, die Sinti und Roma als Zigeuner zu benennen. Da wir aber keine Ahnung haben, was die korrekte Bezeichnung wäre und wir aus verschiedenen Quellen gehört haben, ist doch egal wie du uns nennst, Hauptsache du bist freundlich, fällt uns das mittlerweile in Rumänien etwas leichter.

Huedin haben wir jetzt weit hinter uns gelassen und liegen in unseren gemütlichen Hotelbetten. Wir danken mittlerweile dem Mann in Unirea, der unsere Bitte bei ihm im Garten zu campen abschlug, woraufhin wir uns wieder an die Straße stellten und Maia, Vater Constantin und Bruder Constantin uns weiter mit nach Osten nahmen.

Cluj mit Krisztian
Cluj
Cluj
Rachitele
Rachitele
Fashion in the hills
Fireman fashion in the hills
Philosophical fashion on the loo
Philosophical fashion on the loo
Volunteers
Freiwillige
Market in Huedin
Markt in Huedin

Auf nach Rumänien

29 April 2016 Cluj, Rumänien

Das Eisbärkalb schien sich stärker an uns gebunden zu fühlen, als andersrum. Am Tag unseres Abschieds vom Ende der Welt, galoppierte der weiße Sturm fröhlich vor uns her. Zu dritt wäre es wahrscheinlich sogar in Polen schwierig zu trampen. Zum Glück ertönte bald ein rettender Pfiff aus unserer letzten Unterkunft und das dritte Rad schoss davon. Wenig später schaukelten wir auch schon gemütlich weiter in der Kabine eines polnischen LKW Fahrers.

Ein wenig bedrückt erklärte unser nächster Fahrer, dass wir, von den 5 Sprachen, die er sprach, keine verstehen konnten. Dennoch reichte ein Lächeln und eine Handbewegung aus, zu verstehen, was soeben am Grenzübergang zur Slovakei geschehen war. Anscheinend ist eine schwarz-weiße Priesteruniform ein prima Ersatz, wenn man nicht den nötigen Fahrzeugschein bei sich hat. Denn wenig später wurden wir schon durchgewunken.

Während trampen in Polen leicht von der Hand ging, mussten wir uns in der Slowakei etwas mehr anstrengen. So bekamen wir zwar das ein oder andere Lächeln geschenkt, als wir unsere Geheimwaffe, die Ukulele, zum Vorschein holten und die Straße mit Musik beglückten, aber leider keinen Lift. Muss wohl am Ort gelegen haben, denn ein Dorf weiter hielt doch schnell jemand an und lud uns auch gleich zum Übernachten ein.

So ging es nach vier Tagen Wildnis unter eine warmen Dusche und zu Pizza und Palinka über. Ganz viel Palinka. Ein Onkel schräg gegenüber betrieb seine eigene kleine Destillerie und demonstrierte uns, unter reichlichem Palinkaverzehr, die Kniffe und Tricks des Destillierens.

Während des Frühstücks am nächsten Morgen, wo wir mit Mühe einen Tee und Joghurt herunter bekamen, wurde uns klar, dass wir noch viel trainieren mussten, um für Russland gewappnet zu sein.

Mit einem Liter Palinka unterm Arm und selbstgemachter Blaubeermarmelade im Rucksack, bekamen wir dann auch noch eine Fahrt nach Prešov. Das Einzige was dem gegenüberstand war unser Versprechen noch einmal zurück zu kommen um von unseren Erlebnissen zu berichten.

Von Prešov war es nur noch ein kleines Stück nach Košice, wo wir uns vom vorrangegangenen Abend erholen wollten. Zwei Nächte in einem Hostel gaben uns die Möglichkeit Videos zu schneiden, am Blog zu arbeiten und ein überraschend schönes Košice zu entdecken. Durch den Tip eines Hostelmitarbeiters fanden wir unseren Weg zum Colosseum, ein ausgezeichnet gut versteckter Punk- Metal Club, mit einem Wirrwarr an Treppen und Türen, Durchgängen und Bars. Ein Pint Bier für nur einen Euro, war dabei eine willkommene Abwechslung zum Palinka am Abend davor.

Wir folgten unserem Ziel Richtung Rumänien weiter mit einem längeren Zwischenhalt an der ungarisch-polnischen Grenze. Nach kurzem Zweifel setzte der freundliche Roman wieder für uns zurück, um uns doch mitzunehmen und dann auch noch einen grossen Umweg zu fahren, um uns an der besten Tankstelle an der Straße nach Rumänien rauszulassen.

Da machte sich unser Schild mit den Buchstaben „RO“ nützlich, mit dem wir auf Adi zuliefen und lächelnd auf sein Nummernschild mit den gleichen Buchstaben wiesen. Adi ging lachend darauf ein, wobei er damit gegen die ausdrückliche Warnung seiner Freundin, bloß keine Tramper mitzunehmen verstieß. So hatten wir an einem Tag von der Slovakei aus Ungarn durchkreuzt und Rumänien erreicht.

Bevor wir in Oradea überhaupt zur Besinnung gekommen waren und noch nicht mal den Daumen in der Luft hatten, kam Nelu auf uns zu und fragte, ob wir vielleicht zu unserer Endbestimmung, Cluj, mitfahren wollten.

Leicht schwankend mit dem Daumen auf seinem Smartphone, um uns stolz Fotos seines Hahns zu zeigen, fuhren wir im Rekordtempo nach Cluj. Auffallend waren die Zigeunerhäuser in Huedin mit besonderen zierlichen metallverzierten Dächern und Türmchen. Ein Statement einer ausgeschlossenen Gemeinschaft mit den dazugehörigen gesellschaftlichen Problemen. Denn trotz aller Pracht von Außen, scheinen die meisten Paläste unbewohnt und ihnen fehlt jeglicher Innenausbau. Nach einem abschließenden Kaffee, anstelle eines Palinka (Nelu musste noch fahren) ging es weiter zu unserer bisher seltsamsten Unterkunft…

Linda hinter Gittern
Linda hinter Gittern
Trampen mit Ukulele
Trampen mit Ukulele
Jeroen & Linda im Regen
Jeroen & Linda im Regen
Slovakei
Beim Trampen
Kosice
Kosice
Club Colloseum
Club Colloseum